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Team Elmar Altvater
Thema ZU EINIGEN PROBLEMEN DES STAATSINTERVENTIONISMUS ( original )
Status 11/2006
Letzte Bearbeitung PROKLA 3 Mai 1972
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- ZU EINIGEN PROBLEMEN DES STAATSINTERVENTIONISMUS -
1. Einleitung
2. Die ,Besonderung' des Staates in der bürgerlichen Gesellschaft
2.1. Herstellung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen (´Infrastruktur´)
2.2. Setzung und Sicherung von allgemeinen Rechtsverhältnissen
2.3. Regulierung des Konflikts Lohnarbeit und Kapital
2.4. Sicherung der Existenz und Expansion des nationalen Gesamtkapitals auf dem kapitalistischen Weltmarkt
2.5. Schlussfolgerungen hieraus auf den Charakter des Staates
3. Die Herstellung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen durch den Staat
Exkurs zur Herstellung allgemeiner Produktionsbedingungen in der asiatischen Produktionsweise
4. Die Regulierung von Krisen durch den Staat
4.1. Die Funktion der Krise in der kapitalistischen Gesellschaft
- Exkurs zum Verhältnis von Widerspruch und Krise im ´Kapital´ -
4.2. ´Keynesianische´ Staatsfunktion und Stagflation
5. Die Bedeutung der Wissenschaft vom Staatsinterventionismus

- ZU EINIGEN PROBLEMEN DES STAATSINTERVENTIONISMUS -

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Über den Arbeitszusammenhang dieses Artikels in Probleme des Klassenkampfs (PROKLA 3 vom Mai 1972)*0

1. Einleitung

Es soll hier versucht werden, die Möglichkeiten und Grenzen des Staatsinterventionismus*1 in der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft herzuleiten. Um aber diese Möglichkeiten und Grenzen bestimmen zu können, sind die Funktionen des Staates in der kapitalistischen Gesellschaft in einem allgemeineren Sinne als sie im Begriff des Staatsinterventionismus anklingen, zu entwickeln. Jede Begrenzung der Analyse auf die bloßen Funktion des ökonomisch verstandenen Staatinterventionismus muß von vornherein blind für die allgemeinen Funktionsbedingungen der kapitalistischen Gesellschaft und ihres Staates und daher auch für die Erkenntnis der Möglichkeiten und Grenzen sein*2 , da diese sich ja nur aus der spezifischen Form der Gesellschaft ergeben. Bei der allgemeinen Bestimmung der "wesentlichen Charaktere" des bürgerlichen Staates allerdings kann es nicht bleiben, sollen einzelne

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Fragen des Staatsinterventionismus behandelt werden. Denn die Erscheinungsformen gesellschaftlicher Krisen und daher auch die interventionistischen Antworten des Staates unterliegen historischen Wandlungen, die jeder Analyse ernsthafte Probleme stellen, auf die zu Anfang kurz eingegangen werden soll.

Wenn man nicht die "Bewegung im abstrakten Zustand", als "Bewegung der reinen Vernunft" rein logisch zu deduzieren trachtet*3 , dann gilt es, in den historischen Bedingungen und Entwicklungen der bestehenden Gesellschaft deren innere Struktur aufzudecken. Im Verlauf eines Forschungsprozesses hat man sich dann wie Marx schreibt, den Stoff im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, "so mag es so aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion apriori zu tun."*4

Diese Explikation des Marxschen Forschungsprozesses läßt sich nun dahingehend interpretieren, daß die vielfältigen und komplizierten Erscheinungsformen des hochentwickelten Kapitalismus selbst Gegenstand der Untersuchung sein müssen und jede programmatische Beschränkung auf die Marxsche Darstellung des Kapitalbegriffs sich eines Resultats bemächtigt, das selbst nur als Resultat eines Prozesses der Erkenntnis, als Resultat eines umfassenden Forschungsprozesses, richtig verstanden werden kann. Dieser Erkenntnisprozeß im Sinne eines durchaus arbeitsteilig, d. h. kollektiv, zu organisierenden theoretischen Arbeitsprozesses*5 muß sich als Forschungsarbeit auch auf die Ausprägungen des hochentwickelten Kapitalismus beziehen und kann nicht dadurch abgekürzt werden, daß die "fertige allgemeine Theorie des Kapitals", d. h. die Marxsche Darstellung des Kapitalbegriffs, übernommen, in ihren Verästelungen angeeignet wird. Dies kann und soll nicht heißen, daß die intensive Beschäftigung mit der Marxschen Theorie, ihre genaue Aneignung und Rekonstruktion überflüssig sei. Im Gegenteil,

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erst das Studium des "Kapital" und die damit erfolgende logische Durchdringung der inneren Struktur der bestehenden Gesellschaft ermöglicht es, Fragestellungen zu entwickeln, die den an historischen Erscheinungen ausgerichteten Forschungsprozeß zu leiten vermögen. (Fragestellungen ergeben sich unseres Erachtens auf "jeder Stufe der Aneignung des Kapital", und nicht erst zu dem eher mystischen Zeitpunkt, an dem Theorie in Methode umschlägt.) Dieser Forschungsprozeß aber, der ja immer von Subjekten mehr oder weniger schlecht vollzogen wird, die innerhalb eines bestimmten historischen und politischen Zusammenhangs stehen, ist erst vorläufig bestimmt, solange nur Fragestellungen - oder noch nicht einmal das - aus dem "Kapitalbegriff im Allgemeinen" hergeleitet werden und nicht zugleich schon die "das herrschende Bewußtsein bestimmenden herrschenden Theorien und objektiven historischen Bedingungen" in einem wenn auch vorläufigen und nicht in jeder Beziehung systematischen Sinn kritisiert werden. Der "Theoretiker" hat es hier nicht besser als der "politische Praktiker": Um nicht den objektiven und subjektiven Bewegungen permanent hinterherzuhinken, ist es notwendig, sich auch dann bereits Problemen zuzuwenden und sich mit ihnen auseinander zu setzen, wenn der systematische Gang der Forschung und Aufarbeitung von Theorien es eigentlich noch gar nicht zuläßt. Marx selbst hat in einer Fülle von Artikeln, Erklärungen, Reden, Adressen permanent zu aktuellen politischen Fragen Stellung bezogen, ohne jeweils im einzelnen auf den "Kapitalbegriff im Allgemeinen" zu rekurrieren - ja ohne dessen Systematik bereits ausgearbeitet zu haben. Er hat sich nicht gescheut, die empirische Oberfläche zu interpretieren und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen; die von den historischen Verhältnissen aufgeworfenen Probleme haben ihn dazu veranlaßt oder gar gezwungen und wir sind es in unserer historischen Epoche gleicherweise. Insofern ist die Aneignung der Marxschen Theorie unbedingt notwendig, aber nicht als ein Instrument, das vor der Auseinandersetzung mit Problemen der wirklichen Bewegung und Theorien gelernt sein muß, und auch nicht als ein Dogma, das nur noch "ex cathedra" auslegebedürftig sei, sondern als begriffliche Abstraktion der wirklichen Bewegung des Kapitalverhältnisses, die mit der historischen Entwicklung des Kapitalismus auch neue Fragen aufwirft, die nicht das Wesen dieser Gesellschaft, die Form ihrer Widersprüchlichkeit, wohl aber die Erscheinungsformen des Kapitalverhältnisses berühren. Und die "Realanalyse" umschließt sowohl die Analyse des Wesens als auch der Erscheinungen (sowohl in ihrer systematischen begrifflichen Herleitung als auch ihren konkreten historischen Verlaufsformen). Die Betonung des "doppelgleisigen" Vorgehens - Aneignung der von Marx dargestellten logischen Struktur des Kapitalbegriffs und Analyse historischer Erscheinungsformen des Kapitalismus - darf allerdings keinesfalls als methodisches Postulat verstanden werden. Allerdings gibt es auch keinen Königsweg vom allgemeinen Kapitalbegriff zur Oberfläche des Kapitalverhältnisses und den historischen Verlaufsformen einer konkreten Gesellschaft. Diese Doppelgleisigkeit ist vielmehr politisch begründet, aus der Einsicht, daß man mit der Analyse konkreter Probleme nicht so lange warten kann, bis der Springpunkt des Umschlags

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von Theorie in Methode endlich erreicht ist. (Diesen Springpunkt kann es gar nicht geben, da jede nur auf die Logik der Kategorie bezogene Untersuchung, die nicht an die politische Bedingtheit der forschenden Subjekte "rückgekoppelt" ist, sich der Endlosigkeit kategorialer Entfaltung aussetzt.)

Während die besondere Form des bürgerlichen Staates in "wesentlichen Charakteren" allen kapitalistischen Gesellschaften gemeinsam ist*6 stellt sich das Problem des modernen Staatsinterventionismus doch erst in einer Entwicklungsphase des Kapitalverhältnisses, in der sich historische Bedingungen wie die Herstellung eines kapitalistischen Weltmarktes, verschärfte Klassenkämpfe im nationalen und internationalen Maßstab, ein entfalteter Staatapparat zusammen mit institutionellen Verfestigungen des Konflikts Lohnarbeit Kapital usw. herausgebildet haben. Auf der Grundlage der wesentlichen Charaktere des Staates im Kapitalismus vollziehen sich Veränderungen der Staatfunktionen, die mit der Analyse der wesentlichen Charaktere noch längst nicht im Griff sind. Um diesem Problem also gerecht zu werden, käme es gerade darauf an, diesen nur sehr kurz angedeuteten historischen Bedingungen genau nachzugehen, sowie die damit entstandenen Theorien als Systematisierungen dieses Zustandes zu kritisieren, was an einigen Beispielen in diesem Aufsatz auch versucht werden soll. Die allgemeine Theorie kann nicht als solche der "schmutzigen" Geschichte wie ein "Zauberspiegel", in dem von den Verunreinigungen der Empirie nichts mehr zu sehen ist, entgegengehalten werden. Der verkehrte Schein des Wesens des Kapitals stellt sich auch als wirkliche Kategorien, sich historisch entfaltende Formen, in denen sich diese Gesellschaft materialiter reproduziert, dar. Der Staatsinterventionismus und die darauf bezogenen Theorien dürfen daher auch nicht nur als eine falsche Vorstellung von den Staatsfunktionen im Kapitalismus kritisiert werden, sondern er ist sehr wohl als wirkliche Aktion des Staates auf die Gesellschaft unter jeweils wechselnden historischen Bedingungen zu begreifen.*7 Erst auf der Grundlage dieses Sachverhalts sind die Theorien des Staatsinterventionismus zu kritisieren.

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Unter Berücksichtigung der angeschnittenen Schwierigkeiten kann es in diesem Aufsatz nur darum gehen, einige allgemeine, gegenwärtig relevante Erscheinungsformen des Staatsinterventionismus zu erörtern, die natürlich der Konkretisierung und Ausführung bedürfen. Wir worden im Folgenden Diese Problemkreise sind weniger einer entwickelten Systematik der Darstellung des Staatproblems geschuldet, als nach ihrer politischen Wichtigkeit ausgesucht. Der Aufsatz selbst versteht sich als Beitrag zur Entwicklung einer marxistischen Staatstheorie.

2. Die ,Besonderung' des Staates in der bürgerlichen Gesellschaft

Der Staat ist im Kapitalismus Organ der Herrschaft des Kapitals über die Lohnarbeiterklasse. Diese Aussage ist nicht nur politische Erfahrungstatsache, die in der bisherigen Geschichte der verschiedenen kapitalistischen Länder immer wieder gemacht wurde und wird, sondern läßt sich auch systematisch ableiten. Um aber diese Herleitung vollziehen zu können, muß von den Bedingungen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses ausgehend das sich auch politisch ausdrückende Klassenverhältnis in der bürgerlichen Gesellschaft untersucht und darin die Funktion des Staates bestimmt werden. Diese Herleitung allerdings wird in diesem Aufsatz nicht vollzogen, da wir uns nur einer Seite staatlicher Aktionen zuwenden, nämlich seinen Aktionen auf die vielen Einzelkapitale. Entscheidend für unser Problem ist dabei die Frage, in welcher Weise die reale Zusammenfassung der aus vielen Einzelkapitalen bestehenden Gesellschaft erfolgt und welche Bedeutung dabei dem Staat zukommt.

Auf der von Marx analysierten Ebene des "Kapital im Allgemeinen"*8 wird die reale Existenz des Kapitals als gesellschaftliches Gesamtkapital vorausgesetzt. Das Gesamtkapital Ist die Zusammenfassung im Sinne der realen

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Durchschnittsexistenz der vielen Einzelkapitalen, deren subjektives Handeln entsprechend den jeweiligen Bedingungen im Resultat "hinter ihrem Rücken", die Durchschnittsbedingungen als die Bedingungen des Gesamtkapitals hervorbringt. "Bewegungsgesetze" der kapitalistischen Produktionsweise beziehen sich daher immer auf das Gesamtkapital, niemals auf die vielen Einzelkapitale, die jedoch in ihren Aktionen bewußtlose Vollzugsorgane kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten sind. Denn nicht das Gesamtkapital handelt, sondern die vielen Einzelkapitale; aber in ihrem Handeln erzeugen die Einzelkapitale die Existenzbedingungen des Gesamtkapitals: durchschnittliche Ausbeutungsbedingungen, gleiche Mehrwertrate, Durchschnittsprofitrate. Auf der, begrifflichen Ebene des "Kapital im Allgemeinen" werden die Durchschnittsbedingungen und ihre gesetzmäßigen Bewegungen analysiert, d. h. das Handeln der Einzelkapitale interessiert hier nicht als solches, sondern nur seine Resultaten.*9 Allerdings ist auch auf der begrifflichen Ebene das Kapital im Allgemeinen die Form entwickelt, in der sich die allgemeinen Gesetze (als Tendenzen) der kapitalistischen Produktionsweise aus dem und gegen das Handeln der vielen Einzelkapitale durchsetzen. Diese Form ist die Konkurrenz, in der sich die immanenten Zwangsgesetze der kapitalistischen Produktion geltend machen. Die Konkurrenz ist aber nicht bloße Form, die gleichgültige Inhalte exekutiert, sondern gerade die Form der Durchsetzung der immanenten Gesetze des Kapitals. Sie ist also nicht bloß Instrument, gleichgültig gegen die Inhalte, sondern real und begrifflich notwendiges Moment zur Herstellung des Kapitals als Gesamtkapital. Die Durchschnittsbedingungen und Bewegungen des realen Gesamtkapitals sind die reale Basis der begrifflichen Abstraktion des "Kapital im Allgemeinen".*10

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In der Konkurrenz kann das Kapital als Gesamtkapital aber nur insoweit hergestellt werden, als die einzelnen Kapitale sich wirklich aufeinander beziehen. Dies können sie jedoch nur, insofern sie kapitalistisch handeln, d. h. als Mehrwert produzierende Kapitale. Nicht alle gesellschaftlichen Funktionen aber lassen sich in diesem Sinne kapitalistisch ausführen, sei es weil die Produktion bestimmter (materieller) Produktionsbedingungen keinen Profit abwirft, sei es weil der Allgemeinheitsgrad mancher Regelungen unter jeweils konkreten Bedingungen zu groß für ihre Wahrnehmung durch Einzelkapitale mit Ihren jeweiligen Sonderinteressen ist. Aus der kapitalistischen Form der Produktion ergibt sich also gleichermaßen notwendig, daß die einzelnen Kapitale sich zum Gesamtkapital in der Konkurrenz konstituieren und daß diese Konstituierung zur kapitalistischen Gesellschaft in Form der Konkurrenz allein gar nicht angelegt sein kann. Der Hinderungsgrund liegt im Kapital selbst, da die spezifische Form gesellschaftlicher Beziehungen - Warentausch und Kapitalproduktion - bestimmte Verhältnisse gar nicht erst zustande kommen läßt, wenn ihre Herstellung nicht profitabel ist oder aber ihre Herstellung in einem Ausmaß und unter Bedingungen erfolgt, die die Existenz der ganzen Gesellschaft gefährden (z. B. Destruktion der natürlichen Ressourcen einer Gesellschaft, der "Umwelt" als aktueller Beleg). Das Kapital kann somit von sich aus in den Aktionen der vielen Einzelkapitale die in ihm angelegte Gesellschaftlichkeit seiner Existenz nicht produzieren; es bedarf auf seiner Grundlage einer besonderen Einrichtung, die seinen Grenzen als Kapital nicht unterworfen ist, deren Handeln also nicht von der Notwendigkeit der Mehrwertproduktion bestimmt ist, die in diesem Sinne eine besondere Einrichtung, "neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft"*11 ist, und die gleichzeitig auf der unangetasteten Grundlage des Kapitals den immanenten Notwendigkeiten nachkommt, die das Kapital vernachlässigt. Im Staat entwickelt demzufolge die bürgerliche Gesellschaft eine spezifische, das Durchschnittsinteresse des Kapitals ausdrückende Form.*12 Der Staat kann also weder als bloßes politisches Instrument noch als vom Kapital abgehobene Institution begriffen werden, sondern nur als besondere Form der Durchsetzung der gesellschaftlichen Existenz des Kapitals neben und außer der Konkurrenz, als wesentliches Moment im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß des Kapitals.*13

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Wann der Staat auch das Durchschnittsinteresse des Kapitals ausdrückt, so doch nicht in einer widerspruchsfreien Weise. Denn der Begriff der Durchschnittsexistenz des Kapitals hebt nicht die Aktionen und Interessen der vielen Einzelkapitale auf, die als solche gegensätzlich zueinander stehen. Diese Gegensätze hebt weder die Konkurrenz auf, noch sind sie der Konkurrenz oder der "Anarchie des Marktes", wo sie erscheinen, geschuldet, noch kann der Staat sie beseitigen. In diesem Sinne ist der Staat also niemals wirklicher, materieller Gesamtkapitalist, sondern immer nur ideeller oder fiktiver Gesamtkapitalist.*14 Dies ist der Inhalt der Kategorie der "Besonderung des Staates", der "Verdoppelung" der bürgerlichen Gesellschaft in Gesellschaft und Staat. Daraus läßt sich schon an dieser Stelle eine wichtige Schlußfolgerung ziehen: Der Staat substituiert nicht die Konkurrenz, sondern er tritt neben sie, und in bezug auf das die immanenten Gesetze ihrer Durchsetzung begrifflich zusammenfassende Wertgesetz bedeutet dies nicht seinen Ersatz oder gar seine Aufhebung, sondern seine entsprechende Modifikation. So macht der Staat die Konstituierung der in Einzelinteressen zerfallenden Gesellschaft historisch erst möglich gerade aufgrund der Tatsache, daß er ihre Existenzgrundlage sichert (wie Erhaltung der Lohnarbeiterklasse als Ausbeutungsobjekte des Kapitals, Schaffung allgemeiner Produktionsbedingungen, Rechtsverhältnisse), die das Kapital entweder infolge seines durch die Konkurrenz aufgeherrschten Zwangs zur maximalen Kapitalverwertung immer wieder zu destruieren tendiert (vgl. Ausdehnung des Arbeitstags,

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verschärfte Intensivierung der Arbeit und als Antwort darauf Arbeitsschutzgesetze usw.) oder aber gar nicht zu erzeugen vermag, da die Erzeugungsbedingungen nicht kapitalistische Produktion implizieren (wie es auf einen Großteil der allgemeinen materiellen Produktionsbedingungen zutrifft). Der Staat nimmt also Funktionen zur Erhaltung der kapitalistischen Gesellschaft wahr, und er kann sie gerade deshalb wahrnehmen, weil er als besondere Institution neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft den Notwendigkeiten der Mehrwertproduktion nicht unterworfen ist, wie das Einzelkapital, und sei es noch so groß. Die adäquate Form des Staats im Kapitalismus ist demnach die gegenüber den Einzelkapitalen besondere Existenz und nicht etwa diejenige als "Instrument der Monopole". (Dies wird er erst in einem vermittelten Sinne.)

Welches sind aber die Funktionen, die der Staat innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft wahrnimmt, da Einzelkapitale sie nicht wahrzunehmen vermögen? Es sind dies im wesentlichen vier Bereiche, in denen der Staat vor allem tätig wird, nämlich:
  1. Herstellung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen ("Infrastruktur");
  2. Setzung und Sicherung von allgemeinen Rechtsverhältnissen, in denen sich die Beziehungen der Rechtssubjekte in der kapitalistischen Gesellschaft abspielen;
  3. Regulierung des Konflikts Lohnarbeit und Kapital und gegebenenfalls politische Unterdrückung der Arbeiterklasse und zwar nicht nur mit rechtlichen, sondern auch mit polizeilichen und militärischen Mitteln;
  4. Sicherung der Existenz und Expansion des nationalen Gesamtkapitals auf dem kapitalistischen Weltmarkt.
Alle diese Funktionen sind zwar sozusagen allgemeine Charakteristika des bürgerlichen Staats, aber sie entwickeln sich auf der historischen Grundlage der Kapitalakkumulation.*15

2.1. Herstellung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen (´Infrastruktur´)

Gehen wir zunächst auf die materiellen Produktionsbedingungen ein. Was jeweils allgemeine, vom Staat herzustellende Produktionsbedingungen sind, hängt vom historischen Stand der Kapitalentwicklung ab; von der stofflichen Seite her betrachtet in ihrer Funktion für den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß sind die Funktionen z. B. der Eisenbahn heute die gleichen wie vor hundert Jahren. Dennoch wurde die Eisenbahn im 19. Jahrhundert privat betrieben, war sie eine rentable Form der Kapitalanlage, wohingegen sie heute für das Kapital ein ausgesprochenes Verlustgeschäft ist und somit eine Sphäre für Aktionen des bürgerlichen Staates darstellt. Dies ist nur ein

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Beispiel*15a für die konkrete historische Bedingtheit staatlicher Aktivitäten bei der Herstellung allgemeiner Produktionsbedingungen. Allgemein läßt sich nur so viel sagen, daß die vom Staat übernommenen bzw. regulierten notwendigen Produktionsprozesse zunehmen müssen aufgrund der historischen Tendenz der fallenden Profitrate, deren Begleiterscheinung es ja ist, das immer mehr Produktionsprozesse den Einzelkapitalen als unrentabel (allerdings aus oberflächlich verschiedenen Gründen) erscheinen und daher aufgegeben oder eingeschränkt werden, also aus dem Aktionsbereich der durch die Konkurrenz vermittelten Einzelkapitale entschwinden.

Um diesen Prozeß, der hauptsächlich allerdings für die materiellen allgemeinen Produktionsbedingungen und nur in modifizierter Weise oder gar nicht (vgl. unten) auch auf die anderen staatlichen Funktionsbereiche zutrifft, wirklich zu verstehen, ist es notwendig, ihn aus dem Doppelcharakter des kapitalistischen Produktionsprozesses als Arbeits- und Verwertungsprozeß (auf gesamtgesellschaftlicher Ebene) zu begreifen. Einen Teil der vom Arbeitsprozeß eines jeden Einzelkapitals geforderten stofflich materiellen Produktionsbedingungen auf dem jeweiligen und durch die Konkurrenz (auf dem Weltmarkt) aufgeherrschten Niveau der Produktivkräfte können Einzelkapitale selbst bereitstellen. Die einen Einzelkapitale produzieren demnach Produktionsvoraussetzungen für andere Einzelkapitale. Dieser Zusammenhang wird mittels der Konkurrenz auf dem Markt als Prozeß gesellschaftlicher Arbeitsteilung der Kapitale untereinander hergestellt. Ein anderer Teil der stofflichen Produktionsbedingungen aber kann nicht von Kapitalen produziert werden, da ihre Produktion im Sinne kapitalistischer Bedingungen, also als Verwertungsprozeß, unrentabel ist. So ergibt sich, daß vom gesellschaftlichen Arbeitsprozeß her Anforderungen gestellt werden, die unter kapitalistischen Bedingungen der Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozeß nicht erfüllt werden können. (Um welche Bedingungen es sich dabei handelt, wird unten noch dargestellt.) Was also als Produktionsvoraussetzung dieser Art für die Einzelkapitale erscheint, ist vom Arbeitsprozeß her betrachtet ein Bereich, der von den Kapitalen vernachlässigt wird, der eine Art "Vakuum" darstellt, in das notwendig der Staat eintreten muß, da er nicht dem Verwertungszwang als Einzelkapital, aus dem immer dieses "Vakuum" resultiert, unterworfen ist. Dementsprechend sind die Teile des gesellschaftlichen Wertprodukts, die vom Staat eingezogen und verausgabt werden, in seinen Händen kein Kapital. Aufgrund dieser Tatsache gehen staatliche Funktionen dieser Art immer von einem gegebenen gesellschaftlichen Kapitalfonds ab und begrenzen so die Kapitalakkumulation der einzelnen Kapitale. Hier

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haben wir denn auch eine recht wirksame Grenze staatlicher Interventionen: sie können nicht ein Ausmaß annehmen, bei dem die private Kapitalakkumulation zum Erliegen kommt. Diese Grenze resultiert gerade aus der Tatsache, daß der Staat Nicht-Kapitalist in einer kapitalistischen Gesellschaft ist; wäre er dagegen selbst Kapitalist, hätten die Aufwendungen für allgemeine Produktionsbedingungen Kapitalcharakter, dann wäre nicht einzusehen, wieso durch die wachsende Staatstätigkeit die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft verschärft würden.

Der einzelkapitalistische Produktionsprozeß bedarf also als Arbeitsprozeß bestimmter Voraussetzungen, um seinem Charakter als Mittel des einzelkapitalistischen Verwertungsprozesses gerecht werden zu können, die nicht Anlagesphären für Einzelkapitale sind. In deren Wahrnehmung besteht die allgemeine Funktion des Staates, wobei die Art und Weise dieser Wahrnehmung historisch bestimmt ist.

Mit der historischen Tendenz des Falls der Profitrate haben wir eine Seite der Bedingungen dafür bezeichnet, warum das Kapital immer weniger in der Lage sein wird, den Anforderungen des Arbeitsprozesses als Mittel des Verwertungsprozesses genüge zu tun. Die andere Seite ergibt sich aus dem steigenden Niveau der Produktivkräfte, die - allgemein gesagt - die bornierte Seite kapitalistischer Produktion, Produktion von Mehrwert zu sein, sprengen. Allerdings ist hierbei. zu berücksichtigen, daß Tendenzfeststellungen im Kapitalismus nur insofern einen Sinn haben, als sie die zyklische Verlaufsform dieser Tendenz einkalkulieren. Entsprechend dem zyklischen Gang der Produktion verschiebt sich quasi naturwüchsig auch der jeweilige Staatsantell am Sozialprodukt als ganz grober Indikator für das hier angesprochene Problem.*16 Bei der Behandlung des Problems der "Stagflation" im 4. Teil wird dieser Zusammenhang noch deutlicher werden.

Wenden wir uns nach dieser noch groben Kennzeichnung des staatlichen Funktionsbereichs der Sicherung der allgemeinen materiellen Produktionsbedingungen kurz den übrigen erwähnten Funktionsbereichen zu.

2.2. Setzung und Sicherung von allgemeinen Rechtsverhältnissen

Während die ökonomischen Verhältnisse in vorkapitalistischen Produktionsweisen und beim Obergang zum Kapitalismus noch teilweise als unmittelbare Zwangsverhältnisse konstituiert sind, tritt mit der Entwicklung des industriellen Kapitals der unmittelbare Eingriff des Staats in die ursprüngliche Akkumulation als ein wesentlicher Ausdruck des unmittelbaren Zwangs zurück. Die Funktion des Staates bezieht sich nun wesentlich auf die Herstellung der allgemeinen Voraussetzungen der freien Konkurrenz, die Beseitigung von Friktionen durch Setzung allgemeiner Rechtsverhältnisse und

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durch Überwachung ihrer Einhaltung.*17 Erst durch die Regelung der Sphäre der Konkurrenz, des Austausches und des kapitalistischen Eigentums wird in der Konkurrenz das Kapital freigesetzt, um aufgrund seines gesicherten Eigentumstitels den kapitalistischen Aneignungsprozeß kontinuierlich vollziehen zu können.*18 Aber niemals in der bürgerlichen Gesellschaft hat die Rechtsetzung sich lediglich auf die Sphäre der Konkurrenz begrenzt. "Der andere wesentliche Teil des Rechts der bürgerlichen Gesellschaft organisiert Herrschaftsverhältnisse unmittelbar, z. B. im Strafrecht, Gewerberecht, Arbeitsrecht etc."*19 Im Recht kodifiziert so der bürgerliche Staat nicht nur die allgemeinen Verkehrsbedingungen von Warenbesitzern, sondern auch die allgemeinen Produktionsbedingungen, Arbeitsbedingungen usw.*20 Daß der Staat hier organisierend tätig wird, hat seine Ursache gerade in der Konkurrenz, die die Kapitale als Einzelkapital zwingt, gegen die Notwendigkeiten der Erhaltung des Kapitalverhältnisses zu handeln. Der Staat als besondere Einrichtung, die dieser Konkurrenz nicht unterworfen ist, kann allein hier regulierend tätig werden. Seine Notwendigkeit und die hier bezeichnete spezifische Funktion ergibt sich gerade daraus, daß der Staat als Organ der herrschenden Klasse nicht dem Verwertungszwang der einzelnen Kapitale

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unterworfen ist, und sich daher am Gesamtinteresse aller Kapitale orientieren kann. Diese Eigenschaft des Staates befähigt ihn zur Setzung und Oberwachung der Einhaltung des Rechts, der Regeln der Konkurrenz, wie sie etwa in staatlichen Eichämtern, Materialprüfungsämtern, Patentämtern usw*21 zum Ausdruck kommen, des Arbeitsvertrags, der sich ja nicht mehr nur auf den Tauschverkehr von Warenbesitzern bezieht, sondern bereits auf den Produktionsprozeß als Prozeß der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital.

2.3. Regulierung des Konflikts Lohnarbeit und Kapital

Hiermit leiten wir über zur kurzen Kennzeichnung der Staatsfunktionen bei der Regulierung des Konflikts Lohnarbeit und Kapital. Die allgemeine Problematik besteht ja gerade darin, daß das Kapitalverhältnis zwar auf der Ebene des Marktes als Verhältnis grundlegend gleicher Subjekte erscheint, aber wesentlich Herrschafts und Ausbeutungsverhältnis ist. Da die kapitalistische Gesellschaft also Klassengesellschaft ist, erhält der Staat aus dem ständigen Klassenkonflikt und der Notwendigkeit seiner Eindämmung zur Erhaltung der Grundlage der Gesellschaft auch Funktionen, deren Inhalt sich etwa auf die Herstellung allgemeiner Ausbeutungsbedingungen, die Regulierung der Lohnrate, die Unterdrückung von Klassenkämpfen bezieht. Dieser Funktionsbereich staatlicher Aktionen ist ebenfalls Resultat historischer Entwicklungen, nämlich direktes Resultat der mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung und ihrer bewußten Kämpfe entstandenen Konterstrategien der herrschenden Klasse. Da im Falle von Klassenkämpfen immer die bürgerliche Klasse als ganze betroffen oder gar bedroht ist, können auch nicht einzelne Kapitale individuell die Funktionen der Befriedung und Unterdrückung übernehmen*22 , dies wird immer mehr ein Bereich für Aktionen des "Ausschusses, der die gemeinsamen Interessen der herrschenden Klasse besorgt."

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2.4. Sicherung der Existenz und Expansion des nationalen Gesamtkapitals auf dem kapitalistischen Weltmarkt

Als Nationalstaat ist der Staat die Zusammenfassung der nationalen Einzelkapitale auch gegenüber anderen Nationalstaaten auf dem Weltmarkt. In diesem Bereich sind am ehesten die staatlichen Funktionen als staatliche auszumachen: Sicherung der inländischen Währung, auswärtige politische Beziehungen bis hin zur militärischen Sicherung der privaten Kapitalakkumulation und -expansion in der Epoche des Imperialismus.*23 Die Herausbildung von Funktionsbereichen, die dem Staat obliegen, ist sogar regelmäßig über seinen Charakter als Nationalstaat vermittelt und das heißt über Konkurrenz und Kampf von Nationalstaaten.*24 Wenn wir auch die Staatsfunktionen nacheinander aufgeführt haben, so doch nicht unter der Annahme, sie seien wirklich in dieser Weise voneinander zu trennen. Vielmehr durchdringt der Charakter des Staates als bürgerlicher Klassenstaat alle seine Funktionen; sie dienen alle letztlich dazu, das Kapitalverhältnis als Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis gegenüber der Arbeiterklasse zu erhalten und zu festigen. Davon kann nicht abstrahiert werden. Das uns dabei interessierende Problem allerdings ist die Frage, inwieweit in der Wahrnehmung dieser Funktionen selbst Widersprüche produziert werden, welche Grenzen dabei der Staat in seinen Aktionen unterworfen ist und welche Probleme sich jeweils für das Kapital ergeben und welche taktischen Konsequenzen die Arbeiterbewegung ziehen muß.

Aus der Besonderung des Staates als Form außer und neben der bürgerlichen Gesellschaft ergibt es sich, daß der Staat den Einzelkapitalen als negative Schranke der Kapitalverwertung erscheinen muß: Er setzt Arbeitskräfte ein zur Schaffung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen, zur Erhaltung des Rechtssystems, zur polizeilichen und militärischen Unterdrückung, die demzufolge dem Kapital als Ausbeutungsobjekte nicht mehr zur Verfügung stehen (obwohl vom Arbeiter aus betrachtet seine Arbeitssituation die gleiche ist wie diejenige des vom Privatkapital angewendeten Arbeiters)*24a oder

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er setzt dem Verwertungsdrang des Kapitals durch Begrenzung des Arbeitstags, durch rechtliche Schranken usw. äußere Grenzen. Auf der Oberfläche erscheint den einzelnen Kapitalen die vom Staat gesetzte negative Verwertungsschranke etwa als abzuführende Steuern, Soziallasten usw. zur Deckung der Gemeinschaftsaufgaben, die die individuelle Konsumtion oder/und die Akkumulation des Mehrwerts einschränken. War vor der Arbeitsgesetzgebung die natürliche Grenze des Arbeitstags die Schranke des Kapitals in seinem Drang nach Mehrarbeit, so danach die vom Staat allgemein gesetzte.

2.5. Schlussfolgerungen hieraus auf den Charakter des Staates

Wenn der Staat in dieser Weise bestimmt ist, als Einrichtung der kapitalistischen Gesellschaft neben und außer ihr, gleichzeitig auf ihrer Grundlage und als negative Verwertungsschranke erscheinend, dann ist es klar, daß die historischen Funktionen des Staats ihm nicht sozusagen von Anfang an und selbstverständlich inhärent sind, sondern Ergebnisse von Krisen der gesellschaftlichen Reproduktion, vermittelt über Klassenkämpfe und Auseinandersetzungen von Fraktionen der herrschenden Klasse sein müssen. (Aber daß ihm diese Funktionen überhaupt zuwachsen können liegt in der Natur der kapitalistischen Gesellschaft und ihres Staates überhaupt begründet.) Kein Kapital kann von sich aus freiwillig bestimmten, vielleicht als objektive einsichtigen Notwendigkeiten gehorchen; der Druck der Konkurrenz wird es davon abhalten. Kein Kapital wird also ohne äußere Veranlassung dem Vorrücken der äußeren, vom Staat gesetzten Schranke der Kapitalverwertung zustimmen; es wird sich dazu erst aufgrund von Katastrophen, Auseinandersetzungen, Kämpfen bereit finden. Dies besagt aber über die Klassenkämpfe auch, daß sie eine wichtige Funktion haben für die Erhaltung der kapitalistischen Gesellschaft (natürlich ist dies nur die eine, hier hypostasierte Seite der Klassenkämpfe), indem sie objektiven historischen Notwendigkeiten zum Durchbruch verhelfen vermittels des Staats.

So ist auch als sozusagen empirische Bestätigung dieser These festzuhalten, daß der Anteil des Staates am Sozialprodukt (als grober Indikator für die Staatsfunktionen in der Gesellschaft) vor allem im Gefolge von Klassenkämpfen wie nach dem ersten Weltkrieg und im Gefolge bzw. der Vorbereitung der großen Katastrophen der Weltgeschichte, den Weltkriegen, angestiegen ist. Wenn auch Adolph Wagner ganz allgemein und wenig begründet vom "Gesetz der zunehmenden Staatsstätigkeit" spricht und dabei eher eine Vermutung äußert als eine begründete Tendenzfeststellung*25 macht, ist die Tatsache nicht zu leugnen, daß der Staatsanteil in diesem Jahrhundert in Deutschland von ca. 15 auf über 40 v. H. angestiegen ist. Dabei ist bemerkenswert, daß die Staatsausgaben "in einer Phase nachhaltigen Wirtschaftswachstums weniger stark als in Perioden geringerer Entfaltung, es sei denn,

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es herrsche Depression mit negativen Wachstumsraten des Sozialprodukts, (expandieren). Im letzten Falle steigt ihre Anteilskurve steil an. . ."
*26 Hiermit wird nichts anderes ausgedrückt, als daß die Staatstätigkeit, soweit sie mit Kosten verbunden ist, den Verwertungsbedingungen des Kapitals folgt. Sind diese günstig, so wird der Anteil, der zur Bewerkstelligung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses vom Kapital produziert wird, steigen oder zumindest nicht sinken, während der vom Staat errichtete Anteil zurückgehen, bzw. nicht steigen wird. Setzt sich aber die Tendenz des Falls der Profitrate in konjunkturellen Abschwungsphasen durch, dann werden zum Teil naturwüchsig infolge der gestiegenen Regulierungsanforderungen, worauf unten eingegangen wird, die Staatsfunktionen anwachsen.

Der Staat ist also auf der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft den Einzelkapitalen gewissermaßen komplementär, wobei die "Komplementarität" staatlicher Funktionen jeweils historisch bestimmt ist. Selbst in den Theorien des "Staatsinterventionismus" aus verschiedenen Epochen und Ländern kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck. Wurden etwa von Adam Smith und in modifizierter Weise auch von Ricardo die Staatsfunktionen auf Militär, Polizei, Bildung, Recht eingegrenzt und ansonsten gefordert, die "natürliche" Wirtschaftsentwicklung der privaten Kapitale sich selbst zu überlassen, so wurde von den deutschen Theoretikern der Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts (A. Schaeffle, L. von Stein, A. Wagner) dem Staat eine aktive Rolle bei der Heranbildung und Akkumulation des Kapitals zugeschrieben. In dieser theoretischen Unterschiedlichkeit drückt sich exakt die unterschiedliche Situation Englands und Deutschlands in bezug auf die Kapitalakkumulation und die Konkurrenz auf dem Weltmarkt im 19. Jahrhundert aus. Es zeigt sich hier auch, daß gesellschaftliche Funktionen immer erst dann als staatliche entstehen, wenn sie nicht von Einzelkapitalen wahrgenommen werden oder werden können. Die Besonderung des Staates liegt somit in der "Natur" des Kapitalverhältnisses begründet, aber die Herausbildung des wirklichen Staates vollzieht sich jeweils unter den besonderen historischen Bedingungen eines Landes in einer bestimmten Epoche; erst auf der Grundlage der jeweiligen historischen Situation ist daher auch zu entscheiden, welche allgemeinen Produktionsbedingungen "allgemein" in dem Sinne sind, daß sie staatlich erzeugt werden müssen und weiche als "allgemeine" dennoch von privaten Kapitalen hergestellt werden können. Diesem Problem wollen wir uns im folgenden Abschnitt am Beispiel der allgemeinen materiellen Produktionsbedingungen ausführlicher zuwenden.

3. Die Herstellung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen durch den Staat

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Wir haben die Gründe für die Besonderung des Staates vor allem in der Herstellung allgemeiner Produktionsbedingungen gesehen. Es wird jetzt notwendig sein, vor allem auf die materiellen Produktionsvoraussetzungen einzugehen und zu fragen, woran es liegt, daß sie vom Staat produziert werden und nicht von privaten Kapitalen. Geht man von einem allgemeinen Interdependenzzusammenhang einer Gesellschaft aus, so schwinden die Unterscheidungskriterien zwischen allgemeinen und besonderen Produktionsbedingungen und zwischen allgemeinen, vom Kapital produzierten und allgemeinen, vom Staat produzierten Produktionsbedingungen.*27 Zu denjenigen Funktionen, die nicht oder nicht mehr oder noch nicht vom Kapital besorgt werden, gehören nach ihrer stofflichen Seite beispielsweise: Herstellung eines Kommunikationssystems (Straßen, Wasserstraßen, Telegraphie, Post), Erzeugung einer den Produktivkräften adäquaten Qualifikationsstruktur (Bildungswesen), Reparatur des Arbeitsvermögens (Gesundheitswesen), Wasserversorgung und die Beseitigung von Abwässern, Müll usw. Die Gründe, aus denen heraus es sich nicht lohnt, diese Prozesse als kapitalistische zu betreiben, sind ganz verschiedene. Sie liegen jedenfalls nicht an den stofflichen Eigenschaften der erwähnten Einrichtungen. Es kann daran liegen, daß die Kapitalauslage zu groß für ein Einzelkapital und die Umschlagzeit (Arbeitsperiode, Produktionszeit oder Umlaufzeit) zu lang sind; oder daran, daß die Resultate dieser Produktionsprozesse unmittelbar keinen Warencharakter haben (Qualifikationen, Forschungsergebnisse*28 ); oder daran; daß der Markt (das gesellschaftliche Bedürfnis) für eine rentable Produktion,

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d. h. für die Realisierung des vorgeschossenen Kapitalwerts plus Mehrwert absolut zu klein ist; oder daran, daß sich das Kapital nicht mit einer unterdurchschnittlichen, wenn auch noch positiven Profitrate zufrieden gibt, weil es noch profitablere Anlagesphären z. B. im Ausland, gibt.

Je länger die Arbeitsperiode und je langfristiger die Kapitalrückflüsse, desto größer die gegenwärtige Kapitalauslage, desto unsicherer ist auch die Erzielung der Durchschnittsprofitrate. Kommt bei solchen Kapitalauslagen aber noch hinzu, daß die Resultate des Produktionsprozesses nicht Warencharakter annehmen können, also die Leistungen etwa einer Straße allen zur Verfügung stehen können oder müssen, dann können solche Anlagen kapitalistisch nicht betrieben werden. Kapitalistischer Betrieb heißt hier: Ausbeutung von Arbeitskraft zur Produktion von Mehrwert, d. h. Produktion zur Verwertung von Kapital. Wenn nun aber die Notwendigkeit zum Ausbau der "Infrastruktur" groß genug ist, so daß Aufwendungen dafür vorgenommen werden müssen, "dann wälzt das Kapital sie auf die Schultern des Staates oder, wo der Staat traditionell ihm gegenüber noch eine superiore Stellung einnimmt, besitzt er noch das Privilegium und den Willen, die Gesamtheit zu zwingen, einen Teil ihrer Revenue, nicht ihres Kapitals, in solche allgemein nützliche Arbeit (zu stecken), die zugleich als allgemeine Bedingungen der Produktion erscheinen, und daher nicht als besondere Bedingung für irgendeinen Kapitalisten und solange das Kapital nicht die Form der Aktiengesellschaft annimmt, sucht es immer nur die besondren Bedingungen seiner Verwertung, die gemeinschaftlichen schiebt es als Landesbedürfnisse dem ganzen Land auf. Das Kapital übernimmt nur vorteilhafte, in seinem Sinn vorteilhafte Unternehmungen."*29 Daß diese Vorteilhaftigkeit angesichts tendenziell sinkender Profitrate und steigendem Niveau der Produktivkräfte auch für Aktiengesellschaften nicht mehr gegeben sein muß, zeigt die Entwicklung des Eisenbahnwesens: ursprünglich vielfach eine rentable Anlagesphäre, ist die Eisenbahn heute bei kapitalistischer Kalkulation ein Verlustgeschäft.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß man von Produktion und Betrieb infrastruktureller Einrichtungen sprechen. Es ist klar, daß die Produktion einer Straßenbrücke genauso "produktiv", d. h. profitabel ist, wie die Produktion einer Maschine oder eines Anzugs. Alle drei Produkte, die wir als Beispiele gewählt haben, werden als Waren produziert und auf einem Markt getauscht; die Form ist allerdings je verschieden. Der Anzugsproduzent liefert für einen Massenmarkt, und hat ein Käufer den Anzug erworben, so hat der Kapitalist sein ausgelegtes Kapital einschließlich des Profits ersetzt und der Käufer ein Konsumgut gekauft, indem er Revenue verausgabt. Der Anzug interessiert von diesem Augenblick als Wert nicht mehr, nur noch als Gebrauchswert den Käufer: aber der Gebrauchswert ist so lange gleichgültig für die ökonomische Analyse, wie er selbst nicht formbestimmend ist - und dies ist nach vollbrachtem Austausch der Fall. Der Maschinenproduzent dagegen produziert aufgrund einer Bestellung des Maschinenkäufers. Dies

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ändert aber nichts daran, daß er dennoch für den Austausch, für einen ihm mittelfristig unbekannten Markt produziert und mit der Umsetzung der Maschine in Geld einen Zirkulationsakt seines Kapitals vollzieht. Darin unterscheidet er sich also nicht vom Anzugproduzenten. Anders allerdings als beim Anzugkäufer legt der Fall beim Maschinenkäufer. Er kauft die Maschinen nicht aus seiner Revenue, sondern aus dem Geldkapital, das er vorschießt, um einen Produktionsprozeß aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Maschine wird also in einen Teil des Produktivkapitals verwandelt; sie ist Produktionsmittel in Kapitalform und zirkuliert dementsprechend als Kapital weiter. Wenden wir uns nun dem Brückenproduzenten (z. B. ein Tiefbauunternehmen) zu. Auch hier wird eine Ware spezifischen Charakters produziert (auf Bestellung, nach Vorauszahlung usw.), in ihrem Verkauf realisiert auch dieser Produzent den vorgeschossenen Wert und den Mehrwert, sonst würde er die Produktion bleiben lassen. Aber er tauscht sie nicht gegen in Geldform vorgeschossenes Kapital wie beim Maschinenverkauf oder gegen Revenue eines individuellen Käufers für dessen Konsumtion aus, sondern gegen Revenue, die der Staat ausgibt. Die Revenue bezieht der Staat per Steuern, Abgaben usw., um sie für die Errichtung allgemeiner Produktionsbedingungen zu verausgaben. Die Herstellung der Brücke ist also durchaus für das Kapital profitabel, nicht aber deren Verwendung. Kein Kapitalist würde sein Kapital vorschießen, um eine Straßenbrücke zu bauen. Entscheidend dafür, ob bestimmte Produktionsbedingungen vom Staat übernommen werden oder nicht, ist also die Frage, ob sich erstens ein Kapitalvorschuß dafür kapitalistisch lohnt, und zweitens, ob die jeweilige Produktionsbedingung wirklich vom gesellschaftlichen Arbeitsprozeß her notwendig ist. (Daß diese Notwendigkeit nicht allein aus Einsicht erkannt wird, sondern in Kämpfen, Konflikten, Katastrophen, Krisen aufgeherrscht wird, wurde schon betont.) Allgemeine materielle Produktionsbedingungen lassen sich also sehr wohl profitabel herstellen, nicht aber unter einzelkapitalistischen Aspekten profitabel betreiben.

Anders ist es im Ausbildungsbereich. Für die materielle Seite dieses Bereichs gilt das gleiche wie für die erwähnte Brücke: Schulbauten, Unterrichtsmittel usw. sind kapitalistisch herstellbar. Nicht aber in größerem Umfang die Produktion der Qualifikationen. Sie werden bereits in staatlichen Anstalten hergestellt, während ihre Verwendung als stoffliches Element des variablen Kapitals von Einzelkapitalisten erfolgt. Qualifikationen tauschen sich als integrales Bildungselement der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt aus in der Regel gegen Kapital.*30 Dieser Unterschied zwischen Verkehrswesen usw. einerseits (auch Schulbau) und Ausbildungsbereich ist gravierend. Alle Infrastrukturausgaben bestreitet der Staat aus der Revenue des Landes, sie gehen demzufolge zumindest teilweise vom akkumulationsfähigen Teil des Mehrwerts ab. Aber die Ausgaben für Brücken oder Schulbau fließen doch wieder Einzelkapitalen zu, die auf diese Weise in die Lage versetzt werden, ihr Kapi-

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tal zu verwerten, indem die Zirkulation des Kapitalwerts gelingt. Die Ausgaben für die Produktion von Qualifikationen, vor allem für Lehrer also, fließen jedoch nicht an Einzelkapitale; sie ermöglichen vielmehr die Existenz einer Schicht, die einen gegebenen Arbeitszeitfonds der Gesellschaft zur Ausbeutung durch das Kapital verringert. Erst recht gilt dies für die Schüler und Studenten, die während der Ausbildungszeit keine produktive Arbeit leisten und daher nicht nur der direkten Herrschaft des Kapitals zeitweise entzogen sind, sondern darüber hinaus nach Abschluß der Ausbildungszeit mit den auf sie verwandten höheren Bildungskosten dem Kapital auf dem Arbeitsmarkt nur mit einem höheren Wert der Arbeitskraft entgegentreten können, ohne daß daraus schlüssig auch eine erhöhte wertbildende Potenz der Arbeit folgern würde.*30a Ausgaben für den Ausbildungssektor gehen also nicht nur vom Mehrwert des Kapitals ab, sondern erhöhen im Falle ihrer Steigerung immer auch den Wert der Arbeitskraft und verringern damit bei sonst gleichbleibenden Bedingungen die Mehrwertrate. Auf der anderen Seite jedoch produziert der Lehrer mit seiner Arbeit die allgemeinen Qualifikationen als Bedingungen, damit der Arbeitsprozeß überhaupt als Mittel des Verwertungsprozesses stattfinden kann, damit kapitalistische Produktion und Reproduktion des Kapitalverhältnisses überhaupt möglich ist. Nur aufgrund dieser Seite der Lehrertätigkeit kann sich das Kapital bereit finden, den Ausbildungsbereich zu unterhalten. Die ökonomischen Funktionen der einzelnen Infrastrukturbereiche sind also nicht nur von ihrer stofflichen Seite, sondern auch von ihrer Stellung im kapitalistischen Reproduktionsprozeß her scharf auseinander zu halten.*31

Da das Kapital sich also aus den beschriebenen Gründen hier nicht oder nur unzureichend engagiert, wird der Staat gerade deshalb die Produktion von Infrastruktureinrichtungen vornehmen müssen, weil er nicht gezwungen ist, kapitalistisch zu produzieren: sein Fonds stammt ja aus der Revenue des Landes. Auf der anderen Seite wird das Kapital sich dagegen zur Wehr setzen, sollte der Staat Produktionsprozesse übernehmen, die doch dem Kapital unter seinen jeweiligen Sondergesichtspunkten als rentierliche erscheinen. Denn erstens würde dies eine Verminderung der im Sinne des Kapitals unproduktiven Arbeit bedeuten und zweitens die Ausschaltung einer Konkurrenz, die nicht nach maximaler Selbstverwertung eines Kapitalvorschusses zu

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streben braucht. Daß dies dann auch gesetzlich fixiert wird, ist nicht mehr verwunderlich. So heißt es in den westdeutschen Gemeindeordnungen, daß die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden
  1. durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt sein muß,
  2. die gemeindliche Finanzwirtschaft nicht in Gefahr gebracht werden darf,
  3. die Aufwendungen in angemessenem Verhältnis zum voraussichtlichen Bedarf stehen müssen und
  4. der wirtschaftliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch private Unternehmen erreicht werden kann.
Und im Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1971 heißt es dazu ganz ähnlich: "Angelpunkt fast aller wirtschaftspolitischen Überlegungen zur mittelfristigen Entwicklung der Gesamtwirtschaft ist das Verlangen des Staates, einen höheren Anteil des Produktionspotenzials in Anspruch nehmen zu können. Weithin findet dieses Verlangen Zustimmung, wenn auch das Problem des Quantums einer solchen Anteilserhöhung unterschiedlich gesehen wird, weil jede Erhöhung unter dem Vorbehalt stehen muß, daß der Staat seine Aufgaben sinnvoll erweitert, jedenfalls nicht nur Private aus ihrer Aktivität verdrängt, sondern diese ergänzt und fördert. . ."*32

Nun darf man alle diese Prozesse nicht losgelöst von der historischen Entwicklung betrachten. Was dem Kapital in einer bestimmten historischen Situation als profitabel erscheint, braucht es in anderen Situationen nicht zu sein. Immer dann, wenn Industriezweige nicht mehr rentabel sind, gibt es zuerst staatliche Subventionen*33 , und dann - wenn die auch nicht helfen werden - diese Zweige vom Staat in eigener Regie übernommen (Kohlenbergbau nach 1945 in England). Umgekehrt bestehen durchaus Tendenzen, bereits staatlich betriebene Produktionsprozesse zu reprivatisieren, wenn die Arbeit als produktive ausgebeutet werden kann (VEBA, VW).

Hier wird also plastischer, weil konkreter als noch im vorhergehenden Abschnitt, daß der Staat in seiner Funktion für den kapitalistischen Produktionsprozeß nicht nur Regulator ist, sondern mit der aus seiner besonderen Existenzform resultierenden Funktion gerade dem Kapital zu seiner Durchschnitts-

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existenz als Gesamtkapital verhilft. Der Staat sichert die allgemeinen Produktionsbedingungen durch Übernahme aller derjenigen stofflichen Prozesse, die nicht kapitalistisch betrieben werden können. Seine Funktion als Staat im Kapitalismus zur Sicherung der Basis der Ausbeutung der Lohnarbeit, besteht gerade darin, nichtkapitalistische Produktionsprozesse in eigener Regie zu übernehmen, und die wirklich die gesamte Kapitalklasse und darüber hinaus die gesamte Gesellschaft betreffenden Bedingungen, (Rechtsverhältnisse usw.) verbindlich zu regeln und einen nach innen und außen gerichteten Gewaltapparat zu unterhalten. Nur so kann er seiner Funktion als Staat auf der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft gerecht werden. Um es noch deutlicher auszudrücken: Wenn wir von dem "einheitlichen Mechanismus, der Staat und Monopole zusammenfaßt" ausgehen, dann können wir seine Funktionsweise nur in der Weise beschreiben, daß der Staat aufgrund der Anforderungen der Produktivkräfte des Arbeitsprozesses Produktionsbedingungen zu erzeugen hat, die aufgrund der Borniertheit des kapitalistischen Produktionsverhältnisses von Kapitalen nicht erzeugt werden. Der Staat sichert das Kapitalverhältnis, indem er nichtkapitalistisch agiert, also bei den vom Staat erzeugten allgemeinen Produktionsbedingungen gerade nicht von "Kapital" gesprochen werden kann. Es ist also ungenau von "Staatskapital" zu sprechen, ohne zwischen Infrastrukturausgaben und "Erwerbskapital" zu differenzieren*34 , und falsch zu behaupten: "Der imperialistische Staat tritt jedoch nicht nur den Arbeitern und Angestellten im unmittelbar staatlichen Bereich als Kapitalist gegenüber . . . "*35 Wenn der Staat sich als Kapitalist betätigt, dann kann dies nur aus der besonderen Geschichte eines Landes, aus besonderen historischen Bedingungen erklärt werden. In Ausnahmesituationen wird die Betätigung als wirklicher Kapitalist immer wieder geschehen, wie im ersten Weltkrieg in Deutschland (aus dieser Zeit stammt der Begriff des "Staatkapitalismus"), z. T. im deutschen Faschismus oder in Italien und Frankreich und nach dem zweiten Weltkrieg. Damit ist jedoch keineswegs die kapitalistische Produktionsweise aufgehoben, wenn auch die Zunahme der vom Staat direkt betriebenen Produktionsprozesse ein eindeutiges Anzeichen für die Auflösungserscheinungen des entwickelten Kapitalismus, für seine Stagnation und die mangelnden "privaten" Investitionsgelegenheiten ist.*36

Denn der Staat handelt ja - von den erwähnten historischen Besonderheiten abgesehen - als Nicht-Kapitalist und begrenzt als solcher das Feld privater Kapitalakkumulationen und -reproduktionen. Wäre der Staat selbst Kapitalist, dann würde er gerade die Sphäre der Kapitalproduktion erweitern und alles

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andere ausdrücken als Auflösungserscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft. Insofern ist die Theorie des Staatmonopolistischen Kapitalismus in sich widersprüchlich, wenn in ihr einerseits behauptet wird, der Staat fungiere selbst als Kapitalist, anderseits aber von den allgemeinen Niedergangserscheinungen des Imperialismus gesprochen wird. (Wir leugnen die erste These, nicht die letztere.)

Exkurs zur Herstellung allgemeiner Produktionsbedingungen in der asiatischen Produktionsweise

Es ist in der Menschheitsgeschichte nichts Neues, daß vom Staat oder einer den unmittelbaren Produzenten übergeordneten Einheit bestimmte Aufgaben des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses wahrgenommen werden. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die asiatische Produktionsweise, die dadurch gekennzeichnet ist, daß vor allem die komplizierten Bewässerungssysteme für die landwirtschaftliche Produktion von der übergeordneten Einheit, dem Staat, erhalten und erweitert werden, wie in Indien, in China und auch in einzelnen Gebieten Afrikas und Lateinamerikas vor der Kolonialzeit. Aber hierbei handelt es sich eben nicht um besondere Funktionen neben und außer der Gesellschaft, sondern um gesellschaftliche Funktionen als solche. Die Bewässerungssysteme werden nicht errichtet, um einzelnen Kapitalen die Verwertungsbasis zu ermöglichen, sondern sind Teil eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, der nicht das Mittel vieler Verwertungsprozesse ist. Die künstliche Bewässerung ist in der asiatischen Produktionsweise die grundlegende materielle Bedingung der Reproduktion der Gesellschaft und ihrer Glieder; diese Funktionen werden von der übergeordneten Einheit ausgeübt, weil sie auf Dorfebene oder durch die einzelne Gens nicht ausgeübt werden können. Dies ist etwas grundlegend anderes gegenüber der Bedeutung der "Gemeinschaftsaufgaben" im Kapitalismus, wo sie deshalb vom Staat übernommen werden, weil die Wahrnehmung der Funktionen keinen Profit abwirft und folglich für Einzelkapitale uninteressant ist. Der Unterschied besteht also nicht in der stofflichen Seite, und allgemeine Produktionsbedingungen lassen sich nicht stofflich begründen. Er besteht in der Form der Produktionsweise, die erst im Kapitalismus durch den Doppelcharakter des Produktionsprozesses gekennzeichnet ist. Erst hier kann es die eigentümliche Trennung von kapitalistisch vollzogenen Produktionsprozessen und nicht kapitalistisch d. h. staatlich vollzogenen Produktionsprozessen, geben, also die Trennung in Gesellschaft und Staat in Form der Besonderung des Staates. In der asiatischen Produktionsweise hingegen erfordert der gesellschaftliche Arbeitsprozeß direkt die Wahrnehmung bestimmter Funktionen, ohne daß die Zweiteilung dieser Funktionen wie im Kapitalismus eintreten könnte. Bezogen auf die Problematik der gesellschaftlichen Krise zeigt sich der Unterschied zwischen asiatischer Produktionsweise und Kapitalismus schlagend: In der asiatischen Produktionsweise ist es der Zerfall bzw. die Zerschlagung der zentralen Gewalt durch die

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Kolonialherren, die Vernachlässigung der zentralen Aufgaben des Wegebaus, der Bewässerung usw., der zur Auflösung dieser Gesellschaftsform führt; im Kapitalismus ist gerade die wachsende Funktion des Staates, die Herausbildung dessen, was man "gemischte Wirtschaft" nennt, eine Erscheinungsform der Auflösung dieser Gesellschaft. So wird hier deutlich, daß jede Analyse des "Staates" immer nur den Staat einer bestimmten Gesellschaftsformation meinen kann; Verallgemeinerungen sind unmöglich.

4. Die Regulierung von Krisen durch den Staat

Bei der Darstellung der Funktion des Staates, die allgemeinen Produktionsvoraussetzungen, vor allem materieller Art zu gewährleisten, wurde schon betont, daß der Staat dabei den Notwendigkeiten, die aus dem Arbeitsprozeß und den Grenzen, die aus dem Zwang der Kapitalverwertung resultieren, unterworfen ist. Er wird also nicht als Ergebnis eines von diesen Problemen freien Planungsprozesses der Gesellschaft die Wahrnehmung von Funktionen übertragen bekommen wie in einer sozialistischen Gesellschaft; vielmehr drängen sich diese Funktionen der Gesellschaft und erst von daher dem Staat in krisenhaften Situationen, durch Konflikte, Kämpfe, Katastrophen, Unzuträglichkeiten auf. Daher tritt der Staat nicht erst als Regulator von Krisen, als Meister des Krisenmanagement, oder "spätkapitalistischer Wohlfahrtsstaat"*37 in Erscheinung, wie eine neuere Richtung der Staatstheorie, vor allem vertreten durch Habermas und Offe, aber auch Hirsch und andere*38 meinen, sondern er ist als historisch gewordener Staat selbst Resultat historischer Gesellschaftskrisen und davon geprägt. Es würde hier zu weit führen, diese Prägung im einzelnen nachzuzeichnen - würde dies doch bedeuten, die Staatsformen, die personelle Seite des Staatapparates und deren konkrete Geschichte abzuhandeln -, doch scheint mir dieser Hinweis zur prophylaktischen Vermeidung von Fehlern bei der Untersuchung des Staates und seiner Funktionen, die ihm so leicht hin apriorisch zugeschrieben werden, ungeheuer wichtig. Denn nur so kann das Verhältnis von Staat und Gesellschaft richtig verstanden werden und nicht als eines, in dem der Staat der Regulator, die Gesellschaft in ihren Lebensbereichen aber bloßes Objekt der Regulierung ist und allenfalls durch Einflußnahme politischer Gruppen auf den Staatsapparat aktiv zu werden vermag.

Wir werden daher jetzt versuchen, die Staatsfunktionen aus den ökonomischen Widersprüchen der Gesellschaft, die sich zyklisch immer wieder bis zur Krise verschärfen, zu analysieren und die grundlegende Befangenheit des Staates in diesen Widersprüchen aufzudecken. Wir wenden uns damit einem

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staatlichen Funktionsbereich zu, der in seinen Besonderheiten bisher noch nicht angesprochen worden ist, der aber zumindest seit der "keynesischen Revolution" eine wachsende Bedeutung erlangt hat und nicht zuletzt aus diesem Grunde zu Fehleinschätzungen von der Wirksamkeit des Staatsinterventionismus geführt hat. Um aber die Möglichkeiten staatlicher Interventionen beurteilen zu können, ist es notwendig, die Gründe der Krisen in der gesellschaftlichen Struktur aufzudecken und ihre Funktionen zu untersuchen.

4.1. Die Funktion der Krise in der kapitalistischen Gesellschaft

Auf der abstraktesten Ebene ist die Funktion der Krise doppelt bestimmt:
  1. "In den Weltmarktkrisen bringen es die Widersprüche und Gegensätze der kapitalistischen Produktionsweise zum Eklat. . ."*39 Krisen sind also nichts anderes als bis zum Eklat zugespitzte Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise.
  2. "Es ist gerade die Krise, worin ihre Einheit (der sich gegeneinander verselbständigenden Momente der Kapitalentwicklung und des Austausches E.A.) sich bestätigt, die Einheit der Unterschiedenen." *40
Krisen implizieren also immer auch die zeitweilige Lösung der Widersprüche, die Vereinheitlichung sich verselbständigender Momente und erzeugen daher immer wieder die Grundlage für eine neue Periode kapitalistischer Akkumulation. Die Krise ist als zugespitzte Form von Widersprüchen zugleich das, was in der bürgerlichen Ökonomie mit dem Begriff der "Reinigungskrise" umschrieben wird. Daher gibt es keine "absolut ausweglosen Lagen für die kapitalistische Wirtschaft. Selbst in der Marxschen Akkumulations- und Krisentheorie bricht der Kapitalismus nicht von selbst zusammen, sondern findet sein mögliches Ende in den durch die Krise ausgelösten politischen Aktionen. . . "*41 Aus dieser doppelten Funktion der Krise folgt aber weiterhin, daß sich die kapitalistische Akkumulation zyklisch bewegen muß; die ihr inhärenten Widersprüche treiben periodisch hin zur Krise, diese bereinigt die der Krise zugrundeliegende Situation sich verselbständigender Momente, und initiiert so eine neue Aufschwungphase bis zur erneuten Krise. Der industrielle Zyklus wird somit von Marx und den Marxisten im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie nicht als Konjunkturzyklus mit aufeinander folgenden grundsätzlich gleichwertigen Phasen aufgefaßt, sondern als Krisenzyklus, da ja die Krise der "Knotenpunkt" ist, in dem sich die Widersprüche des Kapitalismus konzentrieren. Die Krise, ihr Ausmaß, ihre Länge, ihre konkrete Lösung ist es daher auch, die den Charakter der anderen Phasen des industriellen Zyklus weitgehend bestimmt. Noch etwas folgt daraus für die Analyse: Krisenanalyse kann nicht bei der Erscheinungsform der Krise ansetzen, sondern muß, will sie Charakter und Funktion der Krise wirklich begreifen, die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus darlegen und begründen,

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warum und unter welchen Umständen sie zur Krise treiben. Um dies in gebotener Kürze exemplarisch aufzuzeigen, soll auf Marx' Vorgehen im "Kapital" eingegangen werden:

- Exkurs zum Verhältnis von Widerspruch und Krise im ´Kapital´ -

Bei dieser Darstellung muß zweierlei unterschieden werden:
  1. Verschärfung bedeutet nicht Zuspitzung von Widersprüchen. Nicht jeder Widerspruch impliziert notwendig die Möglichkeit der Krise. Widerspruch und Krise sind nicht identisch.
  2. Verschärfung bedeutet Verselbständigung der den Widerspruch konstituierenden gegensätzlichen Seiten.
Dies ist vor allem anhand der ersten drei Kapitel des ersten Bandes vom "Kapital" zu klären. Daraus kann folgende - verkürzte - Argumentationslinie entwickelt werden: Die Ware stellt sich dar als Einheit von Gebrauchswert und Wert. Diese Qualität erhält sie allerdings nur aufgrund der Tatsache, daß die zu ihrer Produktion verrichtete Arbeit selbst von doppeltem Charakter als konkret nützliche und abstrakt allgemeine ist. Da die Ware für den Austausch produziert wird - und diese Zwecksetzung als Warenproduktion macht sie bereits in der Produktion zur Ware und nicht erst im Austausch - stellt sich die Arbeit zugleich als private (Produktion der einen Ware) und gesellschaftliche (Produktion für den Austausch gegen Waren, die von anderen Produzenten hergestellt werden) dar. Die Gesellschaftlichkeit der Arbeit wiederum ist doppelt bestimmt: einmal durch die zur Produktion aufzuwendende gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit, zum anderen durch das gesellschaftliche Bedürfnis nach der produzierten Ware. Hierhin ist in nuce bereits der Widerspruch zwischen Produktion und Realisierung eingeschlossen, der genauer erst im dritten Band des "Kapital" behandelt wird. Die Produktion für den Austausch ergibt die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld. Ist eine Ware als allgemeines Äquivalent aller anderen Warenwerte ausgesondert, erhält der Warenwert eine doppelte Existenz: "Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert. Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die Verwandlung von Ware in Geld."*43 Geld ist zunächst nichts anderes als "notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit."*44 Die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld bringt somit die Funktion des Geldes als Wertmaß hervor. In dieser Funktion jedoch dient das Geld nur als vorgestelltes, ideelles Geld; die Ware hat nur einen Geld-

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namen, einen Preis. Die Warenwerte sind nur verwandelt in vorgestellte Goldquanta. Die Waren sagen sich in ihrem Geldnamen nur, was sie wert sind, und das Geld dient dabei als "Rechengeld". Die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld ist noch ganz auf die Ware bezogen: sie hat einen bestimmten Wert, der ihr als Geldnamen, als Preis anhängt; das Geld ist noch nicht wirklich der Ware als zu realisierender Preis gegenübergetreten. Aber: "Die Preisform schließt die Veräußerung ein."*45 Geld wird daher in der Zirkulation reel zum Tauschwert, gegen den die Ware reell getauscht werden muß: Verkaufen. Das Geld hat allerdings keinen Gebrauchswert, außer den, gegen eine andere Ware mit Gebrauchswert eingetauscht werden zu können: Kaufen. "Der Austauschprozeß der Ware vollzieht sich also in zwei entgegengesetzten und einander ergänzenden Metamorphosen - Verwandlung der Ware in Geld und ihre Rückwandlung aus Geld in Ware. Die Momente der Warenmetamorphose sind zugleich Händel des Warenbesitzers - Verkauf, Austausch der Ware mit Geld; Kauf, Austausch des Geldes mit Ware, und Einheit beider Akte: verkaufen um zu kaufen."*46 Sobald der in der Ware eingeschlossene Widerspruch von Gebrauchswert und Wert als äußerer Gegensatz von Ware und Geld erscheint und sich der gesellschaftliche Charakter der warenproduzierenden Arbeit sich darin äußert, daß die Ware reell gegen Geld getauscht werden muß, ihr Wert also die Geldform annehmen muß, ist auch die Möglichkeit des Nicht-Gelingens dieses Austauschakts da. "Keiner kann verkaufen, ohne daß ein andrer kauft. Aber keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat. Die Zirkulation sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produktenaustausches eben dadurch, daß sie die hier vorhandene unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eigenen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Verkauf und Kauf spaltet. Daß die selbständig einander gegenübertretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heißt ebensosehr, daß ihre innere Einheit sich in äußeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung der innerlich Unselbständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine Krise. . ."*47 Die der Ware immanenten Widersprüche erhalten in den Gegensätzen der Warenmetamorphose die "Bewegungsformen". Diese Bewegungsformen "schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. . ."*48 Dies bedeutet, daß Krisen als Möglichkeit des Eklats nicht auf allen Widerspruchsebenen angelegt sind, sondern die Widersprüche selbst Bewegungsformen gefunden haben müssen, in denen sich die Momente als äußere Gegensätze bedingen, aber auch verselbständigen können. Folglich ist es kein Zufall, wenn die Krise erst von Marx erwähnt wird, als der der Ware immanente Widerspruch von Gebrauchswert und Wert zur Notwendigkeit der Warenmetamorphose entwickelt ist und damit die Form begründet ist, in der sich die Momente des

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Widerspruchs überhaupt gegeneinander real verselbständigen können. Erst hier kann von der Möglichkeit der Krise die Rede sein: "Die Möglichkeit der Krise, soweit sie in der einfachen Form der Metamorphose sich zeigt, geht also nur daraus hervor, daß die Formunterschiede - Phasen -, die sie in ihrer Bewegung durchläuft, erstens notwendig sich ergänzende Formen und Phasen sind, zweitens trotz dieser inneren notwendigen Zusammengehörigkeit gleichgültig gegeneinander existierende, in Zeit und Raum auseinanderfallende, voneinander trennbare und getrennte unabhängige Teile des Prozesses und Formen (sind). Sie liegt also allein in der Trennung von Verkauf und Kauf. Es ist nur in der Form der Ware, daß die Ware hier die Schwierigkeit durchzumachen hat. Sobald sie die Form des Geldes besitzt, ist sie darüber hinweg... Die Weltmarktkrisen müssen als die reale Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung aller Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie gefaßt werden. Die einzelnen Momente, die sich also in diesen Krisen zusammenfassen, müssen also in jeder Sphäre der bürgerlichen Ökonomie hervortreten und entwickelt werden, und je weiter wir in ihr vordringen, müssen einerseits neue Bestimmungen dieses Widerstreits entwickelt, andererseits die abstrakteren Formen desselben als wiederkehrend und enthalten in den konkreteren nachgewiesen werden. - Man kann also sagen: Die Krise in ihrer ersten Form ist die Metamorphose der Ware selbst, das Auseinanderfallen von Kauf und Verkauf.. . "*49 Die Möglichkeit der Krise liegt also in der Trennung von Verkauf und Kauf. Diese Form der Bewegung der der Ware immanenten Widersprüche muß erst entwickelt sein, damit von der Krisenmöglichkeit überhaupt die Rede sein kann. Und darüber hinaus ist diese abstrakteste, allgemeinste Form ohne Inhalt der Krise in den konkreteren, in denen sich die Krise real bewegt, enthalten.

Wird die Krise in diesem Zusammenhang begriffen, dann kann auch nicht einfach vom möglichen Krisenmanagement des bürgerlichen Staates ausgegangen werden, da ja die Krise, die "gemanagt" werden soll, nur die unmittelbare sich aufdrängende Erscheinungsform der sich verschärfenden Widersprüche ist. Nicht die Krise wäre demzufolge vom Staat zu manipulieren, sondern die sie hervortreibenden Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise. Aber es darf füglich bezweifelt werden, ob der Staat als Institution auf der Grundlage der bestehenden Gesellschaft, mit Funktionen ausgestattet, die selbst das Resultat eklatierender Widersprüche sind, in der Lage ist, diesen Widersprüchen beizukommen. Mehr noch: der Staat ist, wie schon gezeigt wurde, selbst in den Widersprüchen dieser Gesellschaft befangen; wie soll er sie dann wirksam regulieren können?*50 Aus der Form

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der kapitalistischen Gesellschaft und ihres Staates folgt daher die prinzipielle Unfähigkeit zur Regulierung der gesellschaftlichen Widersprüche. Wenn dann aber der Staat als Krisenmanager fungiert, so setzt er an den Erscheinungsformen, an den Symptomen der gesellschaftlichen Widersprüche, der Krisen an.*50a Es sind dem Staat nur die Oberflächenbewegungen der bürgerlichen Gesellschaft zur Intervention zugänglich, nicht aber die ihnen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten. Jedes staatliche Handeln zur Behebung oder Verringerung von Konflikten setzt daher neue Konflikte. Es ist natürlich unmöglich, alle Erscheinungsformen der Krise des Kapitalismus heute, die staatlichen Interventionen und ihre Folgen zu behandeln. Wir werden uns daher auf einen Aspekt beschränken, der mit dem erst neuerdings auftauchenden Begriff der "Stagflation" beschrieben wird. Wir wählen dieses Problem deshalb, weil sich hier sehr schön zeigen läßt, wie der Staat als "Krisenmanager" nicht nur voll versagt, sondern auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, befangen in deren Widersprüchen, die Stagflation als spezifische Erscheinungsform der Krise produziert, indem er keynesianisches Krisenmanagement betreibt.

4.2. ´Keynesianische´ Staatsfunktion und Stagflation

Der Begriff der Stagflation drückt die positive Korrelation zweier Tendenzen aus, die im "klassischen" Konjunkturzyklus negativ korreliert waren: "Der Preisanstieg in Boomperioden ist so alt wie der Konjunkturzyklus; das Nichtzurückgehen der Preise in der Rezession ist das Spezifikum der jüngeren Vergangenheit."*51 Weiche Gründe sind es, die eine solche Kombination bewirken?

Gehen wir zunächst auf die Preisbewegung ein. Daß an der säkulären Inflation weder die Gewerkschaften und die "Lohn-Preis-Spirale" Schuld sind, noch die Monopolisierung der Wirtschaft, soll in diesem Papier nicht ausführlich dargelegt werden; die Auseinandersetzung mit dieser These wird in anderen Schriften geführt.*52 Die Preissteigerungen der vergangenen 20 Jahre

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eines nur durch schwache Rezession kurzzeitig unterbrochenen allgemeinen Aufschwungs auf dem kapitalistischen Weltmarkt haben ihre Ursache vielmehr in der raschen Ausdehnung des Kapitals mit der Folge der Kreditausweitung in allen Weltmarktländern; den im Aufschwung erzielbaren Extraprofiten entwickelter Kapitale (handele es sich um Einzelkapitale innerhalb einer Nation oder um nationale Gesamtkapitale auf dem Weltmarkt) die ja darin sich ausdrücken, daß Preissenkungen nicht entsprechend der Steigerung der Produktivkraft erfolgen und daher immer ein Moment "relativer Inflation", wie Hofmann dies nennt,*53 enthalten; den im Aufschwung aus den stofflichen Bedingungen des Produktionsprozesses resultierenden Disproportionen infolge der Länge der Produktionsperiode bestimmter Waren, während der aber Rohstoffe gekauft und Arbeitskräfte bezahlt werden müssen, so daß dem Markt Ware entzogen wird, aber keine Ware geliefert wird, während andererseits Geld in die Zirkulation gelangt; und schließlich haben die Preissteigerungen ihre Ursache in der kontinuierlich wachsenden Staatsschuld der wichtigsten kapitalistischen Nationen, vor allem der USA. Da über den Weltmarkt ein enger Zusammenhang der kapitalistischen Nationen gegeben ist, brauchen die benannten Faktoren nicht unbedingt in jeder Nation ihren Ursprung zu haben, um in den Prozeß nationaler Preisinflationen einzumünden. Solange der Weltmarkt expandiert, wird eine national beschränkte Stagnation oder Rezession, sofern dieses entsprechende Land in den Weltmarktzusammenhang integriert ist - und welche entwickelte kapitalistische Nation ist dies heute nicht - auch dann nicht zu kompensierenden Preissenkungen führen, wenn eine "disziplinierte" Wirtschaftspolitik betrieben wird. Das höchste, was erwartet werden kann, ist eine zeitweise Preisberuhigung wie in Westdeutschland nach 1966. Im Weltmarktzusammenhang liegen ja gerade die Grenzen für eine erfolgreiche nationalstaatliche Wirtschaftspolitik.*54 So schreibt auch der Sachverständigenrat: "Das System von Bretton Woods... hat eine Solidargemeinschaft mit inflatorischem Trend geschaffen. In großer Anzahl haben die Länder Zielkonflikte, in die sie durch übersteigerte Ansprüche an das Sozialprodukt gerieten, überwiegend zu Ungunsten der Geldwertstabilität entschieden. Da diese Länder ein Obergewicht hatten, konnten sie das Hintansetzen der Geldwertstabilität zur Norm des Systems machen und ... auch die stabilitätsbewußten Länder zwingen, dem Trend der schleichenden Weltinflation zu folgen ... Das innere Ungleichgewicht des Systems läßt sich auch so kennzeichnen:
Während inflatorische Impulse

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sich immer ungehinderter ausbreiten konnten, wurden die disziplinierenden Wirkungen, die von stabilitätsbewußten Ländern hätten ausgehen sollen - und die für die Funktionsfähigkeit des Systems völlig unentbehrlich waren - mehr und mehr durch die Devisenreserven einer reichlich mit Liquidität versorgten Welt abgefangen, ja konterkariert . . ."
*55 Wir sind nicht der Auffassung, daß die Weltmarktinflation unmittelbar dem System von Bretton Woods geschuldet ist, sondern dem Weltmarktzusammenhang der kapitalistischen Nationen in einer allgemeinen Aufschwungphase, gleichgültig wie das Währungssystem technisch ausgestaltet ist, und wir halten es für falsch, die vagabundierenden Devisen, vor allem Dollardevisen, der "Disziplinlosigkeit" nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik zuzuschreiben. Denn diese "Disziplinlosigkeit" selbst ist die notwendige Konsequenz der fundamentalen Widersprüche im entwickelten Kapitalismus, die sich in den neuen Formen der Staatstätigkeit nach dem zweiten Weltkrieg, den besonderen historischen Bedingungen also, unter denen der Staat Produktionsbedingungen und damit die Reproduktionsbedingungen des gesellschaftlichen Systems gewährleistet, ergeben. Bevor darauf eingegangen werden soll, ist es notwendig, die andere Seite der Stagflation, die Stagnation, kurz zu untersuchen.

Die Stagnation ist eine besondere historische Erscheinungsform der Krise, aus der kein neuer Konjunkturaufschwung erfolgt. Sie drückt somit einen Zustand der Ökonomie aus, der dadurch gekennzeichnet ist, daß die "reinigende Funktion der Krise" sich noch nicht ausgewirkt hat. Vereinfacht, d. h. vom Resultat her gesprochen, hat die Krise die Situation dann "bereinigt", wenn die Durchschnittsprofitrate der Einzelkapitale nach dem Fall, der zur Krise führte, wieder zu steigen beginnt. In der Krise müssen also Kräfte wirksam sein, die auf der einen Seite das vom Kapitalisten vorzuschießende Kapital verringern, beispielsweise durch Senkung der Preise der Elemente des konstanten Kapitals (Rohstoffe, Maschinen), oder durch Senkung des vorzuschießenden variablen Kapitals (Reallohnsenkung, Einschränkung der beschäftigten Arbeiterzahl), auf der anderen Seite die Ausbeutungsrate steigern, vor allem durch Intensivierung der Arbeit, Verlängerung des Arbeitstages der Beschäftigten. Mit anderen Worten: Kapital muß für einen neuen Aufschwung entwertet werden und das nicht entwertete, vorgeschossene Kapital muß eine höhere Profit- und letztlich Mehrwertrate abwerfen, damit

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ein Neuaufschwung einsetzen kann.*56 Zudem müssen Zinssenkungen und Verringerungen der Grundrente stattfinden, damit der industrielle Profit zu steigen vermag; denn vom industriellen Profit hängt die Konjunktur ab, nicht vom zinstragenden Kapital.*57 Und schließlich müssen Realisierungsmöglichkeiten entstehen, um die neu produzierten Werte auch absetzen zu können, beispielsweise durch Erschließung neuer Absatzgebiete auf dem Weltmarkt. Sind diese Bedingungen nicht oder nur teilweise gegeben, dann ist ein neuer Aufschwung zweifelhaft, dann herrscht allenfalls "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung", also Stagnation, die durch "mangelnde Investitionsgelegenheiten" privater Kapitale gekennzeichnet ist.*58

Die mangelnden Investitionsgelegenheiten beziehen sich natürlich nur auf die private Kapitalakkumulation. Im Abschnitt über die allgemeinen materiellen Produktionsbedingungen sind wir noch davon ausgegangen, daß die mangelnde Kapitalverwertung bei bestimmten Produktionsprozessen in bestimmten historischen Phasen festgemacht werden kann, die sich aufgrund ihrer besonderen Bedingungen nicht oder nur schlecht unter das Kapital als Einzelkapital subsumieren lassen, während in den anderen Bereichen der kapitalistischen Gesellschaft eine für flotte Akkumulation ausreichende Verwertung des Kapitals gegeben ist. Der Staat kommt hier sozusagen aus "strukturellen" Gründen ins Spiel. Anders verhält es sich aber im Falle der Stagnation, die ja gerade durch mangelnde Verwertung im privaten Bereich gekennzeichnet ist. Die Funktion des Staates besteht jetzt nicht darin, allgemeine Produktionsbedingungen zu erzeugen, um den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß als Mittel des Verwertungsprozesses der vielen Einzelkapitale zu ermöglichen, sondern bei der Herstellung von Verhältnissen mitzuwirken, die die Krise zwar überflüssig machen, dennoch aber in der Wirkung ihre reinigende Funktion ausüben. Der Staat kommt hier sozusagen aus "konjunkturellen" Gründen ins Spiel. Hier haben wir den Punkt, an dem der Staat mit seinen Staatsausgaben relevant wird; der stagnierenden Kapitalakkumulation wird durch Staatsausgaben entgegengewirkt. Für Keynes war die Art der Staatsausgaben gleichgültig*59 jedenfalls soweit es um die multiplikative Einkommens- und Beschäftigungswirkung geht. Damit sind wir aber dort, wo die Keynesianische Ökonomie auf gar keinen Fall hin will, nämlich "in the world of Say's Law of Markets; only Governement is the deus ex machina that insures effective demand."*60 Und in bezug auf die Probleme der Schaffung

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der allgemeinen Produktionsbedingungen haben wir hiermit ein Exempel dafür, wie tatsächlich der Staat entsprechend den Verwertungsbedingungen des privaten Kapitals eine Funktion erhält, also nicht von Natur aus irgendwelche Produktionsbedingungen übertragen bekommen hat und andere nicht. Was allgemeine Produktionsbedingungen sind, richtet sich gerade danach, was vom Kapital in einer spezifischen historischen Situation nicht von ihm selbst übernommen werden kann. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Verwertungsbedingungen des Kapitals es nur zulassen, daß ein Teil der Arbeiterbevölkerung eines Landes als produktive Arbeiter, d. h. Kapital produzierende Arbeiter beschäftigt werden kann, dann gibt es nur die Alternative der "Unterbeschäftigung" oder ihrer unproduktiven, d. h. nicht Kapital produzierenden Verwendung durch den Staat. Daß der Staat nicht Arbeitskräfte gegen Kapital ankauft, zumindest nicht in größerem Umfang, geht schon daraus hervor, daß der Staat als Kapitalist nicht in Konkurrenz zu anderen Kapitalen treten wird, weil dies eine weitere Verschlechterung der schon unzureichenden Verwertungsbedingungen für eine Vollbeschäftigung zur Folge haben würde, wie bereits dargestellt wurde.

Indem der Staat aber in diesem Sinne Maßnahmen zur Abwendung einer allgemeinen Stagnation der kapitalistischen Wirtschaft ergreift, übt er in seinen ökonomischen Aktivitäten bestimmte und je nach Ausgabeart unterschiedliche Wirkungen auf die Kapitalentwicklung aus. Die Wirkungen der Ausgabenarten sollen nur kurz dargestellt werden.
  1. Kommen die Staatsausgaben der Arbeiterklasse zugute, ohne Einschränkung der individuellen Konsumtion (verbessertes Gesundheits- und Bildungswesen z. B.), so verbessert sich die Verteilung des Wertprodukts zugunsten der Arbeiterklasse, was jedenfalls eine verringerte Mehrwertrate und letztlich auch eine verringerte Profitrate des Kapitals zum Resultat hat. Maßnahmen mit dieser Wirkung können daher das Ziel der Beseitigung der Stagnation durch Ankurbelung der Kapitalakkumulation nicht erreichen.
  2. Werden die Staatsausgaben dazu verwandt, eine Umverteilung des Profits innerhalb der Kapitalistenklasse vorzunehmen (Subventionen), so ist nur dann ein positiver Effekt auf die Akkumulation abzusehen, wenn die subventionierten Kapitale die erhaltenen Beträge akkumulieren, wohingegen die Kapitale, denen die Subventionen weggesteuert worden sind, die entsprechenden Beträge stillgelegt oder konsumiert hätten - ein jedenfalls sehr unrealistischer Fall.
  3. Werden die Staatausgaben für öffentliche Aufträge verwandt, so ist danach zu unterscheiden, was mit den vom Staat gekauften Waren weiter passiert, aus welchem Teil der nationalen Revenue, den Lohn- oder den Profiteinkommen sie hauptsächlich finanziert werden und welcher der beiden Klassen sie hauptsächlich zugutekommen. Denn gerade davon hängt ihre Wirkung ab. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, inwieweit die Staatsausgaben als Geld den Produzenten von Waren zufließen, ohne daß die vom Staat gekauften Waren selbst wieder in Form von Warenkapital

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    oder Produktivkapital im Zirkulationsprozeß der vielen Einzelkapitale bleiben. Solche Waren fallen dann aus der Kapitalzirkulation völlig heraus; sie sind "Endprodukte", die der Konsumtion, wenn auch nicht der individuellen Konsumtion zur Reproduktion der Arbeiterklasse anheimfallen.
In diese letztere Kategorie fallen vor allem die Rüstungsgüter und Militärausgaben, die die beliebteste Form der Staatsausgaben darstellen, um eine stagnative Phase zu überwinden: Rüstungsaufträge und entsprechende Aufträge für andere Arten von "Vergeudungsproduktion" ermöglichen die Realisierung des produzierten Kapitalwerts gerade in den Zweigen, die am meisten unter der Stagnation oder Depression leiden, nämlich in den Produktionsmittel produzierenden Industrien (natürlich hängt diese Aussage auch von der Rüstungstechnologie ab). Rüstungsgüter erhöhen weder den Reallohn der Arbeiterklasse, bedeuten also keine Umverteilung des Neuwerts zugunsten der Arbeiterklasse, noch können sie als Produktivkapital in Konkurrenz zu anderen Privatkapitalen treten. Vom Gesamtkapital her betrachtet werden Rüstungsausgaben aus der staatlichen Revenue finanziert, die der Staat entweder aus Steuern - zumindest zu einem Teil aus dem Mehrwert abgeschöpft - oder aus Anleihen bezieht; aber auch Staatsanleihen werden auf dem Kapitalmarkt gegen einen bestimmten Zinssatz von den Kapitalisten geborgt.*61 Wenn nun aber die Rüstungsausgaben vom Kapital "selbstfinanziert" werden und ihm wieder in Form von Aufträgen zugutekommen, dann kann die Schlußfolgerung nur lauten, daß hier eine staatlich vermittelte Umverteilung innerhalb des Mehrwerts der Kapitalistenklasse vom akkumulationsfähigen und der individuellen Konsumtion der Kapitalisten dienenden Teil auf einen staatlich vermittelten destruktiv verwendeten Teil stattfindet. Für die Gliederung der Wirtschaft in Produktionszweige bedeutet diese Umverteilung die Bevorzugung der Akkumulation der Rüstungswirtschaft und die relative Verlangsamung der Akkumulation in den übrigen Zweigen. Wird aber so der akkumulationsfähige Teil des Mehrwerts beschnitten, wird er permanent dazu verwendet, Waren aus dem Markt zu ziehen, Geld in die Kapitalzirkulation zu pumpen und Löhne für Arbeiter und vor allem Nicht-Arbeiter (Soldaten) zu zahlen, so ist klar, daß erstens eine permanente Aufblähung des Preisniveaus erfolgen muß und daß zweitens unter der Annahme, jede Akkumulationswelle erhöhe die organische Zusammensetzung des Kapitals, bei einer Verlangsamung des Akkumulationsniveaus auch der Tendenz zur Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals und folglich auch der Tendenz zum Fall der Profitrate entgegengewirkt wird.*62 Auch ist

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hiermit eine nachhaltige Steigerung der Staatsschuld verknüpft, worauf schon unter dem Aspekt der inflationären Faktoren hingewiesen wurde.

Der Staat kommt also in der Stagnation ins Spiel, aber kann er sie darum auch nachhaltig bekämpfen und zu einer Situation des "Gleichgewichts bei Vollbeschäftigung" hinfinden? Wir müßten allerdings unsere im ersten Abschnitt entwickelte These revidieren, der Staat fungiere auf Grundlage des Kapitalverhältnisses und sei in seinen Widersprüchen involviert, ohne sie auf der Grundlage der bestehenden Gesellschaft lösen zu können, gäbe es Gründe anzunehmen, der kapitalistische Staat könnte in seinen Interventionen zur Überwindung der Stagnation erfolgreich sein. Er kann es nicht oder nur zeitweise, wie einige Überlegungen klarzumachen in der Lage sind:
Einmal ist die Ausdehnung des Rüstungssektors und ähnlicher Bereiche (Raumfahrt usw.) selbst der wichtigste Faktor für das Anwachsen der Staatsschuld, der ja innerhalb des gesellschaftlichen Zirkulationsprozesses eine wachsende Geldmenge entspricht, die in Richtung einer Aufblähung des Geldausdrucke der Werte tendiert. Denn infolge der staatlich erzeugten Geldnachfrage ist es einzelnen Kapitalisten möglich, ihre Preise zu erhöhen. Warum sollten sie es nicht bei verbesserten Realisierungschancen ihrer Waren auf dem Markt? In diesen Prozeß werden andere Kapitalisten, die nicht direkt Lieferanten für den Staat sind, einbezogen, so daß schleichende oder gar galoppierende Inflation die Folge ist. Es wäre allerdings zu einfach, die Ausdehnung des Rüstungsbereichs nur aus den ökonomisch interpretierten Stagnationsproblemen herzuleiten; der militärische Bereich wird vor allem deshalb ausgeweitet, um die Herrschaftssphäre eines nationalen oder mehrerer nationaler Kapitale (oder auch die sogenannte "freiheitlich demokratische Grundordnung") zu erhalten oder auszudehnen. Wie Rosa Luxemburg sagt: Der Militarismus bedingt den Imperialismus und der Imperialismus bedingt den Militarismus. So waren es immer die großen Kriege, die nicht nur eine galoppierende Inflation, sondern die totale Destruktion des Geldwesens zur Folge hatten. Und es ist auch heute wieder der Krieg, nämlich die Aggression des US Imperialismus vor allem gegen die Völker Indochinas, der die weltweite Inflation hervorgerufen hat einen Grund, den der Sachverständigenrat in dem angeführten Zitat als "übersteigerte Ansprüche an das Sozialprodukt" und "Hintansetzung der Geldwertstabilität" euphemisiert.

Zum anderen aber sind auf diese Weise die stagnativen Tendenzen in einer hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft gar nicht zu überwinden. Denn auch die Kapitale, die nicht für den Markt, auf dem die Kapitale untereinander austauschen, sondern für den Staat produzieren, sind vermittels der Konkurrenz gezwungen, als Kapitale zu fungieren. Sie müssen also akkumulieren und das heißt, daß sie nicht nur ihre Mehrwertproduktion, sondern auch ihren Warenausstoß ausdehnen müssen. Damit aber wird vom Staat verlangt, immer mehr von diesen Kapitalen zu kaufen, das heißt die Staatsschuld zu vergrößern zugunsten einer tendenziellen Überwucherung der ganzen Ökonomie durch die Rüstungsindustrie. Der Staat steht nun vor der Alternative, entweder diese Überwucherung zuzulassen, also die Akkumulation in der Rüstungs-

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industrie zu begünstigen und damit letztlich andere Einzelkapitale, die nicht zur Rüstungsindustrie gehören, zurückzudrängen*63 , oder aber die Überwucherung zu stoppen und damit die Rüstungsindustrie an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung zur Stagnation zu verdammen.

In dieser Konsequenz manifestiert sich die besondere Funktion des Staates in der kapitalistischen Gesellschaft, sofern aufgrund der historischen Tendenz der fallenden Profitrate eine wachsende Zahl von Produktionsprozessen nur noch infolge staatlich vermittelter Umverteilungsmaßnahmen der produzierten Werte erhalten werden kann. Bei der Sicherung allgemeiner materieller Produktionsbedingungen ("Infrastruktur") gibt es für die staatliche Aktivität einen aus dem Charakter des Arbeitsprozesses sich ergebenden Sättigungsgrad, der zwar nie erreicht zu werden braucht unter Bedingungen der "öffentlichen Armut", der aber in der Natur der Sache selbst steckt, genau wie von der Gebrauchswertseite her betrachtet für jede Ware ein Sättigungsgrad der individuellen oder gesellschaftlichen Bedürfnisse gegeben ist. Über diesen Sättigungsgrad hinaus wird die Produktion der Ware, auch die Produktion und der Betrieb der Produktionsbedingungen, überflüssig. Um mit Keynes zu sprechen: "Two pyramids, two masses for the dead, are twice as good as one; but not so two railways from London to York."*64 Es kann sein, daß es gar keine Eisenbahnverbindung zwischen "London" und "York" gibt als Ausdruck des allgemeinen Mangels an infrastrukturellen Einrichtungen, aber nur eine Eisenbahnverbindung wäre gut, zwei Verbindungen wären zuviel. Ganz anders verhält es sich bei den staatlichen Funktionen, bei denen es nicht darauf ankommt, Bedingungen des Arbeitsprozesses für alle Kapitale zu errichten, sondern bei denen es darauf ankommt, die Verwertung von Einzelkapitalen selbst durch Umverteilung von Werten sicherzustellen. Hier vollzieht ja der Staat gerade nicht nichtkapitalistische Produktionsprozesse wie in der Infrastruktur, sondern er stützt durch seine Ausgaben akkumulierende Kapitale. Hier gibt es keine Sättigungsgrenze, denn der Verwertungstrieb des Kapitals ist maßlos; hier stützt der Staat einen Produktionsbereich, dessen Erhaltung nur möglich ist in seiner permanenten Ausdehnung. Sofern die Staatsausgaben zum Moment im Zirkulationsprozeß von Einzelkapitalen werden, auf das sie angewiesen sind, müssen sie entsprechend dem Akkumu-

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lationsprozeß dieser Einzelkapitale expandieren. Zwei Pyramiden, zwei Totenmessen, sind daher tatsächlich besser als eine, und drei sind besser als zwei usw. - besser für die in diesen Zweigen akkumulierenden Kapitale.

Erst die Analyse des Charakters der "keynesischen" Funktion des Staates ermöglicht es, aus der Art des Krisenmanagements theoretisch die Notwendigkeit der Stagflation herzuleiten und damit die historische Tendenz zur Stagflation zu begründen. Denn nun ergibt sich folgende Konsequenz: Wenn die Rüstungsausgaben (und ökonomisch ihnen entsprechende Staatsausgaben) permanent gesteigert werden, dann ist nicht nur eine hohe Inflationsrate, sondern auch eine strukturelle Veränderung von Ökonomie und Gesellschaft die Folge mit negativen Begleiterscheinungen für die Reproduktionsbedingungen des Kapitalverhältnisses. Dies ergibt sich vor allem daraus, daß die Rüstungs- und Militärausgaben progressiv steigen müssen, sollen sie wirklich den Akkumulationsnotwendigkeiten der Kapitale gehorchen. Daß eine solche Progression ihre gewaltsame Lösung nur im Krieg finden kann, hat die Geschichte kapitalistischer Staaten schon mehrfach bewiesen. Aber auch eine Stagnation oder gar Senkung der, Rüstungsausgaben erhöhen mit jeder verausgabten Geldeinheit die Staatsschuld absolut. Die inflationistischen Tendenzen wirken also auch dann weiter, wenn die Rüstungs- und Militärausgaben stagnieren oder gar sinken. Aber stagnierende, wenn auch auf einem noch so hohen Niveau stagnierende Militär- und Rüstungsausgaben, bedeuten für die in diesen Sektoren produzierenden Kapitale Stagnation der Realisierungsbedingungen und daher auch Stagnation der Produktion mit der Konsequenz brachliegenden Kapitals, zurückgehender Bestellungen bei Kapitalen, die für die Kapitalerweiterung produzieren (Produzenten von Produktionsmitteln), mangelnder Kapazitätsauslastung und ansteigender Arbeitslosigkeit.

Der Staatsinterventionismus im Keynes'schen Sinne muß also deshalb scheitern, weil entgegen der Keynes'schen Annahme die Art der Staatsausgaben für die Entwicklung des Kapitals nicht gleichgültig ist. Besteht die Staatsfunktion darin, akkumulierenden Kapitalen die Verwertung und damit auch die Akkumulation zu ermöglichen, dann dürfen die Staatsausgaben weder der Arbeiterklasse zugutekommen noch in der Errichtung von Konkurrenten der Kapitale resultieren. Die Staatsausgaben müssen sich auf einen Bereich konzentrieren, wo sie sich weder in Produktivkapital noch in Konsumtionsmitteln für die Arbeiterklasse manifestieren. Der Vorrang der Rüstungsausgaben hat also einen tieferen ökonomischen Sinn im Kapitalismus. Jedoch ist darin der Widerspruch eingeschlossen, daß der staatlich vermittelte Rüstungs- und Militärbereich alle anderen gesellschaftlichen Bereiche und alle anderen Einzelkapitale zu überwuchern tendiert. Geraten die Rüstungs- und Militärausgaben an diese Grenze, so kann nur noch Krieg bis zur Destruktion des die Profitrate belastenden Kapitals die Konsequenz sein oder Kürzung bzw. Stagnation der Rüstungs und Militärausgaben. Die letztere Alternative ist nun die Ursache für die Stagnation: Die Staatsschuld wächst weiter, solange überhaupt Rüstungs- und Militärausgaben vorgenommen wer-

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den, und damit besteht auch der inflationäre Druck weiter. Mit der Stagnation oder stagnierenden Steigerungsrate der Staatsausgaben jedoch ist der Bereich privater Kapitale, der davon sozusagen lebt, zur Stagnation verdammt: Stagflation.

Wir sehen also, wie in den keynesianischen Versuchen der Stagnationsüberwindung schon die erneute Stagnation und Krise angelegt ist. Die ursprünglichen Impulse der Staatsausgaben können auf die Realisierungsbedingungen des Kapitals positiv wirken und die Produktion ankurbeln helfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn den Rüstungsausgaben der Krieg folgt und sein Werk nicht nur der Menschenvernichtung, sondern der Kapitalvernichtung ("Entwertung") in physischer und wertmäßiger Destruktion vollführt und somit dem Kapital einen Neuanfang der Akkumulation bei hoher Profitrate ermöglicht ("Rekonstruktionsperiode").*65 Solange diese Periode andauert, ist der in der Form staatlicher Krisenvermeidungsstrategie angelegte Widerspruch überdeckt, die "widerstreitenden Agentien" sind nicht bis zur vollen Entfaltung gelangt. In einer allgemeinen Aufschwungphase des Weltmarktes wie nach dem zweiten Weltkrieg kann daher die Stagflation nicht oder nur in sehr gehemmter Weise erscheinen. Gerade die Tatsache, daß zwar die Rüstungsausgaben in allen kapitalistischen Staaten - allerdings mit Zeitverzögerung, Westdeutschland entwickelt erst seit Ende der 50er Jahre eine Rüstungsindustrie und Japan noch sehr viel später - permanent angestiegen sind, gleichzeitig aber die Verwertungsbedingungen des Kapitals so gut waren, daß die Staatstätigkeit, wie schon erwähnt, per saldo relativ rückläufig war, zeigt, daß in den vergangenen 20 Jahren die Akkumulation des Kapitals wesentlich aus den dem Kapital selbst immanenten Kräften erfolgt ist. Sobald aber die Phase der flotten Akkumulation sich dem Ende zuneigt, die Profitrate aufgrund steigender organischer Zusammensetzung des Kapitals wirklich fällt ("Tendenz zum abnehmenden Ertragszuwachs")*66 wird der hier angeführte Widerspruch zum Tragen kommen. Vermittelt über den Weltmarktzusammenhang der nationalen Gesamtkapitale wird er zur Erscheinungsform in der gesamten kapitalistischen Welt*67 , während bisher seine Ausdrucksform als Stagflation national begrenzt war (USA 1958).

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Das, was heute mit dem neuen Begriff der Stagflation bezeichnet wird, ist also nichts Neues, sondern nur die Benennung des der keynesianischen Strategie der Krisenvermeidung grundsätzlich zugrundeliegenden Widerspruchs, der sich am Ende eines lange andauernden Weltmarktaufschwungs sichtbar erscheinend historisch zuspitzt.

5. Die Bedeutung der Wissenschaft vom Staatsinterventionismus

Trotz all der hier aufgezeigten Widersprüchen, in denen der bürgerliche Staat befangen ist, macht sich die bürgerliche Wissenschaft anheischig, ihm Modelle und Materialien liefern zu können, mit denen die Interventionen in die Ökonomie effektiver ausgestaltet werden könnten. Im Gegensatz noch zur klassischen politischen Ökonomie, deren Erkenntnisziel tatsächlich die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft war, ist die heutige Sozialwissenschaft weitgehend darauf ausgerichtet: was ist mit den Ergebnissen in Händen der Politiker anzufangen? Indem diese Wissenschaft sich selbst auf ein Politikverständnis bezieht, in dem nur noch der Begriff der Manipulation gesellschaftlicher Prozesse seitens des Staates adäquat das Verhältnis von Staat und Ökonomie auszudrücken vermag, beschränkt sie sich selbst in Analyse und Forschungsprogramm auf die Bereiche, die wirklich zur Disposition stehen, das heißt auf die Oberflächenerscheinungen des Kapitalverhältnisses. Der Begriff des gesellschaftlichen Widerspruchs muß hierbei weitgehend oder völlig verloren gehen und damit auch die Wahrnehmungsfähigkeit gesellschaftlicher Widersprüche; allenfalls werden noch Konflikte gesehen, die es gerade zu manipulieren gilt, und darüber hinaus entfallen in zunehmendem Maße alle Ansprüche, Bedingungen, Voraussetzungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen zu analysieren. So wie der wissenschaftliche Fortschritt in einem schrittweisen Ansammeln zusätzlicher Fakten erblickt wird, so auch der Fortschritt der staatlichen Manipulationsfähigkeit in einem schrittweisen Anwachsen der von der Wissenschaft erkannten manipulierbaren Daten und Prozesse. Aufgrund eines solchen Verständnisses können es immer wieder wissenschaftliche Scharlatane zu Ruhm, Ehren und Einfluß bringen, sofern sie nur neue "manipulierbare Daten und Prozesse" entdecken.*68 Nicht zuletzt aus solchen Erfahrungen begründet sich die eher pessimistische Haltung vieler Wissenschaftler, die sich an Beratung orientieren, daß trotz aller Beratungsvorschläge und -gremien die Politiker doch aus ihrer politischen Verantwortung, ihrer Intuition, ihrem praktischen Verständnis unabhängig und unter Umständen auch gegen die Berater handeln müßten; theoretisch gewendet führt eine solche Einschätzung geradewegs in die Bestätigung der Behauptung, daß Politik und Wissenschaft eben zwei verschiedene Bereiche seien, unterschiedlichen Regeln unterworfen und von Menschen konträren Naturells bewohnt. Flucht in diese Art der Dichotomie ist allerdings nur die Kehrseite der Zusammengehörigkeit, wie sich herausstellen wird.

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Wenden wir uns zunächst einem Beispiel zu, um zu sehen, wie Wissenschaft in Orientierung auf Politikberatung vorgeht, bevor wir unsere Schlußfolgerungen daraus ziehen. Grundsätzlich kann gesagt werden, daß an die Stelle des Erkenntnisinteresses der theoretischen Einsicht in gesellschaftliche Vorgänge die Suche nach zusätzlichen Informationen getreten ist, von denen erwartet wird, neue und komplizierte Ablaufanalysen speisen zu können. Diese Fragestellung durchzieht gerade die Gutachten, mit denen die Politik die Aura der Wissenschaftlichkeit und natürlich auch der Klassenneutralität produziert, und so werden wir uns in unserer Analyse den Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (JG) zuwenden, um unserer Frage nachzugehen.

Die Jahresgutachten sind ganz von ihrem Auftrag her konzipiert, wie er im "Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrates" formuliert ist. Dieses Gesetz beauftragt den Sachverständigenrat "die jeweilige gesamtwirtschaftliche Lage und deren absehbare Entwicklung darzustellen" und zu untersuchen, "wie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetig steigendem und angemessenem Wachstum gewährleistet werden können." Das Gesetz knüpft also selbst an den Erscheinungsweisen der ökonomischen Entwicklung an, unter denen einige herausragende Indikatoren, nämlich Preisniveau, Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Wirtschaftswachstum als politische Kriterien für gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht innerhalb einer marktwirtschaftlichen Ordnung definiert werden. Nun stehen aber bekanntlich diese vier politischen Kriterien für eine gesamtwirtschaftliche Gleichgewichtslage widersprüchlich zueinander (magisches Viereck). Alle Ziele gleichzeitig zu gewährleisten, ist mittlerweile von der bürgerlichen Ökonomie und der Wirtschaftspolitik als unmöglich aufgegeben worden, worin indirekt zum Ausdruck kommt, daß die bürgerliche Ökonomie in dem Moment, wo sie praktisch werden muß, von den kapitalistischen Widersprüchen nicht zu abstrahieren vermag. Daraus zieht der Sachverständigenrat die Konsequenz, "daß der Sachverständigenrat immer jenen Zielen die größte Aufmerksamkeit zuwenden muß, die in der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage und deren absehbarer Entwicklung am wenigsten verwirklicht sind." (JG 67/68, Vorwort Ziff. 3). Natürlich hängt das Ausmaß, in dem die Ziele widersprüchlich zueinander stehen, gerade von der konjunkturellen Entwicklung selbst ab. Zu dieser Einschätzung kommt auch der Sachverständigenrat durch empirische Beobachtung, die er in seinem Jahresgutachten 1969/70 angestellt hat. Er untersucht (Ziff. 231), "inwieweit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen 6 Jahren von diesen vier großen Zielen abgewichen ist", und kommt zu der Einschätzung: "Den Zielen noch am nächsten kam man im Aufschwungsjahr 1964, als nur das Ziel der Geldwertstabilität verletzt war, am zweitnächsten im Aufschwungsjahr 1968, in dem die Verhältnisse ähnlich lagen, aber außerdem noch das außenwirtschaftliche Gleichgewicht stark gestört war. Diese Beobachtung scheint die Auffassung zu erhärten, die großen wirtschaftspolitischen Ziele seien gleichzeitig allenfalls vorübergehend zu verwirklichen -

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in Perioden der wirtschaftlichen Erholung, die auf Phasen unzureichender Kapazitätsauslastung folgen."
(JG 69/70 Ziff. 231) Hier erscheint also auf der empirischen Ebene die Tatsache, daß ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaft allenfalls in der Phase der Depression, nachdem die Wirtschaftkrise ihre ´reinigende' Kraft ausgeübt hat, vorhanden sein kann. Dabei ist insofern an dieser generellen Feststellung eine Modifikation anzubringen, als nach der Krise von 1966/67 keine langandauernde Depression herrschte, gerade infolge des "außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts", d. h. den außergewöhnlichen hohen Überschüssen der westdeutschen Handelsbilanz.*69 Aber die Tendenzen zum zeitweisen Gleichgewicht infolge der Krise haben sich auch nach 1966/67 gezeigt, da sowohl Kapitalentwertung (Bankrotte, Konzentration durch Vernichtung kleiner und mittlerer Kapitale, Abschreibungen von Lagern und von veralteten Anlagen usw.) als auch Arbeitsintensivierung stattfanden, d. h. sowohl das eingesetzte Kapital relativ zur Profitmasse verringert als auch die Mehrwertrate gesteigert wurde. Die vom Sachverständigenrat konstatierte Widersprüchlichkeit der Zielverwirklichung ist nur die äußerste Oberfläche der Bewegung der kapitalistischen Akkumulation und auf der Ebene der Abschätzung der vier politischen Kriterien sind deren Zusammenhänge ganz sicher nicht zu analysieren. Der Sachverständigenrat kann sich bei seinem Verhaftetsein in den Erscheinungsweisen des Akkumulationsprozesses auf das Gesetz berufen, das ja gerade dies vorschreibt. Der Sachverständigenrat akzeptiert diese Vorschrift und verzichtet so auf die Analyse der grundlegenden Widersprüche, die als Ursache für die Entwicklung aller vier Ziele ausgemacht werden müßten. So bleibt dem Sachverständigenrat der innere Zusammenhang dessen, was er analysieren soll, nämlich der Krisenzyklus, letztendlich verborgen.

Hier ist natürlich die Frage anzuschließen, ob es nur die mangelnden theoretischen Einsichten des Gesetzgebers gewesen sind, die dieses Verhaftetsein in den Oberflächenerscheinungen vorgeschrieben haben, oder ob dem andere Ursachen zugrundeliegen. Eine Voraussetzung für die Möglichkeit politischer Manipulation mit realen ökonomischen Kategorien (Wirtschaftspolitik) ist ein gewisser Eklektizismus der Theorie.*70 Dadurch wird erst die Voraussetzung hergestellt, daß die Faktoren, an denen die Manipulaton an-

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zusetzen hat, als isolierte betrachtet und behandelt werden können. Wenn folglich der Gesetzesauftrag von den Notwendigkeiten bürgerlicher Wirtschaftspolitik her formuliert ist, dann kann von diesem Auftrag gar nichts anderes erwartet werden, als die erwähnte Isolierung von Faktoren, als die Abwägung von gegenseitig isolierbaren politischen Kriterien auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft. Wir erkennen, wie sich die Entwicklung der bürgerlichen Ökonomie zum Eklektizismus auf der einen Seite und die Anforderungen der Wirtschaftspolitik an die Wirtschaftstheorie auf der anderen Seite ergänzen und einen unmittelbaren "Sachzwang" ausüben, der dieses Verhaftetsein in den Oberflächenerscheinungen bestärkt.

Ein zweiter Gesichtspunkt zum Auftrag des Sachverständigenrates muß noch reflektiert werden. Es handelt sich dabei um die bürgerlich positivistische Trennung von Beratung und Politik, die im Verbot von Empfehlungen ausgedrückt wird: "Mit der im Gesetz niedergelegten Beschränkung des Auftrages. . ., die darin besteht, daß der Sachverständigenrat keine Empfehlungen für bestimmte Wirtschafts und Sozialpolitische Maßnahmen aussprechen soll, hat der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die politische Verantwortung in diesem Bereich ausschließlich bei den verfassungsmäßig zuständigen Organen, bleibt; er will nicht einmal Empfehlungen, die diese Verantwortung nach außen hin abschwächen könnten." (JG 67/68 Vorwort Ziff. 5). Die Grundlage einer solchen Selbstbeschränkung kann nur darin bestehen, daß es als unmöglich erkannt wird, richtige Urteile in der bürgerlichen Gesellschaft abzugeben, Der bürgerliche Theoretiker ist nicht immer in der Lage zu erkennen, was wahr und richtig ist. Da aber in immer stärkerem Umfang der Staat in die Wirtschaft regulierend einzugreifen hat, man also das Problem der Wahrheit nicht mehr dem "laisser faire, laisser aller", dem Vertrauen darauf, daß das bürgerliche Individium gemäß seinen Interessen rational und autonom zu handeln vermag, überlassen kann, bleibt nur der Dezisionismus, der sich dadurch absichert, daß Politik mit guten Informationen versorgt selbst rational sein oder doch werden könne. So muß der Politiker die Entscheidungen treffen und dabei sich auch über Gutachten des Wissenschaftlichen Sachverstandes hinwegsetzen können: "Die Wissenschaft dürfte auch in diesem Bereiche nicht dahin kommen können, daß der politischen Praxis das Wagnis abgenommen wird."*71 Die Trennung von wissenschaftlicher Beratung und Politik hat demzufolge ihren Grund in der Widersprüchlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft, in den unterschiedlichen, konträren und antagonistischen Interessen der verschiedenen Klassen. Diese Widersprüche stellen sich auf der Oberfläche der Erscheinungen als politische Zielkonflikte dar. Zu deren Lösung kann der wissenschaftliche Sachverstand innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nur Beiträge, Vorschläge liefern. Politik bleibt dem Voluntarismus und Dezisionismus letztendlich doch überlassen.

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Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Daß überhaupt ein Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gebildet worden ist, verdankt sich der Annahme, als ob durch verbesserte Informationen über Ziele, Zielkonflikte, Zielmittelkonflikte, über Funktionen und Abläufe innerhalb des gegebenen Systems die Rationalität der Wirtschaftspolitik vergrößert werden könnte. Bei Dürr liest sich dies folgendermaßen: "Im Bereich der Konjunkturpolitik ist das Hauptziel die Verminderung der Konjunkturschwankungen. Wenn eine Theorie die unabhängigen Variablen (Ursachen) der Konjunkturschwankungen angibt, kann die Konjunkturpolitik durch die direkte oder indirekte Veränderung dieser unabhängigen Variablen das Ziel ´Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung' erreichen. Wenn die Ursachen der Konjunkturschwankungen nicht durch die Konjunkturtheorie aufgedeckt werden oder die konjunkturpolitischen Schlußfolgerungen aus der Konjunkturtheorie nicht durchführbar sind, kann versucht werden, die als unerwünscht betrachteten Symptome der Konjunkturen auszuschalten. Solche Symptome sind insbesondere die Preissteigerungen, die meistens mit der Hochkonjunktur verbunden sind, sowie die Arbeitslosigkeit in der Depression. Wiederum werden zur Beseitigung dieser Begleiterscheinungen der Konjunkturen Theorien gebraucht, die das Preisniveau bzw. die Beschäftigung als abhängige Variablen enthalten und die unabhängigen Variablen angeben, die Ansatzpunkte der das Symptom bekämpfenden Konjunkturpolitik sein können. Wenn die Preisschwankungen die Ursachen der Konjunkturen wären, würde die Preisstabilisierungspolitik eine ursachenbekämpfende Konjunkturpolitik sein. Diese Ansicht wurde in den zwanziger Jahren vertreten. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß die Stabilität des Preisniveaus in der Hochkonjunktur die Krise nicht zuverlässig verhindern kann. In den Vereinigten Staaten war in den zwanziger Jahren sogar eine leichte Preissenkung zu beobachten, und dennoch brach 1929 dort die bisher schwerste Wirtschaftskrise aus."*72 Nur dann, wenn die einzelnen Momente der Bewegung des Kapitals, die widersprüchlich zusammenhängen und vermittelt sind, als bloße Faktoren, als Ursachen, als unabhängige Variablen begriffen werden, kann davon ausgegangen werden, daß Informationen über die Bewegungen der Faktoren und zusätzliche Annahmen über deren Interdependenz die Manipulationsfähigkeit dieser Faktoren vergrößern könnte. Die Manipulierbarkeit verlangt also bereits die Eliminierung der Widersprüche, die Konstruktion eines "Systems", das zum besseren Funktionieren gebracht werden kann. Rationalität im Sinne der Gewährleistung der "vier Ziele" verlangt folglich, jeweils dem Ziel die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, das in der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage und deren absehbarer Entwicklung am wenigsten verwirklicht ist. Dies kann nur heißen: Isolierung der Auswirkungen auf andere Ziele. Da mit den jeweiligen Zielen konkrete Interessen verbunden sind, muß dies auch heißen: Unterdrückung konkreter Interessen zugunsten der "Rationalisierung" des Ganzen. Es läßt sich in der bürgerlichen Klassengesellschaft nicht vermeiden, daß die Ratio-

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nalität des Ganzen nur eine Fiktion darstellt, die sich immer wieder an der Rationalität der einzelnen Klassen bricht. Die Rationalität der Arbeiterklasse und die Rationalität des Kapitals sind antagonistisch. Das Verkennen dieses antagonistischen Charakters der Rationalität führt gerade zu entweder naiven oder zynischen Ratschlägen zur Verbesserung der "Rationalität" der Wirtschaftspolitik. Auch dafür ist, wie sich noch zeigen wird, der Sachverständigenrat ein gutes Beispiel.

In seinem 4. Jahresgutachten, also nach den Erfahrungen der Wirtschaftskrise 1966/67 (die er in seinem 3. Gutachten von 1966/67 noch nicht einmal im Anzug zu sehen vermeinte, vgl. Ziff. 233), hält der Sachverständigenrat Rückschau, um zu reflektieren, "wie man bestehende Fehlentwicklungen beseitigen und künftige vermeiden könnte." (Ziff. 219) Als Fehlentwicklungen werden Abweichungen von den genannten Zielen in einem bestimmten quantitativen Umfang definiert. Grundsätzlich geht der Sachverständigenrat davon aus, daß es möglich ist, Fehlentwicklungen zu vermeiden, und zwar erstens durch ein frühzeitiges Erkennen von Fehlentwicklungen und zweitens durch eine größere Gelassenheit und Stetigkeit der Wirtschaftspolitik: "Soll das Wachstum - bei stabilem Preisniveau - stetiger werden, als es in der Vergangenheit war, wird man die Konjunkturpolitik noch mehr auf mittelfristige Ziele einstellen müssen. Vor allem wird es darauf ankommen, daß man Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennt und ihnen vorbeugend entgegenwirkt, statt sie nachträglich zu korrigieren mit dem Risiko, daß dabei des Guten zuviel geschieht und der Zyklus dadurch verstärkt wird. Mittelfristige Ziele und eine konjunkturpolitische Gelassenheit, die von fahrlässigem „laisser faire“ ebenso entfernt ist wie von der Unrast, zu der der Nothelfer in der Krise gezwungen ist, müßten mit der Zeit eigentlich auch im Kreise der Investoren Vertrauen in eine stabile und stetige Entwicklung erwecken und dadurch dazu beitragen, daß die private Investitionsneigung künftig weniger schwankt als bisher. Insoweit ist in der Wirtschaftspolitik ein Zeithorizont von mehreren Jahren eine notwendige Vorbedingung für ein stetiges Wachstum, auch und vor allem in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in der es viele Unternehmer gibt, die die Risiken und Chancen des Privateigentums an den Produktionsmitteln selbst tragen und nutzen." (JG 67 Ziff. 220).

In diesem Zitat wird die implizierte theoretische Vorstellung von der Konjunkturentwicklung angedeutet. Es ist das Vertrauen bei den Investoren, welches die Fehlentwicklungen, d. h. die wirtschaftliche Krise zu verhindern vermag, also der gleiche Psychologismus, der in der gegenwärtigen Vulgärstökonomie so weit verbreitet ist.*73 Obwohl der Sachverständigenrat mit reichhaltigem ökonomischen Material jongliert, obwohl er ausgefeilte statistische Methoden zur Aufbereitung und Interpretation dieses Materials verwendet, ist und dies überrascht nicht, seine konjunkturtheoretische Vorstellung nicht

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ökonomisch begründet, sondern psychologisch. Der Umkehrschluß des Sachverständigenrates muß dann aber lauten: Fehlentwicklungen sind Konsequenz von Mißtrauen bei den Investoren.*74

Dann ist aber die Frage zu stellen, welches denn die Ursachen für dieses Mißtrauen bei den Investoren sind, beispielsweise für das Mißtrauen, das 1966 in die Wirtschaftskrise geführt hat. (Wir versuchen, mit diesen Fragestellungen die Konjunkturtheorie des Sachverständigenrates, die er ja nirgendwo expliziert hat, zu rekonstruieren.) Als Ursachen für die Krise von 1966/67 führt der Sachverständigenrat folgende Faktoren an: "Eingeleitet hat den Schrumpfungsprozeß der Rückgang der privaten und öffentlichen Investitionsnachfrage." (JG 1967, Ziff. 3) "Verschärft hat den zyklischen Rückgang der Investitionsnachfrage eine zunehmende restriktive Geld und Kreditpolitik." (JG 67, Ziff. 4) "Steigende Löhne und Preise veranlaßten die Bundesbank noch im Mal 1966 ihren restriktiven Kurs zu bekräftigen." (Ziff. 4) "Dieser Fehlentwicklung sind die wirtschaftspolitischen Instanzen zu spät und zu zögernd entgegengetreten." (Ziff. 6) ". . war die Finanzpolitik des Bundes und der Länder damals noch ganz und gar darauf ausgerichtet, die Haushalte durch Ausgabenkürzungen und Steigerung der Steuereinnahmen in Ordnung zu bringen, ohne Rücksicht darauf, was konjunkturpolitisch geboten war." (Ziff. 7) Wir sehen also, daß als Ursachen für die Rezession in dem ersten Jahresgutachten nach der Wirtschaftskrise vom Sachverständigenrat beinahe ausschließlich wirtschaftspolitische Fehler aufgeführt werden. Fehler der Wirtschaftspolitik sind nach Vorstellung des Sachverständigenrates verantwortlich für "Fehlentwicklungen" der Wirtschaft. Dies wird auch deutlich, wenn wir uns die "konjunkturpolitischen Lehren der letzten 6 Jahre" ansehen, die der Sachverständigenrat im Jahresgutachten 1969 zu ziehen versucht (Ziff. 232). "Zu den Gründen, die erklären könnten, daß die gesamtwirtschaftlichen Ziele so selten gleichzeitig erreicht wurden, gehören sicherlich auch Umstände im Bereich der Konjunkturpolitik. Eine Rolle dürfte gespielt haben, daß es ... Verzögerungen und mitunter gar Blockierungen gab; daß deshalb wichtige Maßnahmen unterblieben ... ; daß das Verhaften der autonomen Gruppen oft nicht oder nur unzureichend mit den Zielvorstellungen der staatlichen Instanzen koordiniert war. . ." Was soll man von einer solchen Erklärung halten? Entweder werden Symptome zu Ursachen gemacht (Rückgang der privaten und öffentlichen Investitionsnachfrage, restriktive Geld und Kreditpolitik) oder es werden die Fehler der Wirtschaftspolitik als Krisenursache hingestellt.

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Allerdings hat diese Oberflächlichkeit der Analyse auch System. Denn wenn schon der Investor zur causa movens der konjunkturellen Entwicklung bestimmt wird (wie bei Schumpeter der "dynamische Unternehmer"), dann muß natürlich untersucht werden, welche Faktoren gerade dieses Vertrauen des Investors bestimmen. Der "Investor", sprich: Kapitalist, kann sich sowieso nur an Symptomen orientieren. Da nun die Symptome nach der prinzipiellen Annahme der bürgerlichen Wirtschaftstheorie politisch gestaltbar sind, ist die letzte Ursache der Krise das Versagen der Wirtschaftspolitik (JG 1969, Ziff. 239). Aus dieser Begründung für die Krise - Mißtrauen bei den Investoren - wird nun der Umkehrschluß gezogen: Die Situation, in der die Investoren Vertrauen haben können, ist wirtschaftspolitisch herstellbar. Auch hierzu läßt sich der Sachverständigenrat etwas einfallen: Erstens muß den Fehlentwicklungen vorbeugend mit richtigem "timing" begegnet werden und nicht erst dann, wenn sie bereits voll ins Kraut schießen (JG 69, Ziff. 263). "Sollen die großen wirtschaftspolitischen Ziele in der Zukunft besser verwirklicht werden als in den vergangenen sechs Jahren, so wird es vor allem darauf ankommen, daß man konjunkturdämpfende Maßnahmen ergreift, bevor der Aufschwung seinen Höhepunkt erreicht hat und daß man eine Politik der Nachfrageexpansion einleitet, bevor die Wirtschaft in die Talsohle gelangt ist. Denn wirkt man Fehlentwicklungen nicht vorbeugend entgegen, so besteht, wie gezeigt, die Gefahr, daß das Richtige zu spät geschieht und dadurch falsch wird. Im ersten Fall wird der nächste Rückschlag verstärkt, im zweiten Fall der nächste Boom angeheizt."

Um nun die Wirtschaftspolitik im richtigen "timing" einsetzen zu können, müssen verschiedene Bedingungen verbessert oder erst hergestellt werden (Ziff. 264). Dazu gehören eine "Verbesserung des konjunkturpolitischen Entscheidungsprozesses", eine "Option für Mittelkombinationen, die den Besonderheiten einer offenen Wirtschaft Rechnung tragen", die "einkommenspolitische Absicherung des wirtschaftspolitischen Programms, wenn konjunkturelle Extremlagen zu befürchten sind," (JG 69, Ziff. 264) und schließlich das Einhalten bestimmter Verhaltensregeln der ´autonomen Gruppen'. Aus dieser Explikation der konjunkturtheoretischen Basis der Sachverständigengutachten läßt sich auf folgende Grundannahme in dieser Theorie schließen: Die handelnden Subjekte innerhalb der Wirtschaft, insbesondere also die ,Investoren', aber auch die ´Konsumenten', bestimmen mit ihren Handlungen oder Unterlassungen den Konjunkturablauf. Insofern sind psychologische Kategorien wie ´Vertrauen' und ´Mißtrauen', auch wenn sie in höchstem Maße vulgärpsychologisch sind, notwendige Kategorien innerhalb der konjunkturtheoretischen Positionen. Der Sachverständigenrat setzt so eine Tradition innerhalb der bürgerlichen Ökonomie fort, in deren System die dramatis personae immer "Wirtschaftssubjekte" (genauer: verdinglichte Menschenhülsen wie der ´homo oeconomicus') gewesen sind (wohingegen die Arbeiter nur im Reproduktionsbereich "Subjektcharakter" als "Konsumenten" haben; im Produktionsbereich zählen sie als dinglicher "Produktionsfaktor Arbeit"). Vertrauen und Mißtrauen bei Investoren und Konsumenten quillt allerdings nicht aus ihrer Psyche hervor, sondern ist durch die ökonomischen Bedingung-

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en bedingt. Diese Rahmenbedingungen werden durch Größen bezeichnet wie: Preisentwicklung, Auftragseingang, Umsätze, Export-Import-Saldo, Höhe des Zinses, Aktienkurse, Lohnhöhe, Höhe der Gewinne, Höhe der verfügbaren Konsumenteneinkommen usw. Sie sind also bestimmt durch Faktoren, deren Entwicklung der Sachverständigenrat während des jeweils begutachteten Jahres ausgiebig untersucht. Der Gesamtzusammenhang dieser einzelnen Größen oder Faktoren erscheint nur noch in einer Reihe "synthetischer indices", wie Industrieproduktion, Brutto- oder Nettosozialprodukt und neuerdings in der Konstruktion eines Gesamtindikators, der frühe Erkenntnisse über den Konjunkturverlauf ermöglichen soll.*75 Die Beurteilung des Gesamtzusammenhangs dieser Faktoren unter dem Gesichtspunkt von Gleichgewicht oder Ungleichgewicht der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse wird vermittelt über die quantitativen Abweichungen der vier schon genannten gesamtwirtschaftlichen Ziele von ihren politisch gesetzten Normwerten. Erst über diese Faktoren und deren synthetischen Ausdrücken vermittelt ergibt sich das, was gewöhnlich das Wirtschaftssystem genannt wird: ein System von aufeinander bezogenen Faktoren in Interdependenz. Das Konglomerat von Faktoren, die Handlungen bzw. Unterlassungen der Wirtschaftssubjekte, bestimmen die Bewegung dieses Wirtschaftssystems.

Das Kapital als bewegende Kraft all dieser Faktoren, als "Sachzwang" hinter all den "autonomen Subjekten", die allerdings nur als Charaktermasken innerhalb des Kapitalverhältnisses richtig verstanden werden könnten, spielt in der Analyse keine Rolle. Nachdem also das Kapitalverhältnis als Kategorie, aus der erst gesellschaftliche Totalität theoretisch zu reproduzieren wäre, innerhalb der Gutachten des Sachverständigenrats also noch nicht einmal bewußt eliminiert worden ist, nachdem Wirtschaftsanalyse nur noch als Analyse isolierter disparater Fakten, Daten, Faktoren angesehen wird, nachdem folglich der wirtschaftliche Entscheidungsprozeß auf einer Basis von "Vertrauen" und "Mißtrauen" der "Wirtschaftssubjekte" hergestellt wird, nachdem das Ganze der kapitalistischen Wirtschaft in Zeitreihen, kleine Einheiten, selbständige Subjekte (deren überragende Bedeutung in Gestalt kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmer vom Sachverständigenrat an jeder nur einigermaßen passenden Stelle hervorgehoben worden ist) aufgelöst ist, kann allerdings der sich in den Zielkonflikten und in den zyklischen Bewegungen selbst aufdrängende Gesamtzusammenhang nur noch von einem Hypersubjekt hergestellt werden, von einem Subjekt, das den größeren Überblick über die vielen Daten und Faktoren hat, das in seinen Handlungen einen weiteren Zeithorizont hat als die anderen Wirtschaftssubjekte, das auch in der Lage ist, jenseits der vielen Einzelinteressen das zu berücksichtigen, was vom Sachverständigenrat ganz in der Tradition affirmativer Sprachregelung das "Gesamtinteresse" oder "Gemeinwohl" genannt wird. Gerade aus

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der Auflösung gesellschaftlicher Totalität in kleinste Einheiten ergibt sich schlüssig die hypostasierte Bedeutung der Wirtschaftspolitik des Staates für die Regulierung des Ganzen
. Nur auf der Grundlage einer solchen theoretischen Einschätzung ist es möglich, die Ursachen für "Fehlentwicklungen" gerade in der Wirtschaftspolitik des Staates zu suchen und nur auf dieser Basis ist es auch möglich, ohne weitere Umschweife oder besondere theoretische Skrupel Vorschläge, Mahnungen, Ratschläge, "objektive Notwendigkeiten" für die staatliche Politik als "Krisenvermeidungsstrategien" zu formulieren.

Schaut man sich darauf noch einmal die wirtschaftspolitischen Vorschläge des Sachverständigenrates an, so wird man finden, daß sie, soweit sie institutionelle Änderungen betreffen, auf eine weitere Hypostasierung des Staatsapparates hinauslaufen: Begrenzung der Autonomie der ´autonomen Gruppen', Zentralisierung der Wirtschaftspolitik beim Bund, also Aufhebung oder Einschränkung föderalistischer Strukturen, Begrenzung der "Rigiditäten des Entscheidungsprozesses", indem die Legislative der Exekutive mehr konjunkturpolitische Befugnisse überantwortet (Ziff. 267, JG 69) und dergleichen mehr. Damit wird allerdings am Kapitalverhältnis und seinen Bewegungen grundsätzlich nichts verändert - dies ist ein Punkt, der häufig völlig falsch beurteilt wird, da vielen linken Kritikern zwar nicht das Wort, wohl aber der Begriff des Kapitals fehlt. Die Hypostasierung des Staates ist demnach einmal aus den besonderen Formen bürgerlicher Wirtschaftstheorie selbst abzuleiten, zum anderen aber erst recht aus den objektiven Bedingungen, in die der Staat regulierend eingreifen soll, wie schon gezeigt worden ist.

Natürlich läßt sich zu einem solchen Vorgehen, wie es für den Sachverständigenrat typisch ist, nur mehr sagen, daß die beständigen Versuche, entweder den zufälligen Charakter der Krisen zu zeigen oder aber die Ursachen für die Krise in subjektiven Fehlern, nicht in den objektiven Verhältnissen, nachzuweisen, also den notwendigen Zusammenhang mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu leugnen, "ihre Ursache in dem apologetischen Bestreben der bürgerlichen Wissenschaft (haben), die bestehende Wirtschaftsordnung vor jeder Kritik zu bewahren."*76 Apologie jedoch ist keine Wissenschaft und deren Prognosen können folglich auch nur zufällig richtig sein, und deshalb kommt den Analysen des Sachverständigenrates die reale Entwicklung selbst dann und wann in die Quere. So 1966, als die Wirtschaftskrise eintrat, die der Sachverständigenrat nicht in der Lage war vorauszusehen, noch nicht einmal in einer sehr kurzfristigen Prognose.*77 Jedoch, wie kann es anders sein, muß der Sachverständigenrat die Einheitlichkeit der Termino-

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logie und die Einheitlichkeit der theoretischen Analyse selbst aufgeben. Denn unvermittelt spricht er im Zusammenhang mit der Rezession von 1966/67 auch von "Reinigungskrise" oder von "Stabilisierungskrise": "Die zweite These, Rezessionen hätten den Charakter von Reinigungskrisen und förderten insoweit das Wachstum der Wirtschaft auf längere Sicht, gilt nur, wenn zuvor versäumt worden ist, Übersteigerungen zu vermeiden. Nach den wirtschaftspolitischen Fehlern und Versäumnissen von 1964/65 hätte eine milde Rezession 1966/67 innerhalb gewisser Grenzen sicher eine reinigende und damit wachstumsfördernde Funktion gehabt... Soll das Wachstum stetiger werden als bisher, so muß man versuchen, den künftigen Aufschwung rechtzeitig und sanft zu bremsen, damit es nachher kaum mehr (!) einer Reinigungskrise bedarf.. ." (JG 67, Ziff. 239). In den Begriffen "Reinigungskrise", "Stabilisierungskrise", "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung" formuliert sich nun der Rest von Realismus innerhalb der bürgerlichen Theorie, ohne daß begriffen würde, daß hinter diesen bewußtlos verwendeten Begriffen nichts anderes steht als die Tatsache, daß innerhalb des Kapitalismus "Gleichgewicht" der Wirtschaft immer wieder gewaltsam und zeitweise durch die Krise hergestellt werden muß.

Das Beispiel des Sachverständigenrates zeigt somit zweierlei: Einmal hat die Naturwüchsigkeit kapitalistischer Entwicklung und die Beschränktheit staatlicher Interventionsmöglichkeiten eine Form wissenschaftlicher Beratung zur Folge, die auf ganz oberflächlichen Theorien basieren muß. Es ist der Intention dieser Wissenschaft, Beiträge zur Politikberatung zu liefern, geschuldet, daß ihre Fragestellungen nicht mehr auf grundlegende Widersprüche dieser Gesellschaft zielen; denn gerade diese sind nicht manipulierbar. Letztendlich drückt sich in dem Verhaftetsein an den Oberflächenphänomenen, die nur noch systematisiert und pedantisiert werden, auch das grundsätzliche Einverstandensein mit der bestehenden Gesellschaft, ihr affirmativer, ja apologetischer Charakter aus. Eine politische Ökonomie des Proletariats dagegen muß gerade nach den grundlegenden Widersprüchen fragen, ihre Bewegung untersuchen, nach ihren Ursachen und Erscheinungsformen fragen, denn sie will gerade mit dem Nachweis des Bewegungsgesetzes dieser Gesellschaft die wissenschaftlichen Voraussetzungen ihrer Veränderung liefern.

Die von der bürgerlichen Wissenschaft und auch vom Sachverständigenrat gezogene Konsequenz der Suche nach "rationaler", "wissenschaftlich fundierter" staatlicher Politik allerdings ist auch politisch bedeutsam: Wir sehen eine Tendenz, sich über Grenzen institutioneller und konstitutioneller Art dadurch hinwegsetzen, daß dem Staat im Interesse der Steigerung seiner Interventionsfähigkeit immer weniger Grenzen auferlegt werden - außer das Kapitalverhältnis zu respektieren. Die Richtung solcher Vorschläge ist eindeutig bestimmt: hin zum autoritären Staat, der mit effektiver Gewaltmaschine unter Gesichtspunkten der "Rationalität des Sachzwangs" besser als der parlamentarisch verfaßte Staat in der Lage ist, die Gesellschaft wirklich zu

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einem Objekt seiner Manipulation zu machen. Der autoritäre Staat aber ist letztlich die Auflösung der Wissenschaft als Politikberatung. Denn wissenschaftliche Einsichten im Sinne von rational kalkulierten Alternativen werden in dem Maße überflüssig, wie die praktische Politik sich über die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Produktionsverhältnisses und die gesellschaftlichen Widersprüche hinwegsetzt und zur direkten Gewalt zur Sicherung der Herrschaft des Kapitals und der bürgerlichen Klasse übergeht. Warum dann aber wissenschaftliche Politikberatung in der bürgerlichen Gesellschaft, wenn ihr Beitrag zur Begründung des praktischen Staatsinterventionismus eher gering eingeschätzt werden muß, gering nicht nur aus theoretischer Differenz, sondern aus den generellen Grenzen des Staatsinterventionismus im Kapitalismus? Wir kommen mit dieser Frage zum zweiten Aspekt, den das Beispiel des Sachverständigenrates verdeutlicht. Wissenschaftliche Beratung darf nicht nur instrumental in dem bisher erörterten vordergründigen Sinne gesehen werden. Vielmehr fungiert Wissenschaft und Beratung auch als Ideologie und zwar in einem spezifischen Sinne zur Disposition der staatlichen Bürokratie im weitesten Sinne. Nicht nur daß mit der Wissenschaft und ihrem scheinbaren Neutralitätscharakter die mystifizierten Bewußtformen bestärkt werden, sondern darüber hinaus hat die Wissenschaft für die Staatsbürokratie und deren Politik die Funktion nicht nur Handlungsprogramme zu begründen, sondern vor allem auch Verhaltensprogramme hervorzubringen. Der moderne Sozialdemokratismus wäre gar nicht verständlich ohne die "Wissenschaftlichkeit", mit der einmal die "alten Klassenkampfdogmen" abgestreift worden sind, zum anderen die technokratische, "ideologiefreie" Wendung im praktischen Verhalten und den politischen Programmen vollzogen worden ist. Die Wissenschaft in ihrem Verhältnis zum bürgerlichen Staat, und dies trifft auch auf den Sachverständigenrat zu, ist nicht oder nur wenig brauchbar für die Begründung praktischer Politik; nicht zuletzt deshalb klagen die "Praktiker" immerzu über die "Praxisfremdheit" der Wissenschaft und der wissenschaftlich Ausgebildeten. Aber sie ist in der bürgerlichen Gesellschaft unabdingbar für die Bildung von Doktrinen für die Entstehung eines bestimmten politisch ideologischen Klimas, für die generelle Begründung von Strategien, auch für die Verfestigung der Klassenspaltung, gehören doch die wissenschaftlich Ausgebildeten in der Regel zur herrschenden Klasse. Um es pointiert auszudrücken: Die Gutachten des Sachverständigenrates, um bei unserem Beispiel zu bleiben, haben eine größere Funktion in den Auseinandersetzungen der Parteien im Parlament, als für die wirtschaftspolitischen Planer in der Regierung. Und ihre Funktion für die technokratische Einstimmung der Öffentlichkeit, oder dessen, was von ihr noch vorhanden ist, leitet sich geradewegs daraus ab.

In diesem vermittelten Sinne also hat die bürgerliche Wissenschaft auch eine Funktion in dieser Gesellschaft und zwar eine die Herrschaft sichernde. Das heißt aber auch, daß sie in diesem vermittelten Sinne zu bekämpfen ist, und nicht als direktes Instrument der herrschenden Klasse, als Unterdrückungsin-

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strument an sich, das sie gar nicht zu sein vermag.*78 Die bürgerliche Gesellschaft würde eine ewige Lebensdauer haben, wenn ihre Funktionsfähigkeit mit dem Fortschritt der bürgerlichen Wissenschaft ansteigen würde. Auch die ausgefeiltesten und abgefeimtesten Theorien und Modelle heben die Bedingungen und Grenzen staatlicher Aktionen auf diese Gesellschaft nicht auf, wie sie in den vorhergehenden Abschnitten dieses Aufsatzes beschrieben worden sind.


Anhang

*0
An der Diskussion des Aufsatzes waren vor allem Karlheinz Maldaner, Wolfgang Müller und Christel Neusüß beteiligt. Im übrigen handelt es sich hierbei um Überlegungen, die aus Diskussionen in Seminaren am Otto Suhr Institut resultieren. Die Diskussionen waren, kontrovers. Auf diese Kontroversen soll in den nächsten Nummern der PROKLA eingegangen werden.


*1
Schon der Begriff des Staatsinterventionismus ist problematisch. Denn er impliziert in den gängigen Vorstellungen ein äußerliches Verhältnis zwischen Gesellschaft, ihrer ökonomischen Struktur und dem Staat. Er erweckt den Eindruck, als ob es sich im Verhältnis von Staat und Ökonomie um ein Verhältnis zwischen steuerndem und reguliertem Subjekt handeln würde. In diesem Aufsatz wird aber gerade versucht, eine solche Vorstellung zu kritisieren. Da aber auch die Begriffe der "staatlichen Regulierung", der "Planung im Kapitalismus", des "Krisenmanagements" und dergleichen mehr keine wirkliche Alternative darstellen, bleiben wir im folgenden beim problematischen Begriff des Staatsinterventionismus.

*2
In diesem Sinne wäre Paul Boccara, Zum staatsmonopolistischen Kapitalismus, SOPO 11, S. 14, zuzustimmen, wenn er schreibt, daß innerhalb des staatsmonopolistischen Kapitalismus der Staat als Bestandteil eines "einheitlichen Mechanismus, der die Macht der Monopole mit der des Staates zusammenfaßt" zu begreifen sei.

*3
Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 128: "Ebenso wie wir durch Abstraktion jedes Ding in eine logische Kategorie verwandelt haben, braucht man nur von jeder unterscheidenden Eigenschaft der verschiedenen Bewegungen zu abstrahieren, um zur Bewegung im abstraktem Zustande, zur rein formellen Bewegung, zu der rein logischen Formel der Bewegung zu gelangen. Hat man erst in den logischen Kategorien das Wesen aller Dinge gefunden, so bildet man sich ein, in der logischen Formel der Bewegung die absolute Methode zu finden, die nicht nur alle Dinge erklärt, sondern die auch die Bewegung der Dinge umfaßt ... Was ist somit diese absolute Methode? Die Abstraktion der Bewegung? Die Bewegung im abstrakten Zustande. Was ist die Bewegung im abstrakten Zustande? Die rein logische Formel der Bewegung oder die Bewegung der reinen Vernunft ... "

*4
Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, Nachwort zur 2. Auflage, MEW Bd. 23, S. 27.

*5
Daß bereits Zwischenergebnisse veröffentlicht werden, und als solche begreifen wir die Mehrzahl der in der PROKLA veröffentlichten Aufsätze - auch den vorliegenden - ergibt sich aus der Tatsache, daß kollektiv durchgeführte theoretische Arbeitsprozesse als solche nur organisierbar sind, wenn die Kommunikation zwischen den theoretischen Arbeitern auf allen Stufen hergestellt wird.

*6
"Jedoch haben die verschiedenen Staaten der verschiedenen Kulturländer, trotz ihrer bunten Formverschiedenheiten, alle das gemein, daß sie auf dem Boden der modernen bürgerlichen Gesellschaft stehen, nur einer mehr oder minder kapitalistisch entwickelten. Sie haben daher auch gewisse wesentliche Charaktere gemein. In diesem Sinn kann man von ´heutigem Staatswesen´ sprechen, im Gegensatz zur Zukunft, worin seine jetzige Wurzel, die bürgerliche Gesellschaft abgestorben ist." Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 28. Wenige Zeilen vorher schreibt Marx: "Dagegen der ´heutige Staat' wechselt mit der Landesgrenze. Er ist ein anderer im preußisch deutschen Reich als in der Schweiz, ein anderer in England als in den Vereinigten Staaten. Der heutige Staat ist also eine Fiktion." (ebenda).

*7
Aus einer solchen Aussage darf nun nicht kurzschlüssig gefolgert werden, die theoretische Einsicht In den Bedingungskomplex von Staat, Gesellschaft Ökonomie vermöge, bereits die wirklichen Aktionen des Staates auf die Gesellschaft, also den Staatsinterventionismus im Sinne und Interesse der herrschenden Klasse effektivieren. Denn dabei geht gerade die analytische Einsicht verloren, daß auch die herrschende Klasse in den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft befangen ist und sie nicht "managen" kann. Da eine solche falsche Auffassung vom Staat und der Bedeutung der Sozialwissenschaften für die Herrschaft der bürgerlichen Klasse weit verbreitet ist und zu schwerwiegenden politischen Fehleinschätzungen verleitet (vgl. etwa die Position des KSV bezüglich der Einschätzung bürgerlicher Sozialwissenschaft (Rote Presse Korrespondenz vom 29.1. 1972, Nr. 151), werden wir im letzten Abschnitt dieser Arbeit darauf noch zurückkommen.

*8
Wir gehen hier nicht auf die Bedeutung dieser Kategorie ein und verweisen auf die Immer noch beste Behandlung bei Roman Roadolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ´Kapital', Frankfurt und Wien 1968, S. 24 124, insbesondere S. 61 ff.

*9
Dies drückt Marx im 10. Kapitel des ersten Bandes des Kapital' deutlich aus: "Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußeren Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz, geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten . . ." MEW, Bd. 23, S. 335. Marx geht es darum, die immanente Notwendigkeit der relativen Mehrwertproduktion zu begründen, nicht aber darum, den Mechanismus zu ergründen, der die Einzelkapitale dazu bringt, in ihrem Handeln die immanente Notwendigkeit der relativen Mehrwertproduktion zu exekutieren. Anders und komplizierter allerdings liegt der Fall bei der Behandlung der Bildung der Durchschnittsprofitrate im zweiten Abschnitt des dritten Bandes des "Kapital" (MEW, 25). Darauf kann hier nicht eingegangen werden. Man muß bei der Behandlung der Konkurrenz zwei Aspekte im Begriff der Konkurrenz unterscheiden: "das Kapital als es selbst und seine eigene Oberfläche, als prozessierende Einheit von Wesen und Erscheinung, die selber noch in der begrifflichen Darstellung zum Ausdruck kommt, und dann das Kapital in der historischen Realität. Dieser zweite Aspekt wird grundsätzlich ausgeklammert." Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Frankfurt und Wien 1970, S. 85.

*10
In den "Grundrissen" schreibt Marx: " ... 2) aber ist das Kapital im Allgemeinen im Unterschied von den besonderen reellen Kapitalien selbst eine reelle Existenz. Es ist dies von der gewöhnlichen Ökonomie anerkannt, wenn auch nicht verstanden und bildet ein sehr wichtiges Moment für die Lehre von den Ausgleichungen etc... Während das Allgemeine daher einerseits nur gedachte differentia specifica, ist sie zugleich eine besondere reelle Form neben der Form des Besonderen und Einzelnen ..." Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 353.

*11
Karl Marx und Friedrich Engels, Deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 62. Marx und Engels bestimmen die besondere Existenz des bürgerlichen Staates aus der "Emanzipation des Privateigentums vom Gemeinwesen", d. h. aus der historischen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates, aus der Emanzipation von vorkapitalistischen Formen der gesellschaftlichen Organisation.

*12
Der Staat "ist aber weiter Nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeois sowohl nach außen als nach Innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben . . ., in weicher die Individuen einer herrschenden Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen und die ganze bürgerliche Gesellschaft einer Epoche sich zusammenfaßt.. .." MEW, Bd. 3, S. 62.

*13
Damit sind bereits Positionen kritisiert, wie sie in bestimmten Varianten der Theorien des staatsmonopolistischen Kapitalismus auftauchen, nach denen der Staat das Instrument der mächtigsten Monopole und wie sie in den meisten bürgerlichen Theorien vertreten werden, nach denen der Staat autonomes Subjekt der Regulierung sei. Es sei erwähnt daß die Theorien des staatsmonopolistischen Kapitalismus gerade in dieser Frage sehr uneinheitlich sind. Einmal wird ein einheitlicher Mechanismus, der die Macht der Monopole und des Staates zusammenfaßt oder die Verflechtung der Monopolmacht mit dem Staat behauptet, dann wieder wird der Staat einfach "als Instrument der Monopolbourgeoisie" begriffen. Vgl. etwa der Imperialismus der BRD Frankfurt 1971. Es läßt sich wohl nicht leugnen, daß Staat und Kapital zu einem einheitlichen Mechanismus zusammengefaßt sind, nur käme es jetzt darauf an, die Funktionsbedingungen dieses "Mechanismus" genau zu untersuchen. Und diese Frage haben die Theoretiker des staatsmonopolistischen Kapitalismus noch nicht gelöst. Vgl. als Beispiel für die fortgeschrittenste Theorievariante. Paul Boccara, Übersicht über die Theorie der Überakkumulation-Entwertung des Kapitals und die Perspektiven der fortschrittlichen Demokratie, in: SOPO 16, S. 1 ff. Zur Entwicklung der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus, Vgl. Werner Petrowsky in PROKLA 1, 1971.

*14
Friedrich Engels, Anti Dühring, MEW Bd. 20, S. 260: "Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrecht zu erhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist ..." Wir können Engels in seiner Folgerung: "Je mehr Produktivkräfte (der Staat - E. A.) in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist ..." allerdings nicht zustimmen: Zwar wird der Staat durch Übernahme kapitalistischer Produktionsprozesse zu einem wirklichen Kapitalisten, jedoch nicht zum Gesamtkapitalisten. Als kapitalistischer Produzent ist der Staat den Widersprüchen der Einzelkapitale untereinander unterworfen, wie andere große Einzelkapitale auch. Wie sich zeigen wird, ist gerade seine Konstituierung als wirklicher Kapitalist für das Kapital problematisch.

*15
Dies ist einer der Punkte, den das Projekt Klassenanalyse in seiner "Kritik der Sozialstaatsillusion", in SOPO 14/15 nicht berücksichtigt. So heißt es (S. 197): "Jede gesellschaftliche Produktion unterstellt jedoch allgemeine Rahmenbedingungen des Reproduktionsprozesses. Gleichgültig welcher Art, sind diese Bedingungen allgemeine in dem Maße, in dem sie gemeinsame Bedingungen für einen größeren oder geringeren Teil der gesellschaftlichen Produktion sind." (Unterstreichungen E. A) Die Frage ist aber, warum allgemeine Bedingungen nicht von Kapitalen erstellt werden können, worin also die Besonderheit der Herstellung allgemeiner Produktionsbedingungen in der kapitalistischen Gesellschaft und ihren jeweilgen historischen Entwicklungsphasen besteht.

*15a
Wie sehr die Übernahme allgemeiner Produktionsbedingungen durch den Staat von der historischen Lage eines Landes und wie wenig von einem prinzipiell verstandenen "Allgemeinheitsgrad" oder "apriori gemeinschaftlichen" Arbeiten (Projekt Klassenanalyse, S. 198) bezogen auf die gesellschaftliche Produktion abhängt, erhellt auch die Tatsache, daß in den USA das Gesundheitswesen zum allergrößten Teil privat, in Westdeutschland staatlich, in Japan sogar ein Großteil des Bildungswesens privat betrieben werden. Diese Beispiele zeigen bereits, daß Verallgemeinerungen in diesem Bereich nur zu Fehlschlüssen führen können.

*16
Diese allgemeine Aussage findet ihre Bestätigung in den an der erscheinenden Oberfläche orientierten Ausführungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1971, Ziff. 327. Danach ist der Anteil des Staates an der Gesamtnachfrage im Verlauf des konjunkturellen Booms nach 1967 real gesunken.

*17
"Das Interesse am Funktionieren des Warenverkehrs, an der Verwertung der Arbeitsprodukte auf dem Markt führt zum Recht und der Errichtung der politischen bzw. staatlichen Gewalt. Der Zwang ´muß ... auftreten als ein von einer abstrakten Kollektivperson ausgehender Zwang, der nicht im Interesse des Individuums, von dem er ausgeht, ausgeübt wird . . .´ sondern im Interesse aller am Rechtsverkehr Beteiligten. Die Macht eines Menschen über den anderen wird als Macht des Rechts in die Wirklichkeit umgesetzt, d. h. als Macht einer objektiven, unparteiischen Norm." Wolf Rosenbaum, Zum Rechtsbegriff bei Stucka und Pasukanis, in: Kritische Justiz, Heft 2/71, S. 156. Das Primärzitat im Text stammt von Pasukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, Frankfurt 1966, S. 123 f.

*18
Vgl. dazu Grundrisse, S. 542 ff. Dort heißt es: ". . die auf das Kapital gegründete Produktion setzt sich nur in ihren adäquaten Formen, sofern und soweit sich die freie Konkurrenz entwickelt, denn sie ist die freie Entwicklung der auf das Kapital gegründeten Produktionsweise; die freie Entwicklung seiner Bedingungen und seiner als diese Bedingungen beständig reproduzierenden Prozesses. Nicht die Individuen sind frei gesetzt in der freien Konkurrenz, sondern das Kapital ist frei gesetzt . . ." S. 543 f.

*19
Wolf Rosenbaum, a. a. 0., S. 159. Wenn auch die Betonung, daß vom Rechtssystem nicht nur die Sphäre des Austausches geregelt wird, sondern auch der Produktionsprozeß als Herrschaftsbereich des Kapitals bestimmt wird, grundsätzlich richtig ist, so müssen doch gegen die Gleichsetzung von Strafrecht, Gewerberecht, Arbeitsrecht Bedenken angemeldet werden. Denn es ist sicher kein Zufall, daß das Arbeitsrecht als solches historisch erst sehr spät entsteht, eigentlich erst im italienischen Faschismus, also im Zusammenhang eines "korporativ" definierten Staates. Im deutschen bürgerlichen Gesetzbuch spielt die Regulierung des Arbeitsvertrags nur eine äußerst untergeordnete Rolle. Daß es neben dem bürgerlichen und dem Handelsgesetzbuch kein Arbeitsgesetzbuch gibt, liegt gerade daran, daß im Arbeitsprozeß das Kapital "Meister der Produktionsfaktoren" ist und sich in dieser Funktion nur im "Ausnahmefall" beschränken läßt.

*20
Vgl. dazu das 8. Kapitel des 1. Bandes des "Kapital", in dem Marx die Durchsetzung des 10 Stunden Tages beschreibt. Auf diese Seite beziehen sich exemplarisch Wolfgang Müller und Christel Neusüss, Die Sozialstaatsillusion und der Konflikt Lohnarbeit und Kapital, in PROKLA, Sonderheft 1 und SOPO 6/7.

*21
Auch die Münze ist ein Beispiel für staatliche Aktionen. Ursprünglich in vielen Ländern eine private Einrichtung, ebenso wie die Notenbanken nicht von Anfang an staatliche Einrichtungen waren, diente der staatliche Prägestempel lediglich als Garantie, daß Gewicht und Münzaufdruck auch übereinstimmten. In den USA ist als Relikt dieser Geschichte der Secret Service auch heute noch dem Finanzministerium unterstellt, da er ursprünglich dazu aufgestellt war, Münzfälscher zu entlarven.

*22
Hier muß eine wichtige Modifikation berücksichtigt werden. Denn auch große Einzelkapitale unterhalten regelmäßig Unterdrückungsapparate in Gestalt des Werkschutzes, dessen Funktion eindeutig auf die Niederschlagung von Klassenkämpfen auf betrieblicher Ebene bezogen ist. Die Beispiele von Übergriffen der "Werkschutze" gegen Arbeiter, die demonstrieren oder protestieren, belegen eindeutig den Charakter als Privatarmee des Kapitals. Vgl. etwa die Darstellung bei Maurice Dobb, Der Kapitalismus zwischen den Kriegen, in: ders., Organisierter Kapitalismus, Frankfurt 1966, S. 116 - 124 über die Aktionen der großen US Konzerne während und nach der Weltwirtschaftskrise gegen streikende Arbeiter, Arbeiterfunktionäre und Gewerkschaften, die das Gerede von der Idylle des "new deal", des Linkskeynesianertums, des "welfare state" als miese Schönfärberei entlarvt. Vgl. auch den Mord am Genossen Ovemey durch den Werkschutz der Renault Werke in Paris im Februar 1972 und die vielen Notstandsübungen westdeutscher Werkschutze, die vor allem während der Anti-Notstandsbewegung bis 1968 aufgedeckt worden sind, danach aber wieder im Halbdunkel geduldeter Illegalität stattfinden können. Hier zeigt sich übrigens, wie die Sphäre des Staatlichen und der privaten Kapitale nicht einfach und scharf abgrenzbar sind, sondern in vielen Bereichen ineinander übergehen.

*23
"Militärausgaben können in toto als langfristig geltende Komplementärinvestitionen angesehen werden, d. h. langfristig ermöglichen sie erst die Expansion der heimischen (privaten) Wirtschaft ohne äußere Bedrohung. Freilich setzt diese Schau (!) ein internationales 'homo homini lupus' voraus..." Wilhelm Weber, Wachstumseffekte der Staatausgaben, in: Finanztheorie, hrsg. von Horst C. Recktenwald, Köln Berlin 1969, S. 311.

*24
Vgl. dazu auch Neusüss/Blanke/Altvater, Kapitalistischer Weltmarkt und Weltwährungskrise, in: PROKLA 1, 1971, insbes. S. 112ff.

*24a
Dies heißt nicht, daß Arbeitsbedingungen und Lohn in staatlichen und privaten Bereichen identisch seien. Vielmehr ist es häufig so, daß die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Sektor die am schlechtesten bezahlten sind oder unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen arbeiten. So in England, in Frankreich, aber auch in der BRD. Vgl. dazu Detlev Albers, Werner Goldschmidt, Paul Oehlke, Klassenkämpfe in Westeuropa, rororo aktuell, Reinbek 1971. Dies entspricht auch der Marxschen These, daß unproduktive Arbeiter, und darum handelt es sich bei den Staatsangestellten, -beamten und -arbeitern in der Regel aus dem Wertprodukt der produktiven Arbeiter alimentiert werden, also zum größten Teil aus dem Mehrwert finanziert werden und in dessen Größe die Grenze ihres Lohns finden. Die Grenzen staatlicher Tätigkeit drücken sich demnach für die einzelnen Staatsbediensteten in schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen aus.

*25
Vgl. Adolp Wagner, Das Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit, Abschnitt aus: Staat in nationalökonomischer Hinsicht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 7, 1911, abgedruckt in: Finanztheorie, a.a. 0., S. 241 ff. "Nationalökonomisch aufgefaßt bedeutet dieses Gesetz absolut und selbst relativ wachsende Ausdehnung der öffentlichen, besonders der staatlichen gemeinschaftlichen Organisationsform neben und statt der privatwirtschaftlichen innerhalb der Volkswirtschaft..." (S. 241)

*26
Horst Claus Recktenwald, Ergänzung: Zur Wirksamkeit des Wagnerschen Gesetzes in: Finanztheorie, a. a. 0., S. 246

*27
Die Frage des Interdependenzzusammenhangs spielt in der bürgerlichen Wachstumstheorie eine große Rolle. Am weitesten geht die Richtung des "balanced growth", deren bedeutendster Vertreter, P. N. Rosenstein Rodan, schreibt: "Complementarity makes to some extent all industries ´basic'" (Problem of Industrialization of Eastern and South Eastern Europe, in: A. N. Agarwala and S. P. Singh, The Economics of Underdevelopment, New York 1963, S. 252.) Diese These impliziert auf unser Problem angewendet die Annahme, daß erstens jede Produktion allgemeine Produktionsbedingungen erzeugt und zweitens infolge allgemeiner Interdependenz keine weitere Qualifizierung zwischen Staat und privaten Kapitalen notwendig sei. Anders, weniger naiv, wenn auch auf Grundlage der Interdependenzthese argumentiert Walter Wittmann, Staatliche Aktivität, wirtschaftliche Entwicklung und Preisniveau, Zürich 1965, S. 22: "Zunächst ist klar, daß allein private Investitionen, welche zusätzliche Produktionskapazitäten schaffen, zur Sicherung der langfristigen Wirtschaftsentwicklung nicht ausreichen... Um Engpässe in der wirtschaftlichen Entwicklung möglichst zu vermeiden, ist es notwendig, daß die Investitionen in das Sozialkapital (d. h. die allgemeinen materiellen Produktionsbedingungen E. A.) mit der Gesamtentwicklung Schritt halten..."

*28
Warencharakter erhalten Forschungsergebnisse erst dann, wenn sie vom Warenbesitzer in Form des Patents monopolisiert sind und nur der die Forschungsergebnisse benutzen kann, der sie als Ware gekauft hat. Besteht die Patentierungsmöglichkeit, dann werden Forschungsergebnisse auch kapitalistisch produziert. Es sei nur erwähnt, daß dieses Problem in der Schumpeterschen Konjunkturtheorie eine wichtige Rolle spielt, da ja der dynamische Unternehmer gerade aufgrund von patentmäßig abgesicherten technologischem Vorsprung zu produzieren beginnt.

*29
Grundrisse, S. 430

*30
Wir gehen nicht auf die Problematik der produktiven und unproduktiven Arbeit ein. Vgl. dazu die Diskussion in SOPO 6/7 und 8 1970.

*30a
Auf das Problem der wertbildenden Potenz der Arbeit soll hier nicht weiter eingegangen werden. Vgl. dazu die Beiträge zum "Reduktionsproblem" in Altvater und Huisken, Materialien zur politischen Ökonomie des Ausbildungssektors, Erlangen 1971.

*31
In der bürgerlichen Ökonomie rangieren alle Infrastrukturbereiche gleichermaßen unter dem Begriff "Sozialkapital". Ausgaben für "Verkehrsanlagen, Energieversorgung, Wasserwirtschaft und bau, Erziehung, Justiz, Polizei und Verwaltung" sind "in unserem Sinn... Komplementärinvestitionen..." Wilhelm Weber, a. a. 0., S. 306. Ebenso Walter Wittmann, a. a. 0., Jacques Stohler, Zur rationalen Planung der Infrastruktur, in: Konjunkturpolitik, 1965 und die meisten anderen Autoren. Einem völlig sinnlosen Kapitalbegriff entspricht ein ebenso sinnloser Investitionsbegriff, unter dem alle Ausgaben begriffslos subsumiert sind, ohne deren unterschiedlichen ökonomischen Charakter noch zu reflektieren.

*32
Jahresgutachten 1971, Ziff. 327. Auch bei W. Wittmann, a.a. 0., S. 28 heißt es: "Insgesamt liegt der Schluß nahe, daß wachsende Investitionen in das staatliche Erwerbskapital die private Investitionsbereitschaft schwächen können." Und auch Wilhelm Weber unterscheidet "zwischen Branchen, welche von Privaten wegen Unrentabilität verlassen wurden, und solchen, in denen der Staat mit Privaten konkurriert." Im letzteren Fall "dürfte die staatliche Wirtschaftstätigkeit die private Investitionsneigung... zumindest eher hemmen..." (a. a. 0., S. 315) Hier wird offenbar, daß der Staat nicht zum wirklichen Gesamtkapitalisten im Verlauf einer quasi naturwüchsigen Entwicklung werden kann. Denn in den Branchen, in denen Kapital verwertet werden kann, siedeln sich gerade private Einzelkapitale an. Würde der Staat hier tätig werden, so würde er sich gerade aufgrund der Tatsache, daß er im einzelkapitalistischen Sinne kapitalistisch agiert, in Widerspruch zu dem Gesamtinteresse der kapitalistischen Gesellschaft setzen.

*33
Subventionen haben in der Regel den Charakter, durch den Staat und nicht mehr durch die Konkurrenz umverteilter Mehrwert zu sein zur Sicherstellung des Bezugs der Durchschnittsprofitrate durch jedes Einzelkapital. Natürlich können Subventionen auch aus der Revenue der Lohnarbeiter stammen; sie senken dann zugunsten einzelner Kapitale die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.

*34
So Paul Boccara, Übersicht . . ., a. a. 0., S. 3

*35
Der Imperialismus der BRD, Frankfurt 1971, S. 366. Es muß allerdings betont werden, daß diese These sich nicht einheitlich durch das Buch durchzieht, wie überhaupt eine ausgesprochene Unschärfe der Begrifflichkeit insgesamt dieses "Standardwerk" kennzeichnet.

*36
Paul Mattick, Gemischte Ökonomie und ihre Grenzen, in: Soziale Revolution, Nr. 2/1971, S. 48 ff.

*37
Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen - Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Politikwissenschaft, hrsg. von Gisela Kress und Dieter Senghaas, Frankfurt 1969, S. 163.

*38
Wir werden uns an dieser Stelle nicht mit den angesprochenen Schriften auseinandersetzen.

*39
Theorien über den Mehrwert, MEW, 26. 2, S. 500

*40
ebenda, S. 501

*41
Paul Mattick, a. a. 0., S. 53

*42
Vgl. Einleitung zu Fred Oelßner, Die Wirtschaftskrisen, Nachdruck Frankfurt 1971

*43
MEW, 23, S. 102

*44
MEW, 23, S. 109

*45
MEW, 23, S. 118

*46
MEW, 23, S. 120

*47
MEW, 23, S. 127 f.

*48
MEW, 23, S. 128

*49
MEW, 26. 2, S. 508 - 511

*50
Vgl. zur Darstellung der Widersprüchlichkeit staatlicher Maßnahmen und der Befangenheit in den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft Eugen Varga, Die Krise des Kapitalismus und ihre politischen Folgen, Frankfurt 1969, insbes. S. 105 ff und S. 279ff. Auch im "magischen Vieleck" als Zielfunktion der Wirtschaftspolitik drückt sich die Widersprüchlichkeit der Gesellschaft und der darin befangenen Aktionen des Staates aus

*50a
Infolgedessen kann sich die bürgerliche Konjunkturforschung selbst als Symptomatologie begreifen und gerade als solche relevant für staatinterventionistische Maßnahmen werden. Daß darin zugleich ihre Begrenzung liegt, diese selbst aber im Charakter der Krisen der kapitalistischen Gesellschaft begründet ist, wird ihr nicht klar. Zur Darstellung der "Symptomatologie", vgl. Karl Georg Zinn, Konjunkturlehre für Praktiker, Herne und Berlin 1969; Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Band 1, Göttingen 1961, S. 20 ff., wo eine ganze Reihe von Symptomen aufgeführt sind; Henryk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Nachdruck Frankfurt 1967, S. 206 ff. mit kritischen Anmerkungen.

*51
Gottfried Bombach, Trend, Zyklus und Entwicklung des Preisniveaus, in, Weltwirtschaftsarchiv, 1970, S. 274. Ähnlich auch Helmut Arndt, Stagflation, Was man bisher nicht wußte, in: Wirtschaftswoche, Nr. 1 / 1972, S. 20 ff .

*52
Dazu vor allem Willi Semmler, Jürgen Hoffmann, Kapitalakkumulation, Staatseingriffe und Lohnbewegung, in: PROKLA 2, 1972, S. 1 ff., insbes. S. 69 ff. und Christel Neusüss, Imperialismustheorie und Weltmarktbewegung des Kapitals, Manuskript 1972.

*53
Den Begriff der "relativen Inflation" verwendet Werner Hoffmann, Die säkulare Inflation, Berlin 1962, um einen Prozeß zu kennzeichnen, im Verlauf dessen "das Preisniveau der langfristigen Erhöhung der Produktivität... nicht folgt - gleichgültig, ob die Preise steigen oder nicht." (S. 10)

*54
Vgl. dazu Neusüß/Blanke/Altvater, a.a.O., PROKLA 1. Helmut Arndt Schreibt, a. a. 0., S. 20: "Wer heute in der westlichen Welt in gleicher Weise wie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise auf Mittel einer nationalen Beschäftigungspolitik zurückgreift, übersieht, daß nationales ´Deficit Spending' in einer Weltwirtschaft nicht die gleichen Wirkungen haben kann wie in einer durch Devisenbewirtschaftung mehr oder minder geschlossenen oder abgeschlossenen Wirtschaft."

*55
JG 71, Ziff. 253

*56
Wir haben hier den Kern der Theorie von der "Überakkumutation-Entwertung", wie sie vor allem von Boccara vertreten wird. Allerdings handelt es sich für ihn dabei weniger um eine konjunkturelle Erscheinung, als um eine strukturelle Lösung des Stagnationsproblems im staatmonopolistischen Kapitalismus. Dem ist insoweit zuzustimmen, als tatsächlich der bürgerliche Staat in der Lage ist, Kapital zu entwerten und damit den tendenziellen Fall der Pofitrate aufzuhalten. Aber, und dies wird zu wenig bedacht, ist erstens diese Entwertung selbst mit Konflikten verbunden, da ja Entwertung nichts anderes bedeutet als Ausschaltung von an sich produktiv anlegbarem Kapital (und welcher Einzelkapitalist wird sich damit konfliktfrei abfinden), zweitens im Gesamtzusammenhang der Problematik der unproduktiven Arbeit zu sehen ist (vgl. zu diesem Aspekt Altvater/Huisken, in SOPO 8), drittens die Entwertungsproblematik im zyklischen Verlauf der Kapitalakkumulation keineswegs ausgeschaltet wird. Die Problematik der Überakkumulation-Entwertung ist also komplizierter als von Boccara bisher dargestellt.

*57
Vgl. dazu eine interessante bürgerliche Stimme: Felix Somary, Krisenwende? Berlin 1932, insbes. S. 32ff.

*58
Hier setzt die Stagnationstheorie von Keynes und Hansen an. Vgl. dazu Sydney H. Coontz, Productive Labour and Effective Demand - Including A Critique of Keynesian Economics, London 1965, S. 125ff.

*59
Vgl. dazu W. Semmler und J. Hoffmann, a. a. 0., S. 60 ff. insbes. S. 64

*60
Sydney H. Coontz a. a. 0., S. 157.

*61
Vgl. Paul Mattick, a. a. 0., S. 47 und Paul Mattick, Marx und Keynes, Frankfurt und Wien 1969, insbes. S. 140 ff.

*62
Insofern ist es ein Irrtum, wenn Mattick schreibt: "Es ist ein Irrtum, mit Altvater und Huisken (M. bezieht sich auf den Aufsatz über produktive und unproduktive Arbeit in SOPO 8 - E. A.) anzunehmen, daß der Verschwendung gewidmete unproduktive Arbeit die Tendenz des Falls der Profitrate abschwächt, obwohl ihrer Ansicht nach der akkumulationsfähige Teil des Mehrwerts dadurch verringert wird..." Paul Mattick, Arbeits-Teilung und Klassenbewußtsein, in: Soziale Revolution, Nr. 2/1971, S.124

*63
Dies hätte gewaltige Konsequenzen für die Reproduktion des Kapitals und sein soziales Milieu. Inflatorische Prozesse mit der Ausschaltung ganzer Kapitalfraktionen, Verelendung der Arbeiterklasse, Destruktion des sozialen Milieus des Kapitalismus, Abbau der die Kapitalreproduktion regulierenden Rechtsverhältnissev usw., ganz abgesehen von wahrscheinlich kriegerischen Auseinandersetzungen wären die notwendige Folge. Diese hier nur angedeutete Folge ist immer auch Tendenz im Kapitalismus, der nur in Perioden eines allgemeinen Aufschwungs des Kapitals auch von Kapitalfraktionen wirksam entgegengearbeitet werden kann. Vgl. dazu etwa die Darstellung der Interessen der westdeutschen Rüstungsindustrie bei der Wiederaufrüstung von Gerhard Brandt, Rüstung und Wirtschaft in der Bundesrepublik, Witten und Berlin 1966.

*64
John M. Keynes, The General Theory of Enployment, Interest and Money, (repr.) London 1964, S. 131.

*65
Vgl. dazu Franz Janossy, Das Ende der Wirtschaftswunder, Frankfurt 1969. Angus Maddison, Economic Growth in the West, New York and London 1964, S. 53, bringt eine interressante Gegenüberstellung der Verhältnisse von Gross Profits und Net Value of Fixed Capital Stocks and Inventories. Damit ist natürlich nicht die Profitrate bezeichnet. Dennoch zeigt sowohl der temporale als auch der Ländervergleich, wie sehr der Krieg positiv auf die Profitrate in Maddissons Definition gewirkt hat.

*66
Zu diesem Ergebnis kommt das IFO-Institut für Wirtschaftsforschung in seinem ökonomischen Untersuchungsteil im Rahmen der RKW-Studie über wirtschaftliche und soziale Aspekte des technischen Wandels in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1970, S. 116

*67
Auf diese Vermittlung gehe ich hier nicht ein, da im Aufsatz von Neusüss/Blanke/Altvater in PROKLA 1 dazu bereits ausführlich Stellung genommen wurde. Vgl. ähnlich Busch/Schöller/Seelow, Weltmarkt und Weltwährungskrise, Bremen 1971 (Arbeiterpolitik)

*68
Typisches Beispiel dafür ist die Chicagoer Schule der Geldtheorie, die mit ihrem Hauptvertreter Milton Friedman bis in die Beratergremien des US Präsidenten aufstieg - um dort ihre völlige Unfähigkeit zu belegen.

*69
Vgl. dazu und den daraus resultierenden Widersprüchen gerade auf internationaler Ebene Elmar Altvater, Die Weltwährungskrise, Frankfurt 1969, Neusüss/Blanke/Altvater, a. a. 0.; E. Altvater, SOPO 5 u. v. a.

*70
Es sagt über die Wirklichkeit heute einiges aus, wenn gerade der Eklektizismus der bürgerlichen Konjunkturtheorie als Fortschritt empfunden wird: "Allgemein kann man sagen, daß die Konjunkturlehre immer eklektischer geworden ist. Dadurch ist sie elastischer und leistungsfähiger im Hinblick auf die gestellten Aufgaben. . ." So Wilhelm Weber und Hubert Neiss, Entwicklung und Probleme der Konjunkturtheorie, Köln Berlin 1967, S. 18. Durch den Eklektizismus löst die Konjunkturtheorie den Zusammenhang der konjunkturellen Schwankungen mit dem Kapitalverhältnis endgültig auf, weil von gesellschaftlicher Totalität keine Rede mehr sein kann. Sie atomisiert vielmehr diese Totalität. Gerade dadurch aber wird sie "leistungsfähiger im Hinblick auf die gestellten Aufgaben", d. h. verwendbar zur theoretischen Reflexion der politischen Manipulation einzelner Faktoren zum Zwecke der "Krisenvermeidung".

*71
Gerhard Weisser, Distribution II, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, S. 645.

*72
Ernst Dürr, Probleme der Konjunkturpolitik, Freiburg 1968, S. 24.

*73
Vgl. etwa W. A. Jöhr, Alternativen der Konjunkturklärung, in Wilhelm Weber (Hrsg.), a. a. 0., S. 353 ff., der sich der abgeschmacktesten Massenpsychologie bedient, um den Konjunkturprozeß zu "erklären". Auch Keynes' zentrale Kategorien sind psychologische: Hang zum Verbrauch, Investitionsneigung, Liquiditätsvorlieb usw.

*74
Bei Günter Schmölders, Konjunkturen und Krisen, Reinbeck 1955, S. 112 lautet dementsprechend die wirtschaftspolitische Konsequenz: "Dementsprechend muß auch die Konjunkturpolitik jeweils die der gegebenen Lage am besten angepaßten Verfahren entwickeln, wie sie in den verschiedenen Ländern schon mit mehr oder weniger Erfolg angewandt worden sind; alle Erfahrungen deuten darauf hin, daß der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, der ´moral suasion' rechtzeitiger Warnungen und Mahnungen sowie der ´Signalwirkung' von Diskontmaßnahmen und dgl. dabei besondere Bedeutung zukommt."

*75
Dieser Gesamtindikator, der regelmäßig in der "Wirtschaftswoche" veröffentlicht wird, funktioniert offensichtlich nicht in Zeiten der Stagflation und ihren spezifischen Widersprüchen. So schreibt die "Wirtschaftswoche" vom 3. März 1972: "Während (der Gesamtindikator) die vergangenen Konjunkturzyklen relativ gut beschreibt, wird er der neuen, stagflatorischen Situation nicht mehr gerecht:. . ." (S. 59)

*76
Henryk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems (Nachdruck) Frankfurt 1967, S. 202

*77
Im JG 66, Ziff. 233 heißt es: "Demgegenüber sehen wir für die Beschäftigung auch 1967 keine ernsten Gefahren, obwohl uns die Sorgen, die die Bevölkerung in strukturschwachen Regionen bewegen, nicht fremd sind. Hauptgrund dieser Zuversicht sind die Zeichen kräftiger Wirtschaftsexpansion in wichtigen Partnerländern. . ." Wenige Wochen nach diesem Urteil vom November 1966 hatten wir über eine Million Arbeitslose (incl. derjenigen Gastarbeiter, Frauen und Rentner, die aus dem Produktionsprozeß ganz herausfielen).

*78
Wir sind damit wieder bei der anfangs (vgl. Anm. 7) erwähnten Kontroverse mit dem KSV. Die bürgerliche Wissenschaft bekämpfen zu wollen, weil sie "Modelle der kolonialen Konterrevolution" (Horlemann) usw. liefert und damit ein imperialistisches Unterdrückungsinstrument sei, zeugt von einem selbst noch im bürgerlichen Selbstverständnis befangenen idealistischen Bewußtsein: Erstens ist in einer solchen Auffassung nicht der wirkliche Vermittlungsprozeß von Wissenschaft und Politik, so wie wir ihn hier kurz zu kennzeichnen versucht haben, begriffen und zweitens wird die Begrenztheit staatlicher Politik im Kapitalismus nicht gesehen, eine Begrenztheit, die keine noch so fortgeschrittene bürgerliche Wissenschaft aufheben kann; eine andere Annahme zeugt von idealistischem Politikverständnis - das sich auch übrigens in Parteigründungen aus den Köpfen einiger Intellektueller manifestiert - zum Schaden des Klassenkampfes.



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