18.1.1997



Zurück zur startseite
mailto trend
Zwischenbilanz
trend hat Geburtstag
Texte zur Diskussion





"Für einen Kommunismus der technischen Bilder" - Vilem Flusser als Medientheoretiker und Utopist

von Timo Daum

Auszüge aus einem Vortrag auf dem KRISIS-Seminar im Waldschloß Goehrde, 7. - 9. September 1996

(....)

Flussers Utopie

Im vierten Teil versuche ich, eine Interpretation seiner Utopie eines Universums der technischen Bilder zu formulieren. Vergleich mit und Kritik an den ueblichen kommunistischen Utopievorstellungen.Das soll es Euch ermoeglichen , Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit bekannten klassisch kommunistischen bzw. von der Krisis formulierten Utopievorstellungen ausmachen zu koennen.Flusser und neue Medien. Medienpolitik der Linken angesichts neuer medialer Welten.

1. Die Schrift
Die Kommunikation zwischen den Menschen fand seit Urzeiten auf zwei Arten statt: Durch Laute und durch Bilder.Der Informationsaustausch via Mund und Ohr, die "orale Kultur" hat den Vorteil, keiner großen Anstrengung zu beduerfen und sehr flexibel zu sein (laut, leise, schnell, langsam, etc.) Allerdings ist die mittels Lauten uebertragene Information fluechtig und sie ist durch Geraeusche ueberlagert. Dadurch ist sie von kurzer Dauer und oft undeutlich.Die zweite und historisch juengere Technik ist die des Bildeinpraegens, zum Beispiel das Ritzen auf Steinen. Der Stein setzt dem Einritzen allerdings erheblichen Widerstand entgegen. Die "Einbildung" ist zwar von Dauer, dafuer aber weniger flexibel und sehr muehsam. (Bild hat bei Flusser zwei hauptsaechliche Bedeutungen: erstens Darstellung von realen Gegenstaenden im Sinne von Abbild und zweitens Bild im Sinne von Bild, das sich die Menschen (die Gesellschaft) von sich selber und ihrer Umwelt machen.)Die Erfindung der Schrift kommt einer Synthese dieser beiden Methoden gleich. Die Vorteile beider Kulturen vereinigen sich. Geschriebenes ist aehnlich dauerhaft wie der Stein und ebenso flexibel wie die Sprache, was die Ausdrucksmoeglichkeiten angeht.

(Traditionelle Bilder) Das Alphabet wurde vor etwa 10.000 Jahren entwickelt. Es hat die "traditionellen Bilder", die vorher das bestimmende Medium, der beherrschende Code fuer die Selbstreflexion der menschlichen Gemeinschaft gewesen waren, verdraengt. Diese Bilder (zum Beispiel Hoehlenmalereien) waren zweidimensionale Darstellungen der Lebenswelt. In ihnen wurden Szenen festgehalten, symbolisiert. Sie waren "subjektive Abstraktionen von Phaenomenen". In dieser Phase entstanden z.B. die Religionen, die kanonisierte Bilderwelten sind. Flusser bezeichnet diese Phase als Phase des mythischen Denkens und Handelns.

(Geschichte) Schreiben ist linear.Wenn man schreibt, schreibt man zeilenfoermig. Die Schrift rollt das Bild, das vorher der beherrschende Code war, zu Zeilen und gibt damit eine Leserichtung vor (vgl. Hieroglyphen bei den Aegyptern, die schon Schrift sind, aber noch nicht Alphabet, sondern noch wenig abstrakte Bildsymbole).Die symbolisierende Szene im alten, traditionellen Bild wird zu einer Folge von Symbolen, zu einer Erzaehlung, zu einer Bildergeschichte. Die Informationen sind nun seriell (aufgereiht) angeordnet. "Mit der Erfindung der Schrift beginnt die Geschichte, ... weil sie Szenen in Prozesse verwandelt: Sie erzeugt das historische Bewußtsein." Erst wenn man Zeilen schreibt und liest, kann man eindimensional (linear) denken, fuehlen, handeln, wollen und werten. Erst als etwas aufgeschrieben wurde, Ereignisse seriell notiert wurde, begann die Geschichte zu "laufen". In vorschriftlichen Zeiten war das Denken ein sich in Kreisen drehendes, mythisches Denken. Die Erfindung des Alphabets ersetzte das mythische Sprechen durch logisches Sprechen und damit mythisches Denken durch logisches Denken. Das Alphabet wurde erfunden, um ueberhaupt erst buchstaeblich denken zu koennen. Auch Wissenschaft und Philosophie sind erst moeglich, wenn in Zeilen gedacht werden kann.Schrift ist also nicht einfach ein Instrument der Kommunikation, sondern der Code, der Geschichte, Politik, moderne Subjekte, moderne Gesellschaft erst ermoeglicht hat und diese strukturiert.

(Buchdruck) Der erkenntnistheoretische Sprung, den wir Gutenberg zu verdanken haben, ist die Erfindung der Typen( im doppelten Sinne des Wortes). Mit der Erfindung der gegossenen Druckbuchstaben fuer den Buchdruck (Typen) wurde offensichtlich, daß es sich bei Schriftzeichen um Typen handelt (Typen im Sinne von Modellen, Urformen immer gleicher Ausdruckseinheiten).Durch die Einfuehrung des Buchdrucks wird deutlich, daß das Erzeugen von Texten in zwei Bestimmungen zerfaellt: einmal die "Sinngebung", den Entwurf neuer Aussagen durch Manipulation von Zeichen, und andererseits das repetitive Herstellen von "Drucksachen", das Drucken. Also in das kreative Entwerfen eines neuen Sinns einerseits und das Pressen dieses Entwurfs in Typen andererseits. Das Zweite ist eine stupide, auf die Druckpressen abzuwaelzende Beschaeftigung.Das Aneinanderreihen von Schriftzeichen ist etwas Geordnetes, das kann man Maschinen ueberlassen. Das ununterbrochene Aufschreiben, das ununterbrochene Fortschreiben wird Sache der Apparate werden. Deshalb kann man den Fortschritt, das historische Denken und Handeln, den Apparaten ueberlassen. Das Typisieren, das Manipulieren von Zeichen, die Sinngebung, das Informieren werden angesichts der Drucksache als die des Menschen wuerdige Taetigkeit evident. Und damit wird das Arbeiten, das Erzeugen von charakteristischen Sachen ueberhaupt (nicht nur von Texten) als untermenschlich, als eine auf Maschinen (bzw. Druckerpressen) abzuwaelzende Geste verachtet. Der Buchdruck ist Modell und Keim der Industrierevolution. (Informieren heißt, den Dingen Information Aufpraegen. Einbilden ist Informieren von Bildern, Arbeiten ist Informierne von Gegenstaenden)

Fazit: Die Erfindung der Schrift hat uns aus dem Szenen symbolisierenden Universum der traditionellen Bilder hinauskatapultiert. Mit der Schrift, dem Laufen der Zeichen, fangen Geschichte, Philosophie, Politik, moderne Subjektivitaet an zu laufen. Aehnlich wie Marshall McLuhan betrachtet Flusser die Schrift als Disziplinierungsmechanismus. Dieser Mechanismus ermoeglicht den Menschen und zwingt sie zugleich, Befehle zu geben und ihnen zu gehorchen, linear zu denken und zu handeln, kurz: Geschichte zu machen. Die Erfindung des Buchdrucks macht offensichtlich, daß das Schreiben mechanisierbar und automatisierbar ist. Geschichte und Produktion werden zu einer Angelegenheit der Apparate.

2. Technische Bilder
Der alphanumerische Code ist im Begriff, durch einen anderen abgeloest zu werden: durch den Code der technischen Bilder. Technische Bilder sind im Gegensatz zu traditionellen Bildern solche, die nicht flaechig sind, sondern aus Mosaiken von nulldimensionalen Punkten bestehen und von Apparaten erzeugt werden. Das sind alle Bilder, die codifiziert sind, die also aus einem Programmtext bestehen, dessen Kompilierung erst das Bild liefert. Computerbilder, alle Bilder im Internet, aber auch Fernseh- und Videobilder. Sie alle bestehen aus Listen von Nullen und Einsen, die dann zu Pixeln umgerechnet werden. Pixel sind Bildpunkte und als solche nulldimensional, ohne Ausdehnung.Das Alphabet hat die vorgeschichtlichen Piktogramme, die traditionellen Bilder verdraengt, nun wird es selbst durch die technischen Bilder verdraengt.Warum ist das so wichtig? Die Struktur der Informationstraeger hat einen entscheidenden Einfluß auf unsere Lebensform, da wir im Gegensatz zu den Tieren im Wesentlichen auf erworbenen Informationen beruhen. Wenn Texte von Bildern verdraengt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt und uns selbst anders als vorher: nicht mehr eindimensional, linear, prozessual, historisch, sondern zweidimensional, als Flaeche, als Kontext, als Szene. Und wir handeln auch anders als vorher: nicht mehr dramatisch, sondern in Beziehungsfeldern eingebettet.

(Was bedeuten technische Bilder?) Traditionelle Bilder sind subjektive Abstraktionen von Phaenomenen, technische Bilder sind Konkretionen von objektiven Abstraktionen. Apparatische Bilder sind also im Vergleich zu alten Bildern umgekehrt eingestellt. In den technischen Bildern sind keine objektiven Bilder der Umwelt enthalten, sondern reine, geschichtslose "Einbildungen". Die Listen aus Einsen und Nullen, die den technischen Bildern zugrundeliegen, haben kein Gedaechnis, keine Geschichte, keine Gestalt. Das hat zur Folge, daß produktive und reproduktive Bildernicht mehr unterscheidbar sind. Sie sind von der gleichen Struktur. Es macht keinen Sinn, zwischen originalen Bildern und Reproduktionen zu unterscheiden. Es ist unmoeglich, zwischen einem Abbild und einem Bild als Modell unterscheiden zu wollen (Beipiel Quarks: sind sie Abbilder der Realitaet oder Modelle, die Frage ist sinnlos).Beispiel: Gibt es einen Unterschied zwischen der Photographie eines Hauses und dem Entwurf eines Flugzeugs im Computer? Kann man sagen, daß im einen Fall das Haus die Ursache fuer die chemischen Veraenderungen in der Photoemulsion ist? Und daß die Photographie eine getreue Abbildung des Hauses ist? Daß das Haus nicht erfunden ist, wie das Flugzeug, sondern vom Photographen entdeckt wurde? Das Haus ist doch aber nicht die Ursache der Photographie, so wie eine Hundepfote Ursache fuer die Spur im Schnee ist! Und das Haus sieht doch nicht wirklich so aus, wie ich es auf dem Photo sehe! Und der Photograph hat das Haus doch nicht entdeckt, wie etwa ein Spaziergaenger entdeckt, daß er vor einem Haus steht! Damit ist nicht gesagt, daß es unmoeglich ist, zwischen der Seinsebene eines Hauses direkt auf der Straße und jener eines noch zu bauenden Flugzeugs zu unterscheiden. Sondern daß es unmoeglich ist, zwischen einem Abbild und einem Bild als Modell unterscheiden zu wollen.

(Telematik) Telematik bezeichnet einerseits die Technik, mit deren Hilfe die Menschen technische Bilder erzeugen und betrachten koennen. Das Wort ist zusammengesetzt aus Telekommunikation + Informatik bzw. Automatik (Tele: die Ferne naeherbringen, Teleskop, Telefon; Automatik, Automation = selbsttaetige, programmierte Technologie). Telematik bedeutet im Gegensatz zur Telefonie, daß maschinell verarbeitbare Daten ausgetauscht werden. Andererseits beschreibt Telematik einen Zustand, in dem informatische Telekommunikation die Gesellschaft bestimmt. Die Telematik uebernimmt eine Funktion, welche bislang von linearen Texten eingenommen wurde, die Funktion naemlich, die fuer die Gesellschaft und den Einzelnen lebenswichtigen Informationen zu tragen.Die spezifische menschliche Taetigkeit des telematischen Zeitalters ist das Programmierens. Alles Redundante, Wiederholbare wird von Maschinen erledigt. Programmieren bedeutet also also kreativ taetig sein. "Die hinter dem Programmieren verborgene Absicht ist, den Menschen fuer eine Sinngebung der Welt und seines Lebens darin frei zu machen. " (Dazu spaeter mehr im Kapitel ueber Kommunismus der technischen Bilder)

(Telekratie) Flusser sieht allerdings eine wenig reizvolle Realisierungsform der Telematik: die einer zentral programmierten, totalitaeren Gesellschaft von Bildempfaengern und Bildfunktionaeren. Wenn man sich die herrschenden Strukturen in den Medien anschaut, dann ist von telematischer Befreiung wenig zu sehen. Woran liegt es, daß die ueberwiegende Mehrzahl der Medien unbefriedigend sind (z.B. das SAT.1-Programm?) Wie paßt eine Kohl-Kirch-Connection ins Bild der Segnungen durch die telematischen Techniken?Flusser versucht diesem Umstand mit dem Begriff der Telekratie gerecht zu werden. Telekratie (tele = fern, kratie= Herrschaft) ist die Herrschaft des (einen, zentralen) Senders ueber die (vielen, vereinzelten) Empfaenger. Die telekratische Gesellschaft, auf die wir nach der Auffassung Flussers gegenwaertig offenbar zusteuern, ist gekennzeichnet durch eine "fascistische" (verbuendelte) Medienstruktur: Wenige Sender strahlen gebuendelte Informationen aus. Diese werden von isolierten, stummen Empfaengern aufgenommen, die keine Verbindung untereinander aufbauen koennen.Diese Struktur ist fascistisch nicht aus irgendwelchen ideologischen, sondern aus technischen Gruenden. In der von den Sendern zentral kontrollierten Gesellschaft zerfallen die hergebrachten Strukturen und die Menschen werden zerstreut. Die Bilder dienen dieser Zerstreuung im doppelten Wortsinne, die Menschen werden unterhalten, bei Laune gehalten und dadurch auch voneinander isoliert.Die Bilder werden in Apparaten erzeugt und automatisch durch Kanaele an die Empfaenger geleitet. In diesen Apparaten werden einige Funktionen durch Menschen (Funktionaere) und andere durch nichtmenschliche Automaten vollzogen. Die Funktionaere (z. B. Politiker) entscheiden nicht, sondern funktionieren (der Praesident, der den roten Knopf drueckt, wenn die Apparate es ihm nahelegen).Der Diskurs in der telekratischen Gesellschaft ist ein automatischer. Es ist ein apparatischer Totalitarismus. Die Sender sind nichts als jene nulldimensionalen Punkte, von denen die Strahlenbuendel der Medien ausgehen. (und nicht irgendwelche Hintermaenner) Die Frage ist: Kann der Mensch diese Kontrolle wiedergewinnen und so das Gegenteil von Apparat-Totalitarismus erreichen? Der Mensch hat als Einzelwesen, als einzelner und zerstreuter Funktionaer und Empfaenger die Kontrolle ueber die Apparate definitiv verloren. Die Logik der verknuepften Tasten ist eigentlich dialogisch, diese Logik kann aber nur entfaltet werden, wenn auch die Verbindungen selbst netzwerkartig sind. Es muß also darum gehen, die Netzstruktur der neuen Medien zu entfalten als Gegenmodell zum telekratischen Schaltungsmodus. (Dazu spaeter mehr im Kapitel ueber Medienpolitik)

Fazit: Technische Bilder bestehen aus Bildpunkten, die durch Komputation von Programmtexten entstehen. Sie loesen die linearen Texte ab in ihrer Funktion als Transportmittel der lebensbestimmenden Informationen. Originale und Kopien, Abbilder von Realitaet und Imaginationen sind ununterscheidbar geworden. Telematik ist einerseits die Technik fuer Erzeugung und Austausch technischer Bilder und andererseits ein Zustand, in dem technische Bilder die wesentliche Quelle der Selbstrefektion der Gesellschaft bilden. Telekratie, Fernherrschaft ist die verbuendelte, fascistische Anwendungsform der Telematik, die die Menschen voneinander isoliert.

3. Telematische Gesellschaft
Ist es moeglich, den "fascistischen", totalitaeren Schaltplan der Bilder umzuschalten? Die Telematik ist eigentlich eine Technik des Dialogisierens, wenn die Bilder dialogisch geschaltet sind, kann der Totalitarismus einer demokratischen Struktur weichen. Die netzwerkfoermige Schaltungsmethode ist die der Telematik angemessene Alternative zur verbuendelten Schaltungsmethode: Die Post, das Telefon, die Telegraphie sind solche Netzwerke. In der reversiblen, bidirektionalen Vernetzung von Computerterminals findet diese Schaltungsmethode ihre Vollendung.

(Politik im telematischen Zeitalter) In vortelematischen Gesellschaften mußten die Menschen politisch sein, d. h. sie mußten in den oeffentlichen Raum (agora) hinausgehen. Dort besorgten sie die fuer ihr Leben relevanten Informationen und knuepften die lebensnotwendigen Kontakte. Sie mußten in die Schule gehen, Konzerte besuchen, Vortraege anhoeren. Heute werden die Informationen (und andere Lebensmittel) zunehmend frei Haus geliefert. Wer informiert sein will, muß zu Hause bleiben. Wer kommunizieren will, sich ins Vehaeltnis setzen mit anderen, muß zusehends sein Terminal benutzen. Somit erscheint die sogenannte Politikverdrossenheit, das politische Desengagement in ganz anderem Licht. "Die Tasten haben unsere Vorstellungen von "Politik" und "Privatraum" gesprengt, und sie zwingen uns, in anderen Kategorien zu denken."In neuem Sinn sozialisierte Menschen, Computerfreaks und Netzsurfer betreten die geschichtliche Buehne. Die scheinbar kontaktarmen, schuechternen Stubenhocker und Tueftler (nerds) werden von den traditionellen politischen Menschen belaechelt. Voellig zu unrecht.Das Politische ist tot und Geschichte wird zur Nachgeschichte. Networking ist das Schlagwort einer nachpolitischen Informationverteilung. Die lineare Geschichte, das Fortschreiten und Fortschreiben, der Fortschritt kommen zu ihrem Ende. Posthistoire ist der Name fuer eine Welt, wo nichts fortschreitet und alles bloß passiert. Die Leitfaeden zerfallen nicht, weil wir uns entschlossen haetten, sie zu verwerfen, sondern das passiert spontan. Die technischen Bilder fuehren zwangslaeufig zu einer solchen Weltwahrnehmung.

(Krise der Autoritaet) Die Telematik evoziert die Krise der Autoritaet, der Autoren und der "großen Maenner". Einfach deshalb, weil der Diskurs in seiner Bedeutung zurueckgedraengt wird. Es gibt beispielsweise im Internet, das einem telematischen Netzwerk schon ziemlich nahekommt, fuer alle gleichermaßen die Moeglichkeit zu publizieren bzw. Bilder zu produzieren. Die Krise des Autors wird besiegelt durch die technische Aufloesung des Copyrights. Jede Information, sei sie Bild, Text, Ton oder Gegenstand kann beliebig oft kopiert werden. Es gibt keine Originale mehr, als auch keine Autoren: "Jede Autoritaet wird verschwinden, weil sie angesichts der Kopierbarkeit redundant ist."Alle Menschen koennen alle Menschen, alle Geschichte, alles Wissen, alles Erdenkliche auf ihr Terminal bringen (wenn sie es wollen) Alle Theorien, alle Geschichte, alle Bilder, Vergangenheit und Zukunft werden sich in einem Netz ohne Anfang und Ende finden.

(Automatische Produktion) Das Informieren von Objekten (Arbeit), wie auch das Zubringen der informierten (bearbeiteten) Objekte an den Menschenkoerper (Verteilung), wird robotisiert werden. Handeln und Handel sind robotisierbar. In diesem Sinne wird der Mensch aus der Produktion von Guetern ausgeschaltet werden, sowohl Produktion als auch Distribution von "Guetern" werden im Ruecken der bilderbetrachtenden Menschen automatisch vor sich gehen.Dazu Flusser: "Wenn in der bisherigen vortelematischen Lage nur wenige Leute Genies waren, so deshalb, weil sich die meisten Menschen nicht am Dialog beteiligen konnten, sondern die im Dialog ausgearbeiteten Informationen auf materielle Unterlagen druecken mußten, "arbeiten" mußten. Die Telematik und die Robotik werden die Menschheit fuer die Kompetenz befreien, Redundantes in Informatives zu verwandeln, indem sie von der Notwendigkeit zu arbeiten befreit werden. Die Robotik verleiht die noetige Muße (schole), um aus der Telematik eine Schule fuer Kompetenzen zu machen, eine Schule der Freiheit."Die Telematische Gesellschaft ist ein aus individuellen Gehirnen zusammengesetztes Uebergehirn . Eine Gesellschaft der simultanen konsensuellen Entscheidung, eine Art kosmisches Gehirn. Die dialogische Erzeugung von Information wird zentral in der telematischen Gesellschaft. Das Bild MacLuhans vom kosmischem Dorf ist schief: Es gibt keinen oeffentlichen Dorfplatz, dem der private Bereich des Bauernhauses gegnueberstuende. Statt vom "kosmischen Dorf" ist vom "kosmischen Gehirn" zu sprechen.

(Das Verschwinden der Koerper) Die Stimmung des Menschen im Universum der Telematik beschreibt Flusser folgendermaßen: "... eine zugleich fieberhaft taetige und leidenschaftliche Stimmung, etwas wie eine Synthese jener Stimmungen, wie sie beim kuenstlerischen und wissenschaftlichen Schaffen, im politischen Engagement, auf revolutionaeren Massenkundgebungen, beim Schach und beim Roulette, an der Boerse und in libidinoesen Traeumen mitschwingen. Eine Stimmung freilich, die nicht wie beim Orgasmus sich steigert, um abzuflauen, sondern die den orgastischen Hoehepunkt ohne Unterbrechung, das ganze Leben lang, aufrechterhaelt. Denn diese Stimmung ist nicht koerperlich, sie ist zerebral. Ein ununterbrochener zerebraler Orgasmus: das ist die Form, in der die Bilder die telematische Gesellschaft steuern werden." Ist das noch Leben zu nennen? Flusser ist der Meinung, daß ueberhaupt erst dies ein menschliches Leben zu nennen ist. Alle vorangegangenen Lebensformen sind im Vergleich dazu nicht mehr als vormenschliche Annaeherungsversuche. Die Frage nach dem Zweck einer spielerischen Bildproduktion ist falsch: "Eine solche Fragestellung ist typisch vortelematisch, naemlich aus dem zweckbedingten historischen Denken geboren. Gerade die Mueßigkeit der Bildherstellung, dieses Jenseits von jedem "Wozu", diese Motivlosigkeit ist, wenn ich richtig voraussehe, die Lebensstimmung des kuenftigen Menschen. Er wird problemlos leben, nicht mehr gegen Gegenstaende und Widerstaende stoßen, sondern in der reinen Einbildung, in der Muße leben."Abschreckende Vorstellung, auf Cerebralitaet reduziert zu sein, Schnittstellen mit den Datennetzen ersetzen den Koerper, etc? Zunaecht kann die Libido von der Fortpflanzung getrennt werden, den Sex von der Biologie. Fortpflanzung der menschlichen Gattung wird automatisiert, apparatische Inkubation neuer Menschen befreit zunoechst mal die Frauen vom Fluch des Gebaerenmuessens. Außerdem wird deutlich, daß der Orgasmus nicht im Geschlechtsorgan, sondern im Gehirn seinen Sitz hat. Die tatsaechlich befreite Libido ist eine nicht nur von der Fortpflanzung, sondern vom Koerperlichen schlechthin befreite. Flussers radikale Koerperpolitik laeuft auf die Abschaffung der Koerper hinaus. Diese Abschaffung wird durch automatisierte Reproduktion der Art, neue Reproduktionstechniken, automatische Inkubation erzielt.

Telematische oder tribalistische Utopie

(Kommunistischer Tribalismus) Die z.B. in der Krisis ueblichen Kommunismusvorstellungen stehen auf dem Stand des 19ten Jahrhunderts. Die immer wieder auftauchenden Kommunen und gutnachbarschaftlichen Beziehungskisten, deren Mitglieder gemeinsam ihre Haeuser bauen, die Kindererziehung organisieren und sich ueber den Abwasch streiten, koennen hoechstens als Manufaktur-Kommunismus durchgehen. Gedanken zum selbstorganisierten Hausbau im Freundeskreis (man kann ja viel selber machen) erinnern an Werbebroschueren von Bausparkasen. Bei der Diskussion ueber Utopievorstellungen und Modelle einer Organisation des Zusammenlebens in einer nicht mehr fetischistischen Gesellschaft ist man auf dem Arbeiterbewegungsstandpunkt stehengeblieben. Ein Fourier, Engels oder Bebel faende sich gut zurecht mit dem Stand der Diskussion.Daß man die hundert Jahre alten Vorstellungen ueber Bord werfen muß und der Verbreitung neuer Technologien und neuer Medien Rechung tragen muß, kann man bei Flusser lernen. Erst mit der Telematik wird ueberhaupt eine menschenwuerdige Post-Wertgesellschaft denkbar, die die Fesseln entfremdeter Arbeit nicht nur in Sonntagsreden ueberwindet, sondern real den Maschinen das Wiederholbare ueberlaeßt.

(Telematische Utopie) Abschaffung der Arbeit muß zum einen bedeuten, daß das Leben unter der Aegide der abstrakten Arbeit (Arbeit ohne Inhalt, Arbeit insofern sie wertproduzierende ist) aufhoeren muß. Das Universumd er abstrakten Arbeit ist historisch und logisch verknuepft mit der industriellen Produktion und der Taylorisierung der Arbeitsablaeufe. Die konkrete Seite der abstrakten Arbeit ist die wiederholte Ausfuehrung eines standardisierten Handgriffs, die ihr Modell moeglichst genau imitieren soll. Entfremdete und repetitive Betaetigung und abstrakte Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille. Die Abschaffung der abstrakten Arbeit kann nur erfolgreich sein, wenn auf stofflicher Ebene alles Wiederholbare ausgemerzt wird. Denn zu stupider Taetigkeit laeßt sich der Mensch auf Dauer nur ueberreden durch Lohn, Zwang oder Moral. Das alles soll ja aber im Kommunismus aufhoeren, zu existieren.Informatik, Robotik, Automatik, Telematik sind die Techniken, die offensichtlicher als alle vorangegangenen den Kapitalismus an seine Grenzen treiben. Der Ausschluß des Menschen aus der Produktion, den diese Techniken unerbittlich betreiben, drueckt dem Mehrwert die Gurgel zu. Arbeiten wird durch Programmieren ersetzt.Anders ausgedrueckt: Die unmittelbare Arbeit und ihre Quantitaet als das bestimmende Prinzip der Produktion verschwindet. Sie wird subalternes Moment gegen die allgemeine wissenschaftliche Arbeit, technologische Anwendung der Naturwissenschaften nach der einen Seite, wie gegen die aus der gesellschaftlichen Gliederung in der Gesamtproduktion hervorgehende allgemeine Produktivkraft nach der anderen Seite. (Grundrisse, 596)Konkrete arbeit verschwindet gegenueber Naturwissenschaft, Informatik einerseits und der Vernetzung von programmierenden Individuen andererseits.Produktiver Mueßiggang heißt Programmieren und Bilderproduktion. Die unmittelbare Vergesellschaftung wird durch Datenleitungen zwischen bidirektional allen Erdbewohnern hergestellt. Ein globale Netzwerk ermoeglicht die Kommunikation, die Priduktion und die Reproduktion der Gesellschft mittels technischer Bilder.

(Beispiel Internet) Parallelen zum Internet draengen sich auf: Dort existiert bereits in Keimform gemeinsames Programmieren von entfernten Programmierern, die sich ueber Datenetze verstaendigen, wissenschaftliche Kongresse, und chirurgische Oprationen, an denen Spezialisten teilnehmen, die telepraesent sind. Das Internet ist ein riesiges Kopierwerk fuer Software und alle moeglichen Texte. Jedes Bild, jeder Text, jede Handlung im Internet ist beliebig oft kopierbar und allen zugaenglich. Das Hypertext-Prinzip, nach dem das Internet organisiert ist, ueberwindet die linearen Texte, das Surfen im Internet ueberwindet die lineare Geschichte. Internetbenutzer bewegen sich in einem dialogischen Netzwerk, es gibt keine Hierarchien, alle koennen mit allen kommunizieren, es gibt keine Vorzugsrichtung der Information (die Realitaet sieht nicht immer so rosig aus). In virtuellen Diskussionsgruppen, Chat-Lounges und MUDs treffen sich Menschen mit selbstgewaehlten Identitaeten und Charakteren.(Ich wiederhole: Keimform und Modell)

Zusammenfassung und Kritik an Vilem Flusser

Zwei Mißverstaendnisse: Erstens koennte es so aussehen, als ob die revolutionaere Praxis zur Vermeidung der telekratischen Senderherrschaft darin bestehen mueßte, sich einen Internetanschluß zu besorgen. So einfach ist es natuerlich nicht. Zur Ueberwindung der Politik ist leider schon noch eine Menge Politik noetig. Die technischen und Bildungsvoraussetzungegn beispielsweise fuer ein selbstbestimmtes Programmieren der Bilder sind ein Politikfeld, das ganz klassisch bearbeitet werden muß.Es kann außerdem nicht darum gehen den oekonomistischen Attentismus durch einen Attentismus der neuen Medien zu ersetzen. Allerdings weiß man, daß bei jeder ordentlich organisierten Revolution, zunaechst versucht wird, Radiosender und Telegrafenamt einzunehmen. Es ist fuer das Gelingen jeder Revolution entscheidend, die Schalthebel der Informationskanaele zu besetzen. Und das ist keine Phantasma von der Allmacht der Medien, sondern seit hundert Jahren Praxis.Zweitens koennte der Eindruck entstehen, daß die Kommunikationsform der Menschen untereinander das Entscheidende fuer eine Gesellschaft ist. Daß das, was bei Flusser "Schaltung der Tasten" heißt, also die Art und Weise in der Medien aufgebaut sind, Kommunikation moeglich ist, das entscheidende Kriterium fuer eine Gesellschaftsordnung ist. Als Wertkritiker wissen wir natuerlich, daß Information kein Vergesellschaftungsprinzip sein kann. Und daß eine Gesellschaft nicht erschoepfend damit charakterisiert werden kann, ob sie eher dialogisch oder eher diskursiv sich reproduziert. Gesellschaften als Organismus zu begreifen, der nach kybernetischen Kriterien funtioniert, blendet eben Entscheidendes aus, Ideologie und Fetischismus etc.Und doch ist es so, daß die Struktur der Informationstraeger - wie ich vorhin versucht habe darzustellen - eng verknuepft ist mit der technischen Entwicklung der Produktionsmittel einerseits und mit dem Selbstverstaendnis einer Gesellschaftsordnung andererseits. Das haben wir am Beispiel typisierendem Buchdruck und Industrierevolution gesehen. Ein zweiter Aspekt kommt hinzu, naemlich der der Konvergenz von Information und Produktionsmitteln. Die Differenz zwischen Apparaten, die Lebenmittel herstellen und Apparaten, die Informationen verarbeiten oder der Kommunikation dienen, verschwindet (Ist ein Computerprogramm, das ein Maschine steuert reine Information oder Produktionsmittel? Kommunikationnetze innerhalb von Betrieben - sind sie Teil des Produktionsaggregats oder faux frais der Produktion? Ist ein Textverarbeitungsprogramm nur eine Datenmenge oder Produktionsmittel von Autoren?) Kommunizieren und Produzieren werden in der telematischen Gesellschaft eins. Produzieren heißt fuer den Menschen nun Programmieren und das wiederum ist nichts als das Manipulieren (oder besser Cerebrieren) von Information.

(Mediendiskussion) Welche Haltung soll die Linke gegenueber technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bei den neuen Medien einnehmen? Zwei hauptsaechliche Defizite muessen ausgeglichen werden: Erstens muß sie ihre Haltung gegenueber neuen Technologien ueberdenken und aus ihrer technikkonservativen ML-Lebenswelt herauskommen. Ein kritisches Medienbewußsein ist noetig, das nicht von Kulturpessimismus und Technikablehnung bestimmt ist. Sie darf sich nicht an den reaktionaeren Abwehrkaempfen des Alphabets beteiligen.Der Trugschluß muß ueberwunden werden, es handle sich bei technischen Bilder wie bei traditionellen Bildern um "objektive Abbildungen der Umwelt. Zweitens muß sich die Linke in den Diskussionen um konkrete Aspekte der Medienentwicklung beteiligen. Die Krisis sollte sich nicht zu schade dafuer sein, medienpolitische Forderungen zu diskutieren. Freiheit der Information, freier Informationszugang, eine weltweite Medienalphabetisierung und elektronische Vernetzung aller Menschen der Erde muß sich die Linke auf ihre Fahnen schreiben. Die "fascistische" Alternative der Telematik muß verhindert werden, demokratische Medienstrukturen gefordert bzw. gefoerdert werden. Die Versuche, am Copyright, an den Autoren und Autoritaeten festzuhalten, muessen kritisiert werden. Die Kommerzialisierung des Internet, das Verbot von CD-Verleihen muß kritisiert werden.

(....)

Quelle: http://www.magnet.at/krisis/

zum seitenanfang