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Bäuerliche Ideologie und Wirklichkeit

    Im Anschluß an die angerissene Ideologiekritik der bürgerlichen Warenkunde, Ernährung, des Gesundheitssystems und der allgemeinen Wissenschaften in den vorhergehenden Thesen geht es in dieser These um die Kritik bäuerlicher Ideologie durch Darlegung der sozialen Lage der Bauern und der zugrunde liegenden ökonomischen & politischen Mechanismen.

 

Zur Ideologie einer bäuerlichen Landwirtschaft  

Die BSE-Fälle in der BRD traten bisher überwiegend in bäuerlichen Betrieben auf, die vom Eigentümer samt Familie eigenhändig  bewirtschaftet werden. Dadurch entpuppt sich die  Propagierung bäuerlicher Landwirtschaft als zukünftige Lösungsstrategie der ökologischen Probleme industrieller Landwirtschaft wieder einmal als wirklichkeitsfremde Ideologie.

   Die Ideologie vom freien, selbst wirtschaftenden bäuerlichen Kleinproduzenten begleitet die gesamte bürgerliche Epoche. Die Aristokratie hofierte sie, da sie sich seit der französischen Revolution 1889 als ihr militanter Bündnispartner gegen die Republik bewies. Als von der Proletarisierung bedrohte Zwischenschicht kleiner Eigentümer bildeten sie eine der Stützen des deutschen Nationalsozialismus, welcher in ihr die Urform der völkischen Familie sah und ihre Maloche zum Ideal der "deutschen" (Hand)arbeit erkor. Das postfaschistische Adenauerregime betrachtete sie als wichtigen Bestandteil seiner Ideologie der so genannten Mittelstandsgesellschaft. Der kurze Wahlsommer der NPD Ende der 1960er Jahre war das letzte politische Aufbegehren des von der Existenzvernichtung gezeichneten kleinen Bauerntums in Westdeutschland.

 

   Erst das vom Proletariat enttäuschte, stadtmüde, technik- & industriefeindliche ideelle Kleinbürgertum des Studentenmilieus der 1980er Jahre gab dieser bäuerlich-völkischen Ideologie eine neue gesellschaftspolitische Stimme. Ihre Färbung ist typisch deutsch romantisch die Rückkehr zu den "Wurzeln der Natur", zu "naturgemäßem" ökologischen Landwirtschaften –  als Lebens- & Arbeits-Gemeinschaft verklärt – tatsächlich aber Selbstausbeutungs-"Projekt". Sie waren die konservative Strömung in der Gründungsphase der Grünen, ihre Exponenten sitzen heute in den Gremien zur Beratung von Bundes- & Landesregierungen, in wissenschaftlichen und kirchlichen Institutionen. Ihr menschelnd wortgewandtes Personal rekrutiert sich à la (Menschen-)Fischer-Gang.

   So wie ein in den 1970er Jahren wildgewordener proletarisierter Kleinbürger heute als deutscher Außenminister für die Vorherrschaft der deutschen Bourgeoisie in EUROland metzgert, und so wie seine damaligen Genossen des Studentenmilieus karrieristisch in andere staatliche Felder in Führungsfunktionen aufgerückt sind – so stricken sie gemeinsam an einem deutsch-europäischen Kapitalismus, dessen konkurrenzbedingte technisch-wissenschaftliche Umwälzung sie mit ökologischem Anstrich zu verschleiern suchen. Ihre agrarpolitischen Interessen bündeln sie in agraroppositionellen Zusammenschlüssen im Schlepptau der Partei "Die Grünen" und entsprechender Öffentlichkeitsarbeit.

 

   Was die Promotoren der ökologischen, bäuerlichen Landwirtschaft gegen die industrielle Landwirtschaft sachlich vorzubringen haben, ist einäugig. Denn auch die kleinbäuerlichen Betriebe – "öko" oder konventionell – sind keine autarken Robinsonaden, sondern werden von der Industrie beliefert und liefern dorthin (siehe Nitrofen 2002). Die "Reinheit" ihrer eingesetzten Stoffe ist Illusion. Überhaupt von einer Kreislaufwirtschaft zu reden, wo die dem Boden entzogenen Nährstoffe nach ihrer Verdauung durch den menschliche Körper als Spurenelemente im Meer und als Klärschlamm auf Sondermülldeponien und im Grundwasser landen, ist Selbstbetrug. Das geschichtliche Verdienst der "ökologischen" Landwirtschaft der letzten 20 Jahren liegt in der technischen Erneuerung alter naturnäherer Bearbeitungsmethoden, der Entwicklung artgerechterer Tierhaltungsverfahren und der Erhaltung eines breiten Genpools vom Aussterben bedrohter Kulturpflanzen und Nutztierrassen.

   Die Ideologie dieses städtisch geprägten Milieus wird exemplarisch auf den Punkt gebracht in der von BUND & Misereor gesponserten Studie des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie: "Zukunftsfähiges Deutschland – Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung" (1996). Die Herausgeber betonen in dieser Kritik "der Industriegesellschaft": "... der Kern der Studie sind die Leitbilder..." Es ist die "Leitkultur" der gutbezahlten Auftraggeber: "Gut leben statt viel haben" (S. 206-224). Diese zynische Lektion der idealistisch-kleinbürgerlichen steuergeld-finanzierten Spießer und Staatspfaffen ist das ideologische Gravitationszentrum der Studie Zukunftsstaat – eine Kampfansage an den profan materialistisch orientierten Pöbel – und jetzt die Umerziehungsandrohung an die Adresse der fleischfixierten Ernährungsweise der proletarisierten Massen.

 

Zur bäuerlichen Landwirtschaft

und industriellem landwirt-schaftlichem Großbetrieb als kapitalistische Unternehmen

Die bäuerliche Ideologie verbrämt die bäuerliche Landwirtschaft als Hort nicht-kapitalistischer kleiner Warenproduktion, welche sich naturalwirtschaftlich selbst versorgt und nur den Überschuss auf den Markt bringt. Jene möchten darin, dass Kleinbauern scheinbar nicht für den Profit arbeiten, sondern auf eine hohe Qualität des Gebrauchswerts ihrer Waren achten, deren wichtige gesellschaftliche Funktion sehen.

   Der Charakter nicht-kapitalistischer kleiner Warenproduktion besteht darin, dass erstens keine Lohnarbeiter (und erst recht keine unendgeldlich schuftenden Praktikanten) eingesetzt werden, sondern der Betriebsinhaber sowie sein unbezahlter Familienanhang die Produktion bewältigen. Zweite Bedingung ist, dass das Geld, das sie durch den Verkauf ihrer erzeugten Waren erlösen, zum Kauf für Waren ausgegeben wird, die sie als Verbraucher konsumieren oder die als Ersatz in die erneute Produktion einfließen. Der kleine Bauer, der von seiner Hände Arbeit leben kann, ist in Europa die Ausnahme. Will er nun sogar noch Werkzeuge usw. zur Verbesserung seiner Produktion kaufen, reicht der Erlös aus dem Verkauf seiner Waren hierfür nur, wenn er sich selbst äußerst einschränkt als Konsument und seine Sippschaft sich als die unmittelbaren Produzenten ständig überarbeitet.

 

   Der Abstand zwischen der stagnierenden Produktivität seiner unabhängig betriebenen individuellen Arbeit und der dynamischen Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der industriellen Agrikultur erreicht einen Punkt, wo des Kleinproduzenten Arbeitsprodukte den billigen Konkurrenzprodukten kostenmäßig nicht mehr gewachsen sind, er pleite geht oder aber Kredit bei den Banken aufnehmen muss. Die Absicherung des Kredits erfolgt durch Verpfändung seiner Grundstücke, der Kredit wandelt sich zur Hypothek. Der Bauer muss nun die Grundrente aufbringen, die dem Gläubiger verkauft ist. Er ist jetzt nur noch formal nicht-kapitalistischer kleiner Warenproduzent, in Wirklichkeit als Arbeitskraft verdingt bei seinem Gläubiger. Tatsächlich ist dies der späteste Eintritt des bäuerlichen Kleinproduzenten in die kapitalistische Produktionsweise. Dies gilt heute für mehr als eine Milliarde bäuerlicher Kleinproduzenten.

   Die Aufnahme von Hypotheken ist in Kontinentaleuropa die Regel für agrarische Klein- und Großbetriebe, soweit die Betriebsinhaber selbst die Grundeigentümer sind. Die meisten landwirtschaftlichen Großbetriebe werden jedoch von Pächtern auf Basis des Kredits betrieben –  klassisch seit Jahrhunderten in England, wo das große Grundeigentum noch immer in (verbürgerlichter) aristokratischer Hand ist.

 

   Sowohl das Hypothekarsystem als auch das Pachtsystem sind Ausdruck des Prozesses der Trennung des Landwirts – als des unmittelbaren Produzenten – von Grund und Boden. Die Bezieher der Grundrente (=Grundeigentümer) sind in beiden Systemen getrennt von den Beziehern des Profits (= landwirtschaftliche Unternehmer). Im Pachtsystem ist dies offensichtlich, im Hypothekarsystem ist klar, dass die Verpfändung des Bodens eine Verpfändung oder Veräußerung der Grundrente ist.

 

   Alles in allem lässt sich festhalten, dass in Westeuropa die übergroße Mehrheit der landwirtschaftlichen Klein- wie Großbetriebe kapitalistische Unternehmen sind. Der Zweig der landwirtschaftlichen Produktion wird in Westeuropa und den USA / Kanada / Australien abschließend kapitalistisch vergesellschaftet unter fortlaufender Konzentration der Großbetriebe & Zentralisation durch die Betriebsaufgabe der mittleren und kleinen Betriebe. Das agroindustrielle Gesamtprodukt (zum größten Teil als Rohstofflieferant für das Ernährungsgewerbe [Abteilung I an Abteilung II]) hat kapitalistischen Charakter: im wesentlichen ist es Privateigentum der Kapitalistenklasse, der Großpächter, der großen privaten und aktiengesellschaftlichen Grundeigentümer als Grundrentenbezieher, sowie als Pfand (der Kleinproduzenten) des ländlichen Bankensystems; ein Zeichen dafür, dass der Prozess der Trennung des Grundeigentümers & des Arbeitsprodukts vom unmittelbaren landwirtschaftlichen Produzenten in diesem Teil der Erde wesentlich durchgesetzt ist.  

 

   Alles in allem liegen die EUROkraten gut im Zeitplan, die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe "sozialverträglich" von ca. 12 Mio (1990) auf 1 Mio Betriebe zu senken – mittels Subventions-Kürzungen des Agrar- und Ernährungssektors als modernem EU-Instrument des jahrhundertalten europäischen Agrarprotektionismus. Für die BRD sind weniger als 100.000 Betriebe angepeilt. Und wie mit der Grenzöffnung der DDR der Einbruch der Fleischpreise nach 1989 einen Schub in der Hofaufgabe der kleinen Milchviehhalter bewirkte, so wird dieser beim BSE-Syndrom vergleichbar ausfallen. Zu welchen Betriebsgrößen die Reise in Europa geht, zeigen die durchschnittlich 200 ha großen Betriebe der englischen Großpächter. Ihre Anzahl ist in den letzten zehn Jahren um 30% auf 160 000 gesunken.

   Weltweit verdrängt die kapitalistische Agrarindustrie die übrig gebliebenen freien Bauern, die Kleinbauern Asiens wie die größten US-Farmer. Die Landarmut wandert in die Ballungsgebiete, weil ihre Hände auf dem Lande überflüssig werden. In China sollen zurzeit um 250 Millionen Wanderarbeiter unterwegs sein. Nicht zu unterschätzen ist die Wucht des Krieges als Instrument der  modernen Trennung der Bauern vom Boden und des imperialen Einsatzes der Hungerwaffe. Große Gebiete sind durch Minen für Agrikultur unbrauchbar gemacht, wie in weiten Teilen Afrikas, jetzt im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan, usw.

   Die bürgerliche Ideologie hakt das Bauernsterben als "Überbevölkerung" ab. Tatsächlich sind sie Produkt permanenter kapitalistischer Umwälzung nicht konkurrenzfähiger althergebrachter Gesellschaftsreste. Das Kapital selbst schafft laufend relative Übervölkerung, indem es die lebendige Arbeit durch vergangene Arbeit in Gestalt der Maschinerie ersetzt. Kann die Tendenz der Vernichtung des Bauerntums durch die kapitalistische Produktion durch irgendeinen erdenklichen bürgerlichen, politischen Willensakt gebrochen werden? Kann es der Politik um etwas anderes gehen, als die Vernichtung des Bauerntums zeitlich so zu strecken, dass die sprichwörtlich militante Radikalisierung der Kleinbauern (exemplarisch José Bové) nicht zeitgleich an allen territorialen Fronten durchbricht?

    Linksbürgerliche städtische Kreise der Metropolen haben den kapitalistischen Charakter aller landwirtschaftlichen Betriebsgrößen nicht begriffen, sondern sind in der bäuerlichen Ideologie befangen. Denn wo sie sich zu NGO´s wie ATTAC zusammenschließen, versuchen sie jenes Bauernsterben unter dem Banner `gerechter Handel´ `Schuldenerlaß´ abzumildern. Sie demonstrieren hierdurch bestensfalls ihre politische Naivität und ökonomischen Proudhonismus romantisch verklärter Kleinproduktion. Schlimmstenfalls werden sie in einem erneuten revolutionären Anlauf dem Proletariat in den Rücken fallen.

 

Zur Tendenz der Vergesellschaftung der Arbeit in der Landwirtschaft

Der Bauernstand ist neben dem Handwerk ein Relikt feudaler Produktionsverhältnisse. Zersplitterung des privaten Grundeigentums und Einzelwirtschaft sind ihre charakteristischen ökonomischen Merkmale. Familiale Blutsbande mit patriarchalem Erbrecht gewährleisten die Generationen übergreifende Weiterbearbeitung des Ackers. Der Bauernstand ist durch die Arbeit mit dem Boden verwachsen, an die Scholle und deren Bearbeitung gebunden.

   Das Kapital ist der Sensenmann, der das Bauerntum im Laufe der Jahrhunderte nach und nach vernichtet und ins Proletariat schleudert. Vor seiner Sense stehen heute nicht mehr nur Kleinbauern, sondern überschuldete, selbstwirtschaftende mittlere/große Grundeigentümer, Großpächter und bodenarme Lohnmäster jeder betrieblichen Größenordnung.

   Das Bauerntum als Relikt feudaler Stände stirbt in Westeuropa und Nordamerika endgültig ab, die landwirtschaftliche Urproduktion wird kapitalistisch betrieben, als Agrarindustrie.  Es ist der Übergang von der Einzelbewirtschaftung zu einem agrarindustriellen gesellschaftlichen Arbeitsprozess, der zunehmend in der Hand von Lohnarbeitern liegt. Demgemäß nachrangig wird das früher zentrale Bündnis zwischen revolutionärem Proletariat und Bauern. Die Bauernfrage erledigt sich sozial-ökonomisch jeden Tag mehr. Somit steht das Proletariat tendenziell unmittelbar der Klasse der großen privaten und aktiengesellschaftlichen Grundeigentümer sowie Großpächter als Bestandteil der Bourgeoisie gegenüber.

 

   Vorstehende Tendenz darf nicht zu falschen Schlüssen führen! Die einstigen klein- bis hin zu den großbäuerlichen Zwischenklassen liegen in Schuldknechtschaft am Boden, welche sie zu endloser Produktion, ausweglosem Überarbeitungsalltag verdammt. Der auf eigene Rechnung auf eigenem Boden selbstwirtschaftende Bauer fällt de facto ins Proletariat, ebenso ergeht es selbst Pächtern aller Größenklassen. Tatsächlich haben sie Lohnarbeiterstatus, und sie sind es selbst, die große Teile restlicher landwirtschaftlicher Knochenarbeit bewältigen mit einem Tagespensum an Arbeit weit über dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Von ihnen hängt die gegenwärtige Urproduktion in der Landwirtschaft, vor allem die Tierproduktion, noch immer zu großen Teilen ab. Ihr biologisches Aussterben – sie haben keinen Nachwuchs oder keinen Hofnachfolger – signalisiert jedoch ihre geschichtliche Überlebtheit. Die 8000jährige Sesshaftigkeit der Agrikultur-Arbeiter zur Produktion der Ernährungsgrundlage der Gattung Mensch geht in weiten Teilen der Erde unwiderruflich in die Schlussphase.

 

    Der Tendenz nach: Die landwirtschaftliche Arbeit verlagert sich nach allem Vorstehenden von den Bauernhöfen als kleinräumiger Produktionseinheit in Zentren der Tierproduktion und zu einem territorialen Netz von Einzelkapitalen betriebenen Maschinenstationen für die Bodenproduktion. ABER: Die jetzige Generation der Maschinisten besteht aus teils ehemalig oder noch immer selbstwirtschaftenden Kleinbauern mit Lohnarbeiterstatus. Falls sie beim nächsten revolutionären proletarischen Anlauf die Funktion des Maschinisten als unmittelbarem agroindustriellen Produzenten noch innehaben, muss das Proletariat sie wahrscheinlich durch Schuldenerlass "einkaufen", denn zum Bündnispartner sind sie kaum zu gewinnen. Sie hängen mental zu sehr an ihrem verpfändeten Kleinbesitz und der hiermit verknüpften illusionären kleinbürgerlichen "Freiheits"-Ideologie des „Herr“ im eigenen Haus.

   Der Tendenz nach weiterhin: Die schon jetzt nachrückenden Maschinisten sind nicht mehr auf der "Scholle" geboren, sie sind nachgeborene Lohnarbeiter, die zuvorderst eine Generation von Technikern der agrarindustriellen Großmaschinerie sind, ohne unmittelbar ideologischen Bezug zur bäuerlichen Ideologie. Dies ist die endgültige, wortwörtliche Trennung des unmittelbaren Bodenproduzenten vom (sich auf großer Stufenleiter konzentrierendem kapitalistischen) Grundeigentum. Während der Bauernstand über Generationen fest an die Scholle als Produktionsmittel gebunden war, ist kein industrieller Arbeiter mehr lebenslang an die agrikulturelle Arbeit gekettet.

   Die ländlichen industriellen Lohnarbeiter reorganisieren die bisher zersplitterte Produktion des Agrarsektors als kapitalistisch vergesellschafteten Teil der gesamtgesellschaftlichen Produktion. Es ist die industriell mechanisierte Umwandlung des vorher kleinmaschinellen Arbeitsprozesses, jetzt erledigt von Teilen des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters. Die Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit senkte den Anteil der Agrikultur an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit von einst weit über 50% bis heute unter 3%. Dies erleichert dem revolutionären Proletariat die Sicherung der gesellschaftlichen Ernährungsgrundlage praktisch wesentlich gegenüber seinen Anläufen zur Eroberung der politischen Macht 1917 in Russland, 1918 in Deutschland und Ungarn und 1936 in Spanien. Das Proletariat hält die laufende Sicherung der Nahrungsmittelproduktion sowie des agroindustriellen Gesamtprodukts tagtäglich in zunehmendem Maß in eigenen Händen, im wörtlichen Sinne.

 

   Der sachlichen Seite der vergesellschafteten industriellen Agrikultur ist es keineswegs geschuldet, was an Irrsinn in der landwirtschaftlichen Urproduktion abläuft. Der industrielle Arbeitsprozess als solcher ist nicht Ursache der Überdüngung der Böden, einhergehender Nitratverseuchung des Grundwassers, krankheitsanfälligem Pfanzenwuchs, dem mit Wachstumshormonen und Fungiziden begegnet wird, welche nachfolgend die einfachsten universellen Pilzstämme resistent werden lassen –  soweit, dass z.B die medikamentöse Behandlungen menschlicher Pilzerkrankungen wirkungslos und die Krankenhäuser mit resistenten Pilzstämmen verseucht sind. Eben sowenig sind mit der industriellen Tierproduktion per se tierartwidrige Haltungssysteme und Einsatz von Antibiotika, Wachstumshormonen und Verfütterung schadstoffhaltiger Inhaltsstoffe zwangsläufig verknüpft.

   Diese und ungezählte andere Formen heutiger destruktiver Nahrungsmittelproduktion sind vielmehr ihrer kapitalistischen Form geschuldet. Denn die Gesellschaft hat z.B. die Zeit, den Nutztieren ihre je eigene Reifezeit zuzugestehen und den Platz, den die Tiere für ein gedeihliches Leben benötigen und einen möglichst kurzen und stressfreien Weg zur Schlachtbank ohne qualvollen Tod. Was kann eine politische Agrarwende inhaltlich hieran ändern, wenn die kapitalistische Produktionsform ständiger Profite beherrschend bleibt, weil deren Grundlage, das Privateigentum an den Produktionsbedingungen nicht angetastet werden soll?      „Die Moral von der Geschichte, die man auch durch sonstige Betrachtung der Agrikultur gewinnen kann, ist die, daß das kapitalistische System einer rationellen Agrikultur widerstrebt oder die rationelle Agrikultur unverträglich ist mit dem kapitalistischen System (obgleich dies ihre technische Entwicklung befördert) und entweder der Hand des selbst arbeitenden Kleinbauern oder der Kontrolle der assoziierten Produzenten bedarf!“                                                                                                                            Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 131

  

 

Zum Konzentrations- & Zentralisationsprozeß der Landwirtschaft Deutschlands 

   Im Jahre 2000 wirtschafteten in der BRD ca. 450 000 landwirtschaftliche Betriebe. Davon sind nur 25 000 größer als 100 ha (= 1 Quadratkilometer = qkm). Alle Betriebsgrößen darunter sind im Schwinden begriffen (Handelsblatt 15.2.01). Zum Vergleich: die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähigen Betriebe der Bodenproduktion bearbeiten zurzeit 5 - 10 qkm. Weltumspannendes Agrarfarming angelsächsischer Kapitalfonds bewegt sich derzeit in der Größenordnung über 500 qkm. Ironie der real-sozialistischen Kollektivierung: Die LPG-Nachfolgebetriebe der Magdeburger Börde – mit 10-50 qkm Fläche – sind zu den bestpositionierten Ackerbau-Großbetrieben der EU  aufgestiegen.

   Die Entwicklungstendenzen der Maschinen für die Bodenbearbeitung und Ernte bis hin zu satellitengestützten Agrarrobots treiben den Zentralisationsprozess landwirtschaftlicher Bodenproduktion voran. Tendenziell verschwindet der selbst ackernde Bauer als unmittelbarer Bodenbearbeiter, auch er greift wie obige 25 000 Großbetriebe zunehmend auf kapitalistische Lohnunternehmer mit entsprechender Agrartechnik zurück. Übrig bleibt dem Bauern, weiterhin auf eigene Rechnung den Betrieb zu führen, ohne den Boden selbst zu bearbeiten. Oder er verpachtet sein Land an die wenigen übrig gebliebenen lokalen zupachtenden "Wachstums"-Betriebe oder an Agrarfarming. In beiden Fällen ist er gezwungen, sich einen Job als Lohnarbeiter zu suchen.    

 

   Gehen wir nun von der Bodenproduktion über zur Nutztierproduktion. Die Tierproduktion Westeuropas wird in zunehmendem Maße arbeitsteilig getrennt von einhergehender Bodenproduktion und konzentriert sich in küstennahen Gebieten. Ihren Nachschub an billigen eiweißkonzentrierten Futtermitteln erhalten die Betriebe der Tierproduktion aus den Importhäfen. Es sind dies die Nebenprodukte der dort gelöschten und in Ölmühlen weiterverarbeiteten kohlenhydrat-, fett-/öl-, eiweißhaltigen Produkte wie Sojabohnen, Palmölkerne, Sonnenblumenkerne, Rapssaat etc. sowie die Abfälle der Fischindustrie.

   Der Konzentrationsprozess des in der Tierproduktion fungierenden Kapitals erfaßte in der BRD in den 1970er Jahren die Eier- und Geflügelproduktion durch den Einstieg von außerlandwirtschaftlichen Einzelkapitalisten, danach entwickelte sich die Schweine- & Rinderproduktion zu einem Lohnmastsystem formell selbstständiger, bodenarmer Landwirte. Diese sind bei ihren Lieferanten und Genossenschaftsbanken überschuldet und somit zu noch umfangreicherer Produktion ohne Ende verdammt.

   Seit 15 Jahren beschleunigt sich auf der Basis billiger Futtermittel der Zentralisationsprozess in der Rohmilchproduktion durch Aufstockung der Milchviehbestände pro Grundfutterfläche sowie Zupachtung der Weideflächen der aufgegebenen kleinen Betriebe bis 20 Kopf Milchvieh. Nun werden viele der Betriebe "weichen" müssen, die in den 1980-90er Jahren "gewachsen" sind. Selbst wenn der Milchpreis nicht einbrechen sollte, wird die Haltung einer 100 köpfigen Milchviehherde nicht rentabel sein, wenn die einhergehende Kälber- und Fleischproduktion ein großes Minusgeschäft sind. Der gerade auf den Markt gekommene Melkroboter samt Futtermitteldosierung macht 1000 köpfige Milchviehherden unter Fernüberwachung mit minimiertem Arbeitskrafteinsatz tendenziell zur Regel.

   In Deutschland gibt es gegenwärtig noch eine große Anzahl von Nebenerwerbslandwirten. Dies ist der gezielten Standortwahl industrieller Großkapitale in strukturschwachen Agrarregionen geschuldet. So kamen sie an kräftige, billige und ideologisch willfährige Handarbeiter. Diese Nebenerwerbsbetriebe werden von den proletarisierten Nachkommen stillgelegt werden wie die Masse der jetzt noch selbst bewirtschafteten, hoch verschuldeten Bauernhöfe, so dass 2010 bei Fortdauer der kapitalistischen Produktionsweise die Anzahl der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in Deutschland unter 200 000 liegen wird.

 

Politisch-ökonomische Stellung  des Agrarsektors

Der Beitrag der Landwirtschaft zum Bruttosozialprodukt ist in allen hoch industrialisierten Staaten prozentual vernachlässigbar. Die strategische Stellung der Landwirtschaft blitzt jedoch z.B. auf in der kategorischen Weigerung Japans und Südkoreas, ihre hochsubventionierte, kleinparzellige Reisproduktion zugunsten von US-Reisexporten zurückzufahren. Würden sie dem Druck der US-Politik nachgeben, dann würden sie – als ökonomische Großmacht – sich der Gefahr der Erpressung mit der Hungerwaffe aussetzen. Kein im imperialen Kraftfeld mitmischender Staat kann auf die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln verzichten.

   Dementsprechend betreiben alle bürgerlichen Staaten eine ihrer spezifischen Verwundbarkeit gemäße Protektion der Landwirtschaft, ob nun die Subventionen unmittelbar den Bauern oder mittelbar dem Ernährungsgewerbe oder dem Exporthandel zukommen. Dies ändert sich nicht grundsätzlich, wie sehr auch immer z.B. die EU-Agrarordnung die Rahmenbedingungen verschieben mag. Die jetzigen Butter-, Fleisch-, Getreideberge der EU verdecken zudem die strategische Nahrungsmittelreserve, die die herrschenden Klassen seit Pharaos Zeiten für Krisensituationen anlegen müssen.  

 

   Hätte die epidemische Rindererkrankung an BSE und der viralen Maul&Klauen-Seuche die Exportstellung des europäischen Ernährungsgewerbes auf dem Weltmarkt dramatisch verschlechtert, so hätte sich Deutsch-EUROland die strategische Nahrungsmittelwaffe selbst aus der Hand geschlagen und seinem Hauptgegner USA dieses strategische politische Feld freiwillig geräumt. Der subventionierte Nahrungsmittelexport wie z. B. die "Schenkung" von Rindfleisch an Nordkorea schlagen nämlich mittelfristig zur Hungerwaffe um, weil sie die Eigenproduktion der "beglückten" Staaten tendenziell zerstören. US-Senator Boschwitz brachte dies 1985 so auf den Punkt: "Wenn wir jetzt nicht unsere Agrarpreise senken, um diese Entwicklungsländer davon abzubringen, Nahrungsmittelselbstversorgung anzustreben, dann wird unsere weltweite Handelsposition weiterhin rutschen." (GREEN PAPERS 10, S.68f). Die laufende Zuspitzung der imperialen Widersprüche, wie sie sich in den WTO-Runden abzeichnet, lässt keinen Raum für naive Vorstellungen einer ökologisch bestimmten Agrarproduktion für "den Markt" jenseits der Vernichtung von Ernteüberschüssen in "guten" Jahren und gesunden Viehbeständen bei Seuchenausbreitung.

 

   Der deutsche Faschismus sah als wesentliche Bedingung der Erringung der Weltherrschaft die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung an. Auf dem damaligen geringen Stand der Produktivität der Agrikultur fußte sein Konzept auf der Eroberung und Besetzung der ukrainischen Schwarzerdeböden und ihrer wehrdorfmäßiger Bewirtschaftung durch Bauern des „deutschen Volks ohne Raum" unter Heranziehung der slawischen Völker zu Arbeitssklaven. Als dies schief ging, war die territorial abgespeckte BRD nach 1949 gezwungen, die Sicherung der Nahrungsgrundlage durch eine zuvor unbekannte Intensivierung der Landwirtschaft zu gewährleisten. Das Ergebnis ist heute zu besichtigen: Der Viehbestand pro Grundfutterfläche und der Ertrag an Bodenprodukten pro Hektar liegt doppelt so hoch wie in flächenreichen Staaten wie den USA. Dies ist nur unter Masseneinsatz chemischer Industrieprodukte möglich.

 

   Nun verspricht die grünlackierte Gouvernante Künast, in einer angepeilten Agrarwende den Anteil der "ökologischen" Landwirtschaft auf 20% zu erhöhen. Die fruchtbaren Löß-, Marsch- und Aueböden der BRD sind nun aber von Großbetrieben intensiver Bodenproduktion besetzt. Die extensive Landwirtschaft kann also höchstens auf den schlechteren Böden der Mittelgebirge und norddeutschen Geesten Fuß fassen. Dementsprechend wird der Ökolandbau hier zusammen mit einem staatlich bezahlten Nebenerwerb die Landschaftspflege übernehmen. Denn die bestehenden Raumplanungen der Bundesländer weisen diese Regionen als Erholungszonen der Ballungsgebiete aus. Hierdurch wird jedoch die intensive Bewirtschaftung der fruchtbaren Böden nicht berührt. Somit ist die Agrarwende nicht mehr als die ideologische Verpackung der Tendenz des Herausfallens der im EU-Jargon "benachteiligten Gebiete" aus dem Agrobusiness. Mehr Öko ist nicht drin, denn sonst müsste die Massenproduktion tatsächlich um mindestens 30% heruntergefahren werden, z.B. durch staatliche Regulierung der Höchstgrenzen von Stickstoffdüngung und Viehbeständen pro Flächeneinheit. Was einen spürbaren Preisanstieg der Grundnahrungsmittel bedeuten würde und somit die Arbeitskraft verteuern würde. Doch das Diktat des Kapitals steht spätestens seit den Maastricht-Verträgen: die Preise der europäischen  landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind auf Weltmarktniveau zu senken, was nun einmal nur über einzelbetriebliche, steigende Massenproduktion möglich ist.

 

   Die ökokapitalistisch betriebene Landwirtschaft als verallgemeinerte Produktionsmethode lugt jedoch zugleich am mittleren Zeithorizont hervor. Deutsch-EUROland-Konzerne der Nahrungsmittelerzeugung, -verarbeitung & des -handels zieht es mächtig nach Osteuropa. Die Kapitalisierung der osteuropäischen Agrarindustrie nimmt verschiedenste Gestalten an. Große Agrarflächen Westpolens und Lettlands geraten beispielsweise direkt oder über Strohmänner spottbillig als Privateigentum in westliche Hände. Polen hat sich dem Beitrittsdiktat der EU notgedrungen unterworfen: Polen z.B. nimmt 5 Mio. seiner jetzigen 7 Mio. kleinbäuerlichen Landbevölkerung durch "soziale" Maßnahmen aus der Landwirtschaft. Daimler-Chrysler zog z.B. in der Ukraine einen 1500 qkm großen agroindustriellen Komplex samt Weiterverarbeitung hoch. Südzucker beherrscht als Beispiel das tschechische Zuckermonopol.

   Da die Konzerne sich so in räumlicher Nähe zur BRD eine neue Rohstoffquelle und ein neues Absatzgebiet sichern, liegt folgendes Szenario nahe: Der Produktivitätsrückstand der Landwirtschaft von Ost- zu Westeuropa, der dortige geringere Einsatz von Agrochemie und heutiger Technik aufgrund von Kapitalmangel sowie die gewaltigen agraischen Flächenausmaße könnten genutzt werden, die gesamte westeuropäische Landwirtschaft zu extensivieren. Die im Osten auf Großbetrieben (ab 50 qkm) mit billiger Arbeitskraft "ökologisch" produzierten Nahrungsmittelmassen, inklusive der Sonderkulturen Obst und Gemüse, drücken nachfolgend das Preisniveau im Westen auf Weltniveau herunter. Die ostdeutschen LPG Nachfolgebetriebe auf den schlechten Böden machen dies heute teilweise schon vor. Das jetzt überaltende ehemalige "Volk ohne Raum" wird tendenziell versorgt aus dem tendenziellen "Raum ohne Volk" Osteuropas. Deutsch-EUROland behält somit seine Hungerwaffe durch die ökonomische und politische Durchdringung seines osteuropäischen Hinterhofs bei gleichzeitiger Extensivierung seiner mit hohen gesellschaftlichen Nebenkosten verbundenen Landwirtschaft in Westdeutschland. Dabei bleiben die Nahrungsmittelvorräte als potentielle Hungerwaffe Bestandteil des Kampfs der Triade USA – Euroland – Japan um den Weltmarkt.