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Team Pierre Frank
Thema Die Stalinisierung der kommunistischen Parteien - Geschichte der KI - TEIL V - DIE ´DRITTE PERIODE´ ( original )
Status Band 2 - Auszüge - ISP-VERLAG
Letzte Bearbeitung 1979
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3. Die Ausschaltung der Rechten
3.4. Das 10. Plenum (3. bis 19. Juli 1939)
3.5. Die Stalinisierung der kommunistischen Parteien

3. Die Ausschaltung der Rechten

(Die Ausschaltung des Rechten Flügels 1929, ein Jahr nach Ausschaltung der Linken Opposition markiert den Tod der Partei KPdSU (samt der KI) als lebendiger Spiegelung der gesellschaftlichen Widersprüche und ihre wesensmäßige Umwandlung zur Partei des Staatsapparats - mxks 2007)

3.4. Das 10. Plenum (3. bis 19. Juli 1939)


LETZTER ABSATZ DES UNTERKAPITELS 3.4.: Ohne hiermit am Ende der Geschichte der KI angelangt zu sein, halten wir es an diesem Punkt für notwendig, uns weiterhin der Frage der Stalinisierung der kommunistischen Parteien zuzuwenden, die soeben auf dem 10. Plenum vollzogen wurde. Wie und warum konnte sie vor sich gehen? Was hatte sie ermöglicht und sollte in der Folgezeit viele weitere Überraschungen ermöglichen? Der Stalinismus hat zu einer Menge Spekulationen Anlaß gegeben. Wie überraschend er auch gewesen ist — er läßt sich auf eine Art erklären, die nichts Geheimnisvolles an sich hat. Betrachten wir kurz die wesentlichen Gründe und Umstände, die die Stalinisierung der kommunistischen Parteien bewirkt haben.

3.5. Die Stalinisierung der kommunistischen Parteien

Die objektiven Bedingungen, die zur bürokratischen Entartung der Sowjetunion geführt haben, Die Bürokratie Der im Jahre 1923 begonnene Entartungsprozeß Die stalinistische Entartung, die die bolschewistische Partei zerstört hat, Wir schieben gleich von vornherein die vulgärste und vielleicht noch verbreiteste "Erklärung" des Stalinismus beiseite, nämlich die Korruption dieser Parteien durch materielle, finanzielle Mittel, durch das "Geld aus Moskau", diese "Erklärung", auf die sich die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie in der Vergangenheit so oft berufen haben, und auf die sich manche noch heute berufen. Wir streiten nicht ab, daß den kommunistischen Parteien seitens der KI materiell geholfen wurde, das heißt im Grunde vom Kreml, und wir sind darüber prinzipiell durchaus nicht entrüstet*58 . Auch die anfangs als Zeichen internationaler Solidarität gegebene Hilfe ist durch die stalinistische Entartung in bezug auf ihre politischen Ziele angetastet worden. Die finanzielle Korruption ist zweifellos ein Mittel der Politik, aber sie wirkt sich nur auf den einzelnen Menschen aus, auch im Falle bürgerlicher oder reformistischer Organisationen. So erhebliche politische Umwandlungen, wie sie der Stalinismus hervorgerufen hat, das heißt der Übergang einer revolutionären Partei zum Reformis-

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mus, können nur Resultat historischer Umstände sein. Das "Gold" aus Moskau hat Einzelne innerhalb des Apparats der kommunistischen Parteien korrumpiert und damit zum Aufstieg des Stalinismus beigetragen, aber es kann nicht die Umwandlung erklären, die sich in ganzen Parteien vollzogen hat, in Parteien, die in ihrer erdrückenden Mehrheit weit davon entfernt waren, aus dieser finanziellen Hilfe Vorteil zu ziehen, und die selber oft große Opfer, auch finanzieller Art, gebracht haben. Wenn wir diese "Erklärung" verwerfen, weisen wir auch zur gleichen Zeit die Behauptung zurück, daß sich die Kommunistischen Parteien durch ihre Ausrichtung auf die Politik Moskaus in einfache "Agenturen des Kreml" verwandelt hätten; sie sind Arbeiterparteien geblieben, entartete Parteien, aber nichtsdestoweniger Arbeiterparteien.

Die Entartung dieser Parteien ging Zum Unterschied von den Meinungsverschiedenheiten über die Politik in der Sowjetunion, die in den kommunistischen Parteien wenig verstanden wurden, schockierten die im Jahre 1923 gegen Trotzki angewandten antidemokratischen Methoden — Methoden, die auf die KI übergriffen und sich danach verallgemeinerten — eine ganze Reihe kommunistischer Führer (polnische, französische, italienische, tschechoslowakische, belgische usw.). Aber die Einwände oder die Anmerkungen, die sie formulierten, drückten nicht eine von der sowjetischen Führung politisch unterschiedliche Linie aus und fanden in den Parteien selbst nur ein geringes Echo. Deshalb lief es am Ende darauf hinaus, daß die Führer, die diese Parteien nicht verließen, sich fügten und später sich nach der Sowjetführung richteten.

Die Basis der kommunistischen Parteien war offensichtlich nicht in der Lage, so verwickelte Probleme wie die der Sowjetunion besser als die Führer zu begreifen. Das bürokratische System, das von oben her eindrang, ließ ihnen schließlich nur die Wahl, der Partei zu folgen oder sie zu verlassen, jedoch nicht ihre Politik zu ändern, ob es sich nun um die Sowjetunion oder die Politik in ihrem Lande drehte. Sie waren nun an der Gründung dieser Parteien beteiligt gewesen oder waren ihnen beigetreten, weil sie für sie die Fortsetzung des Wegs der Oktoberrevolution, der Sowjetunion bildeten. Als die revolutionäre Welle

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zurückflutete, war gerade die Sowjetunion und sie allein die einzige große Errungenschaft, die aus dieser Periode großartiger Kämpfe übriggeblieben war.

Ihr Verlust hätte außerordentlich finstere Zeiten für die Arbeiterbewegung eröffnet, wie man sie in der Vergangenheit noch nie erlebt hatte. Diese völlig begründete Auffassung entsprach zutiefst den Gefühlen der militanten Kommunisten. Sie mußten deshalb die Sowjetunion um jeden Preis verteidigen und zogen daraus die Konsequenzen, daß sie einig in der Partei bleiben müßten. Die Mitglieder der kommunistischen Parteien identifizierten in ihrer Mehrheit die Sowjetunion mit ihrer Führung. Es handelte sich hier — in einer sehr viel stärkeren Form — um das gleiche Phänomen, das man tagtäglich in allen Massenorganisationen feststellen kann, selbst in denen, wo die Missetaten der bürokratischen Führungen buchstäblich von ihren Mitgliedern mit Händen zu greifen sind. Die Führungen gebrauchen und mißbrauchen das Argument, wer sie kritisiere, greife auch die Organisation an. Stalin verstand es, geschickt das Gefühl auszunutzen, man müsse die Reihen um die Sowjetunion schließen und sich als "Antisowjetismus" und "Antikommunismus" gegen jede Kritik wenden, auch wenn sie nicht ausdrücklich gegen die Kreml-Führung gerichtet war. Wurde dieses "Argument" insbesondere gegen die Oppositionellen in der Sowjetunion und in den kommunistischen Parteien ausgenutzt, so wird es heute immer noch vorgebracht, wenn es auch weniger von Erfolg gekrönt ist. Dieses "Argument" war in den ersten Jahren des Stalinismus umso durchschlagender, als niemand — nicht einmal seine heftigsten Gegner — damals voraussah, daß er eine derartig ununterbrochene Reihe von Niederlagen der Arbeiterbewegung bewirken sollte, noch daß er der Sowjetunion ein so verabscheuungswürdiges Regime bescheren würde.

Gewiß gab es auch Führer kommunistischer Parteien, die vor ihrer Gewöhnung an den Stalinismus und ihrer vollständigen Entartung von den bürokratischen Lügen über die Lage in der Sowjetunion nicht getäuscht wurden, aber sie resignierten, weil sie ihrer innersten Überzeugung nach glaubten, man dürfe dem Feind nicht in die Hände arbeiten, die UdSSR sei eine isolierte Festung deren Schwierigkeiten riesig waren, es ließe sich kaum etwas Besseres anfangen usw. Das war eine trügerische und gefährliche Argumentation, denn nichts war der Sache des Sozialismus abträglicher, als den Arbeitern die Wahrheit zu verschweigen.

Wir bemühen uns um eine Erklärung, gewiß nicht um eine Rechtfertigung: die Identifizierung der Sowjetführung mit der Oktoberrevolution und der Sowjetunion hat am meisten zum außerordentlichen Anwachsen des Stalinismus während der trüben Jahre eines revolutionären Zurückflutens und eines Aufschwungs des Faschismus beigetragen. Als die Jahre vergingen, übten die sich häufenden Niederlagen — von Deutschland bis Spanien — einen so schweren Druck auf eine Menge Genossen aus, daß sie keine andere Lösung mehr erblickten, als der Verteidigung der Sowjetunion in dem Kriege, den sie mit Recht für unvermeidlich hielten, den Vorrang zu geben. In diesem Falle gab es für sie nur

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die Wahl: Hitler oder Stalin.

Die Sowjetunion erschien weiterhin allen denen, die ein antikapitalistisches oder antiimperialistisches Bewußtsein bewahrten, als der einzige revolutionäre Pol in der Welt. Ein Land, das von feindlichen kapitalistischen Ländern umgeben war, ein zurückgebliebenes Land, das sich mit eigener Kraft industrialisierte und zu einer Großmacht wurde — diese gewaltigen Erscheinungen beeindruckten Millionen menschlicher Wesen. Sie weigerten sich, den Aussagen der großen Presse über dieses Land Glauben zu schenken, selbst wenn sie stimmten, und hörten nicht auf die winzigen revolutionären Oppositionen. Die ungeheuren Opfer der Sowjetunion beim Kampf gegen den Nationalsozialismus wurden später ebenfalls von Stalin und vom Stalinismus ausgenutzt.

-* * *-


Man könnte einen Einwand erheben: war es, vor allem zu Beginn, wirklich schwierig zu erfassen, was der Stalinismus in der Sowjetunion war, so konnte doch die Bürokratisierung der kommunistischen Parteien und ihre politischen Wendungen, die oft im Gegensatz zu den tatsächlichen Erfordernissen, den Interessen der nationalen Arbeiterbewegung standen, ihren Mitgliedern nicht verborgen bleiben. Das ist richtig, und deshalb kam es innerhalb dieser Parteien öfters über interne Probleme als über Probleme der Sowjetunion zu Krisen.

Schließlich jedoch übte der Faktor "Verteidigung der UdSSR" zu den verschiedensten Zeitpunkten einen größeren Druck auf die Mehrheit der Mitglieder aus als andere Erwägungen. Die Sowjetunion nahm bei ihren Überlegungen den ersten Platz ein. Dies galt insbesondere für die kleinen, ohne Massenbasis dastehenden kommunistischen Parteien, besonders dort, wo sie sozialdemokratischen Parteien gegenüberstanden, die an bürgerlichen Regierungen teilnahmen und sich bei den antisowjetischen Kampagnen beteiligten.

In den wenigen kommunistischen Parteien, die eine relativ beträchtliche Massenbasis hatten, trat ein anderer Faktor auf, der auch in den sozialistischen Organisationen und in den reformistischen Gewerkschaften eine Rolle spielt:
die Arbeiter sind nicht bereit, leichten Herzens starke und zentralisierte Organisationen zu verlassen. Das entspricht einem echten Bedürfnis, denn ohne derartige Organisationen können sie nicht tagtäglich mit dem Kapitalismus und seinem Staat, beide mächtig und zentralisiert, kämpfen. Eine starke, wenn auch bürokratisierte Organisation erschien vielen Arbeitern als ein stumpfes, mangelhaftes Werkzeug, das jedoch vor kleinen revolutionären, im allgemeinen wenig stabilen Organisationen den Vorzug verdiente, die sich auch lange Zeit hindurch hauptsächlich hinter einer Propagandatätigkeit verschanzen mußten. Die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung beweist, daß Generationen, die eine Partei geschaffen haben oder in ihr groß geworden sind, wenig geneigt sind, eine neue zu gründen.

Die Kombination der verschiedenen oben erwähnten Faktoren — die von

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Land zu Land wechselt — hat es dem Stalinismus erlaubt, sich der kommunistischen Parteien zu bemächtigen, sie zusammenzuhalten und sie in einigen sehr seltenen Fällen weiterzuentwickeln. Dieser Prozeß hat sich — wir wollen es wiederholen — zuerst unmerklich schleichend, dann auf stets brutalere Weise und rascher vollzogen.



*43
Resolutionen und Beschlüsse, Neuntes Plenum des EKKI.

*44
S. A. Neuberg, Der bewaffnete Aufstand, Frankfurt 1971

*45
S. E. H.Cair, op.cif.

*46
S. Trotzki, The Third International after Lenin, op.cit. S.284 - 292.

*47
S. das Bulletin Contre le Courant (Paris, April 1929)

*48
In diesem Bericht bezieht sich der Vorschlag eines Bündnisses mit der Linken auf Sinowjew und Kamenew; es ist keineswegs die Frage eines Bündnisses mit Trotzki. Bei der verbannten Opposition rief dieser Vorschlag Diskussionen hervor. Trotzki teilte mit, für ihn käme es nicht in Frage, mit der Rechten einen politischen Block zu bilden, da tiefe politische Meinungsverschiedenheiten bestanden, aber er würde sich nicht weigern, ein spezifisches Bündnis mit ihr einzugehen, um die Demokratie wieder in die Partei einzuführen. Die weiteren Ereignisse ließen keine Realisierung eines Blocks Bucharins mit Sinowjew und Kamenew zu, ganz zu schweigen von einem Bündnis nach den Vorstellungen Trotzkis.

*49
Thesen/ Resolutionen/Programm/ Statuten, Protokoll des VI. Weltkongresses der KI, Reprint in 2 Bänden, Erlangen 1972.

*50
Diese Worte konnten nicht von irgend jemandem erfunden worden sein. Sie wurden von Trotzki zu Lebzeiten von Thorez und Ercoli-Togliatti veröffentlicht und verschiedentlich nachgedruckt. Weder der eine noch der andere hat sie jemals abgestritten oder bestätigt. Nach dem 20. Kongreß hat Togliatti sich von einem in der Versenkung verschwundenen Stalin distanziert, er habe in dieser düsteren Vergangenheit in gutem Glauben gehandelt; diese Erklärung während des VI. Kongresses läßt, neben vielen anderen, stark an seinem guten Glauben zweifeln.

*51
S. Teil IV, 3.Kapitel.

*52
Vor dem VI. Kongreß der KI abgehalten, hatte er eine Orientierung angenommen, die zur Gründung "Roter Gewerkschaften" rührte, wie sich das klar zeigen sollte, als die Politik der "Dritten Periode" im vollen Gange war (Teil V, 4. Kapitel).

*53
S. voriges Kapitel (Teil V, 2. Kapitel).

*54
Es ist zweifelhaft, ob das ganze Vorgehen - dessen Initiatoren bestimmt der Wen¬dung gegenüber feindliche Absichten hatten - reiflich auch nur allein auf der Ebene der KPD, und noch viel weniger auf internationaler Ebene vorbereitet worden war, denn jedermann war von ihm höchst überrascht.

*55
In seinen Memoiren De Lenine a Staline gibt Jules Humbert-Droz eine Schilderung dessen, was im Präsidium der Exekutive der KI vorging, die auf von ihm damals verfaßten Texten beruht und infolgedessen den sich dort abspielenden Ereignissen entspricht. Abgesehen von seiner falschen Einschätzung der Politik Stalins, die er als "trotzkistisch" bezeichnete, erfährt man, daß Clara Zetkin noch zu jener Zeit wagte, innerhalb des Präsidiums gegen die Stellungnahme Stalins zu stimmen, aber das waren dort ihre allerletzten Regungen von Unabhängigkeit.

*56
Die Bedeutung, die diesem Plenum seitens der KI-Führung zugelegt wurde, läßt sich auch aus der Tatsache herleiten, daß im Unterschied zu den vorangegegangenen Plenumssitzungen das sehr umfangreiche Protokoll ungekürzt veröffentlicht wurde. Für die folgenden Sitzungen war dies nicht mehr der Fall.

*57
Es gab beim Plenum niemanden, der sich zur Rechten bekannte, mit der Ausnahme eines Schweden, Flyg, der die Politik seiner Partei zu verteidigen suchte, ohne anscheinend zu begreifen, worum es ging. In der Delegation der britischen Partei, die für die Texte stimmte, ohne die Folgen zu sehen, die sie nach sich zogen, fehlte ebenfalls weithin das Verständnis für diese Fragen.

*58
Sollte dies jemanden schockieren, so antworten wir ihm, daß die deutsche Sozialdemokratische Partei dem portugiesischen Sozialisten Soares Gelder besorgt hat, daß die Gewerkschaft Force Ouvriere in Frankreich erhebliche finanzielle Unterstützung seitens der amerikanischen Gewerkschaften erhalten hat. Wir hegen den Verdacht, daß diese Spenden nicht ohne Wissen (um nicht mehr zu sagen) der CIA gemacht wurden. - Aber das ist eine andere Geschichte.

*59
Für die Fragen des flachen Landes, siehe vor allem M. Lewin, La paysannerie et fe pouvoir sovietique 1928 - 1930 (Editions Mouton).

*60
Der Vorgang war so neu, daß Trotzki seinerzeit an die "Geständnisse" der Angeklagten der "Industriepartei" und sogar, wie er später schrieb, an die der ehemaligen Menschewiki glaubte.

*61
Die erste vollständige deutsche Ausgabe in A. Losowski, Die Rote Gewerkschaftsinternationale, ISP-Verlag Frankfurt, 1978.

*62
Siehe 1. Band, Teil III, 2. Kapitel.

*63
Internationale Presse-Korrespondenz, 1932, Nr. 45, S. 1420.

*64
Geschichte der Internationale, Hannover 1974, Bd. 2, S. 399 - 400




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