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Ansgar Knolle-Grothusen


Beitrag für die Diskussionsrunde der Marx-Engels-Stiftung zum Thema


Warenproduktion - Wertgesetz -Sozialismus


Liebe Genossinnen und Genossen,


In der Ankündigung zur heutigen Diskussionsrunde war mein Beitrag unter dem Titel angekündigt: Mit dem Kapitalismus zugleich die Warenproduktion und das Wertgesetz aufheben. Das trifft den Inhalt meines Vortrages nicht ganz. Ich werde ein paar Hinweise dazu geben, wieso positive Aufhebung des Privateigentums und Aufhebung der Warenproduktion zwei Formulierungen für ein- und denselben Prozeß sind, die nur unterschiedliche Aspekte ins Zentrum rücken; wieso die kommunistische Aufhebung des Privateigentums und die Aufhebung der Warenproduktion einander bedingen. Doch im Wesentlichen möchte ich mich mit einigen Gegenargumenten derjenigen auseinandersetzen, die ein Fortbestehen von Warenproduktion und Wertgesetz im Sozialismus postulieren. Vielleicht gelingt es mir dabei, einige Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen und einige Streitpunkte klarer herauszuarbeiten.


Der erste Punkt ist hierbei der: Wie sahen Marx, Engels und Lenin diese Frage?

Ich behaupte, daß diejenigen, die meinen, bei Marx Hinweise auf das Wirken des Wertgesetzes in einer Produktionsweise finden zu können, die arbeitsteilig auf der Grundlage des Gemeinbesitzes an der Erde und den produzierten Produktionsmitteln organisiert ist, nicht genau genug lesen. Marx ist in dieser Frage ganz eindeutig.


Die Notwendigkeit der Aufhebung der Warenproduktion ist ein Leitgedanke, der das ganze Kapital vom ersten bis zum dritten Band durchzieht und mehrfach explizit formuliert wird. Ebenso deutlich finden wir diesen Gedanken in den Grundrissen: Vollständige Aufhebung des Privateigentums und Aufhebung der Warenproduktion sind ein- und dasselbe. Ich möchte die Verständnisprobleme an dem von Marx im 1.Kapitel des Kapitals bemühten Gedankenexperiment des Vereins freier Menschen und an der hierauf Bezug nehmenden häufig mißverstandenen Formulierung in der Kritik des Gothaer Programms verdeutlichen:

Im 1.Kapitel des Kapital stellt uns Marx zwei Gedankenexperimente vor: erstens Robinson und zweitens einen Verein freier Menschen:

„Da die politische Ökonomie Robinsonaden liebt, erscheine zuerst Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabrizieren, Lama zähmen, fischen, jagen usw. ... Trotz der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Betätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen. Ob die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner Gesamttätigkeit einnimmt, hängt ab von der größeren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihn das, und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichnis der Gebrauchsgegenstände, die er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichtum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten. ...

Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte Robinsons waren sein ausschließlich persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.“1


Der gleiche Gedankengang in der Kritik des Gothaer Programms lautet folgendermaßen:

„Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren. ...

Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent - nach den Abzügen - exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andrerseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehn kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht.

Das gleiche Recht ist hier daher immer noch - dem Prinzip nach - das bürgerliche Recht, obgleich Prinzip und Praxis sich nicht mehr in den Haaren liegen, während der Austausch von Äquivalenten beim Warenaustausch nur im Durchschnitt, nicht für den einzelnen Fall existiert.“2


Robert Steigerwald faßt das in einem Brief an mich in Vorbereitung dieser Diskussionsrunde folgendermaßen zusammen:

„In seiner ‘Kritik des Gothaer Programms’ ... macht Marx darauf aufmerksam, dass in der ersten Stufe des Kommunismus, also im Sozialismus ...

1. das da noch kein Produktenaustausch stattfindet,

2. dass es keinen Wert als eine von den Produkten unabhängige Eigenschaft (als ein in dinglicher Hülle verstecktes gesellschaftliches Verhältnis) gibt, sondern die individuellen Arbeiten ohne Umweg, unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existierten, aber

3. dass die Verteilung der individuellen Konsumgüter an dasselbe Prinzip gebunden ist wie beim Austausch von Warenäquivalenten: Es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht. Genau das aber sagt das Wertgesetz! Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist.“


Diese Zusammenfassung ist fehlerhaft:

Aus : „Die Produzenten tauschen ihre Produkte nicht aus“ macht Robert: „es findet noch kein Produktenaustausch statt.“ Dieses noch hat es in sich. Es insinuiert nämlich, daß, falls überhaupt eimal die Warenproduktion überwunden wird, die Warenzirkulation durch Produktenaustausch abgelöst würde, Produktenaustausch sozusagen die höhere Form gegenüber der Warenzirkulation wäre, und wer für die Aufhebung der Warenproduktion streitet, logischerweise ein Verfechter des Produktenaustausches sein müßte. Doch nichts liegt mir ferner. Geldvermittelte Warenzirkulation ist die höchste am weitesten entwickelte Form des Produktenaustausches, was seinerseits ein auch die Warenproduktion umfassender Oberbegriff für die Distributionsweise von Produktionsweisen ist, die auf arbeitsteiliger gesellschaftlicher Privatproduktion beruhen. Von der geldvermittelten Warenproduktion zu ihren unzulänglichen Vorformen unmittelbaren Produktenaustausches zurückkehren zu wollen, wäre allerdings eine anachronistische Donquichotterie, reaktionär und ebenso praxisuntauglich, wie die Proudhonsche Tauschbank, auf die ich noch zurückkommen werde. Mit dieser hat sie gemein, auf der Grundlage der Warenproduktion das Geld abschaffen zu wollen. Der Kernpunkt dabei ist folgender: An irgendeiner Form von Austausch festhalten zu wollen, zeigt, daß man gedanklich nicht über das Privateigentum, die privat organisierte gesellschaftliche Produktion hinauskommt. Doch es geht gerade um eine Produktionsweise, in der die individuelle Arbeit nicht mehr Privatarbeit ist, und sich im Produktentausch erst erweisen muß, in wie weit diese Privatarbeit wirklich als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt wird, sondern die als individuelle Arbeit im Rahmen der gemeinschaftlichen Planung geleistet wird und daher unmittelbar Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit ist. Daher ist das Arbeitsprodukt von vornherein kein Privateigentum mehr, sondern Produkt der Gesellschaft, es geht also nicht mehr um Austausch zwischen verschiedenen Eigentümern, sondern nur noch um Verteilung innerhalb der Gemeinschaft der Produzenten. Wenn man den Marxschen Gedanken also durch Hinzufügungen verdeutlichen wollte, wäre man allenfalls berechtigt, aus „Die Produzenten tauschen ihre Produkte nicht aus“ zu machen „Die Produzenten tauschen ihre Produkte nicht mehr aus“, keinesfalls aber „Die Produzenten tauschen ihre Produkte noch nicht aus.“

2. sagt Robert, „daß es keinen Wert als eine von den Produkten unabhängige Eigenschaft gibt“ während Marx schreibt, daß die auf Produkte verwandte Arbeit nicht als Wert dieser Produkte erscheint - das ist ein gewaltiger Unterschied. Wert als eine von den Produkten unabhängige Eigenschaft kann es sowieso nicht geben und daß der Wert zwar noch existent ist, aber kein gesellschaftliches Verhältnis mehr darstellt, macht auch keinen Sinn. Dagegen ist bei Marx alles ganz klar: Weil die individuelle Arbeit unmittelbar Bestandteil der gemeinschaftlich geplanten gesellschaftlichen Gesamtarbeit ist, also nicht mehr Privatarbeit ist, sondern selbst schon Ausdruck des gesellschaftlichen Verhältnisses des Einzelnen ist, braucht sie nicht mehr die verrückte Form der Wertes des Arbeitsproduktes anzunehmen, um sich im Nachhinein als Bestandteil der Gesamtarbeit zu erweisen.

Was häufig nicht beachtet wird, ist der alles entscheidende Unterschied zwischen dem Wert und den wesentlichen Bestimmungen des Werts, oder in anderer Formulierung zwischen Warenaustausch und dem Prinzip, das den Warenaustausch regelt. Wer diesen Unterschied nicht zur Kenntnis nimmt, dem müssen allerdings die Marxschen Formulierungen kryptisch vorkommen: Einerseits kein Austausch, keine Warenproduktion, kein Wert, andererseits doch alle wesentlichen Wertbestimmungen und dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten - ja was denn nun? Horst Richter schreibt in dem von Robert in Vorbereitung dieser Diskussion verschickten Artikel „Warenproduktion, Werttheorie und Markt“ sehr richtig: „Für die Aufwandserfassung in einer Gesellschaft ohne Warenproduktion verwendet Marx gelegentlich den Begriff ‘Wertbestimmung’, der nicht selten zu Irritationen geführt hat. Er wird als Beleg verwendet, daß Marx’ Theorie der Warenproduktion und des Werts auch für die sozialistische Gesellschaft zuträfe. Marx verwendet diesen Begriff für eine Gesellschaft ohne Warenproduktion nicht im Sinne seiner Werttheorie, sondern in dem Sinn, daß es bei gemeinschaftlicher Produktion darum geht, die allgemeine Substanz des Werts, die Arbeit, die Arbeitszeit zu erfassen und zu bestimmen.“3 Der Wert einer Ware ist bestimmt durch den aliquoten Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, der zur Herstellung dieser Ware erforderlich ist. Genau gesagt ist der Wert qualitativ bestimmt als gleiche menschliche Arbeit, die die Wertsubstanz ausmacht und quantitativ bestimmt durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, durch die die Wertgröße gegeben ist. Diese beiden Bestimmungen machen den Inhalt des Werts aus. Darüber hinaus hat der Wert auch noch eine Form, die Wertform, auch Tauschwert genannt. In der Wertform stellt sich das Verhältnis der Arbeit des einzelnen Warenproduzenten zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit dar als Austauschrelation seiner Ware mit den anderen auf dem Markt befindlichen Waren. Diese verrückte Form, die Wertform, in der ein gesellschaftliches Verhältnis von Personen erscheint als Eigenschaft von Sachen, verliert mit der Aufhebung des Privateigentums seine Grundlage. Aber mit dem Verschwinden der Form des Wertes, verschwindet keineswegs sein Inhalt, der unabhängig von der Form bestimmendes Moment aller gesellschaftlichen Produktionsweisen ist. Nur erscheint die Arbeit jetzt als das, was sie ist; als geplantes, verabredetes, produktives gesellschaftliches Verhältnis der arbeitenden Menschen zueinander. Die Allokation der Ressourcen, die Aufteilung der Gesamtarbeit auf die verschiedenen Produktionszweige und Tätigkeiten, meinetwegen schließlich auch die Verteilung der produzierten Konsumgüter, obwohl dies nicht notwendig ist, geschieht nicht mehr monetär, hinter dem Rücken der Menschen durch das Wirken des Wertgesetzes, sondern direkt durch Arbeitszeitrechnung.


Die Marxsche Wertanalyse ist weder monetär noch prämonetär, sondern dialektisch. Der Wert ist eine Eigenschaft, die der Ware unabhängig von der Zirkulation zukommt und nicht unabhängig von der Zirkulation zukommt: Denn wenn von Ware gesprochen wird, ist die Zirkulation schon mitgedacht; Die qualitative und quantitative Bestimmung des Warenwerts kann ohne den Austausch durchgeführt werden. Doch eine greifbare Form erhält der Wert nur als Tauschwert in dem Verhältnis zu anderer Ware und seine universelle Form nur im Geldausdruck, im Preis.


Dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten meint, daß das, was sich in der kapitalistischen Warenproduktion entfaltet hat, nämlich daß prinzipiell jede Arbeit als gleiche menschliche Arbeit, als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit sich erweisen kann und tendentiell dazu wird, auf dieser Grundlage die Regelung der proportionalen Verteilung der Gesamtarbeit auf die verschiedenen im Reproduktionsprozeß zu verrichtenden Tätigkeiten, die Ökonomie der Zeit, die sich in der Warenproduktion durch das Wertgesetz hinter dem Rücken der Menschen durchsetzt, daß dies Prinzip nun direkt herrscht durch die gemeinschaftliche Planung der Gesamtarbeit. Das Prinzip bleibt bei Aufhebung der Warenproduktion erhalten, aber es wird nun in anderer Form durchgesetzt als durch das Wertgesetz; es geht um eine Aufhebung im Hegelschen Sinne, in dem zwar die Wertform, die verkehrende Form, in der das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen zueinander in der Teilung der Arbeit als Wert erscheint, als sachliche Eigenschaft der Produkte, aufgehoben wird, dadurch aber zugleich die Substanz des Wertes, die gleiche menschliche Arbeit als gesellschaftliches Verhältnis der Individuen zueinander freigesetzt wird und ihnen erstmals direkten Zugriff auf dieses Verhältnis, gemeinsame, d.h. gesellschaftliche Zwecksetzung und Bestimmung erlaubt. Die Fragestellung: welche Bedürfnisse müssen und wollen wir befriedigen? wieviel von welchen Produkten müssen wir dafür herstellen - einschließlich der dabei verbrauchten zu reproduzierenden Produktionsmittel? ergibt zu jedem historischen Zeitpunkt einen Erfahrungswert von Arbeitsstunden, die für die verschiedenen Tätigkeiten aufzuwenden sind.


Hier taucht die nächste Blockade auf: Hat nicht Marx ganz entschieden gegen das Arbeitsgeld der Proudhonschen Tauschbank polemisiert, und nun will er selber Arbeitszettel austeilen? - Dies vergißt wieder die unterschiedlichen Voraussetzungen, nämlich die veränderte Form der Arbeit.

Daniel Dockerill hat in den Übergängen Nr. 3 dies gut auseinandergelegt. Ich zitiere:

„Das Besondere des Werts ist aber gerade die sachliche Form, die er der gesellschaftlichen Arbeit bzw. (als Wertgröße) der gesellschaftlichen Arbeitszeit gibt und die aus dem bloß nachträglich, beim Austausch ihrer Produkte zu konstatierenden, gleichwohl immer schon vorausgesetzten, die Produzenten daher wie eine Naturgewalt überwältigenden Zusammenhang ihrer besonderen Arbeiten. Wenn Marx die kommunistische Produktionsweise unmittelbar auf die Rechnung der Arbeitszeit stellt, dann setzt er natürlich eine veränderte Form des Zusammenhangs der Arbeiten voraus. Dieser exekutiert nicht länger sich gleichsam selbstherrlich erst an ihren Resultaten, nachdem also die wirklichen konkreten Arbeiten schon getan sind, sondern liegt ihnen als gesellschaftlicher Plan zugrunde, als das gewußte gemeinsame Geschöpf selbstbewußt gesellschaftlicher Produzenten; und mit dieser veränderten Form, wie Arbeit gesellschaftliche Arbeit ist, Arbeit für die Gesellschaft auf Rechnung der Gesellschaft, entfällt auch ihre nachträgliche Darstellung als Wert der Produkte der Arbeit, nämlich ‘als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft’, wie Marx erläuternd hinzusetzt.

Anderherum kritisiert Marx an den Proudhonschen „Stundenzetteln“ nicht den damit angepeilten Versuch, überhaupt Produkte mit der für sie aufzuwendenden Arbeitszeit unmittelbar in Beziehung zu setzen, sondern die damit einhergehende Proudhonsche Prämisse, daß dies auf der Grundlage von Warenproduktion geschehen soll. Marxens Argumentation geht daher in zwei Richtungen:

Zunächst zeigt er, wie unter der Voraussetzung, daß die von der proudhonistischen ‘Tauschbank’, anstelle des Geldes ... ausgegebenen Stundenzettel unter den Produzenten tatsächlich als Tauschmittel zirkulieren, dieser Geldersatz oder das so ‘verbesserte’ Geld alle Probleme wieder hervorbringt, die es beseitigen sollte. Die ‘Stundenzettler’ verkennen, daß der Unterschied zwischen Wert und Preis nicht bloß ein nomineller ist. Es ist nicht das Problem, das der Wert, da doch ‘in Wahrheit’ Arbeitszeit, in der Geldware unangemessen ausgedrückt wäre. Vielmehr ist es die Eigenart warenproduzierender Arbeit selbst, einer Arbeit also, die sich erst in ihrem Resultat, eben der Ware, auf alle anderen Arbeiten als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit bezieht, daß an ihr die individuelle, vom einzelnen Produzenten wirklich aufgewendete Arbeitszeit im Verhältnis zu der aller anderen Warenproduzenten einerseits sowie die gesellschaftlich gültige Größe dieses Verhältnisses andererseits nur im Durchschnitt ... übereinstimmen, die Abweichung beider voneinander dagegen die Regel ist. Würden die Warenpreise in Geld ausgedrückt, dessen Einheit ‘Arbeitsstunde’ hieße, so liefe das praktisch nur darauf hinaus, daß der reale Unterschied zwischen der tatsächlich für die Produktion der Ware jeweils aufgewendeten Arbeitszeit und dem, was davon gesellschaftlich gültig ist, d.h. in Form der gegen sie eintauschbaren Stundenzettel gewissermaßen beurkundet wird, nur um so greller hervorträte: Drei Stunden Arbeit tauschen sich hier gegen zwei Stunden Arbeit, während sie sich dort vielleicht im Verhältnis fünf zu drei tauschen etc. - das bekämen dis Warenproduzenten schwarz auf weiß bestätigt. Schlimmer noch: Diese Verhältnisse wären für keine Ware fix, daß mit ihnen fortan wenigstens zuverlässig gerechnet werden könnte, sofern nur der einzelne Produzent seine Produktion unter unveränderten Bedingungen, daher seine individuelle Arbeitszeit beibehielte; denn er kann niemanden verpflichten, es ihm gleichzutun;und andersherum, zieht er sich beispielsweise aus der Produktion seiner Ware zurück, um sich auf ein anderes, günstigere Konditionen verheißendes Geschäft zu werfen, verbessert sich unter Umständen das erste, während das zweite sich vielleicht verschlechtert, gerade weil andere es ihm gleichtun; etc. ... Am Ende beweisen so die Proudhonschen Stundenzettel gerade das Gegenteil dessen, wovon ihre Anhänger ausgingen: daß nicht die Arbeitszeit, sondern das gewöhnliche, rein sachliche Geld den Wert der Waren angemessen zum Ausdruck bringt; denn sie führen ... unmittelbar vor Augen, wie unter der Voraussetzung, daß ... Arbeit sich in Waren darstellt, daß sie also statt auf gesellschaftliche auf private Rechnung abgeleistet wird, ... die Arbeitszeit dieser privaten Produzenten ... hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen, alle Produzenten zusammenschließenden Verbindlichkeit eine von allen Produzenten bzw. deren Arbeit unabhängige, d.h. aber eine sachliche Form annehmen muß.

Jedoch ist dies, wie gesagt, nur eine Seite der Marxschen Argumentation gegen die Stundenzettler. Nach der anderen nämlich untersucht Marx, welche wirklichen gesellschaftlichen Bedingungen - statt der von Proudhon und Co. Vorausgesetzten Warenproduktion - deren Projekt der ‘Tauschbank’ erfordern würde, damit die von ihr ausgegebenen Stundenzettel erfüllen könnten, was die Erfinder sich davon versprechen: die Arbeitszeit als Maß des Werts tatsächlich unmittelbar zur Deckung zu bringen mit dem Preis der Waren als der Form, in der der Wert sich ausdrückt. Dies ist freilich, wie Marx vorausschickt, keine Untersuchung ‘über die wirklichen Geldverhältnisse’, da Deckung von Wert und Preis voraussetzt ‘Decken von Nachfrage und Zufuhr; von Produktion und Konsumtion’ - also schon erfolgreiche Beseitigung des ganzen Problems, das unter den Bedingungen der Warenproduktion die Geldform annimmt.

Marx zeigt nun, daß die Bank zum ersten ‘zugleich der allgemeine Käufer und Verkäufer in einer Person’ sein müßte, wenn ihre Stundenzettel wirklich, wie unter anderen Umständen das gewöhnliche Geld, dessen Rolle sie übernehmen sollen, als universelles Tauschmittel fungieren sollen und nicht bloß als ein höchst spezielles Verkehrsmittel zwischen der Bank und einzelnen Produzenten, vergleichbar etwa der Funktion der Eintrittskarte im beschränkten Verkehr zwischen einem Theater und seinen Besuchern. Und da so aller Warenverkehr zwischen einerseits der Bank und andererseits allen Produzenten stattfände, könnte das Stundenzettelgeld auch die Form bloßer Konten annehmen, auf denen bilanziert wird, was der einzelne Produzent/Konsument der Bank an Arbeit in einer Form geliefert oder in anderer Form entnommen hat. Ferner, da es sich ja bei der für die Warenwerte in Frage kommenden Arbeitszeit um eine gesellschaftlich verbindliche handelt, ‘die Zeit in der sie (die Waren) hervorgebracht werden müssen’, müßte die Bank über die durchschnittlichen Bedingungen, unter denen die verschiedenen Waren produziert werden, sich ständig auf dem Laufenden halten, ‘um die in ihnen materialisierte Arbeitszeit ... authentisch zu fixieren’. Darüber hinaus hätte sie dafür zu sorgen, daß die Arbeit der Produzenten jeder bestimmten Warenart über die Durchschnittsbildung nicht für gleich produktiv nur dekretiert wird (was früher oder später Obstruktion in der einen oder anderen Richtung erzeugen müßte), sondern es auch - wenigstens angenähert - ist, d.h. sie hätte für annähernd gleiche Produktionsbedingungen zu sorgen. ‘Aber auch das wäre nicht hinreichend’: Wenn die Stundenzettel wirklich universell eintauschbar sein sollen, müßten der Bank die Waren auch in solchen Proportionen der verschiedenen Warensorten zueinander von den Produzenten geliefert werden, daß diese als Konsumenten nicht nur überhaupt irgendeine ihrer gelieferten Arbeit entsprechende Menge an Waren jeweils zurückerhalten, sondern diese auch in den ihren bestimmten Bedürfnissen entsprechenden Gebrauchsformen. Sie hätte also ‘die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiedenen Produktionszweige verwandt werden soll.’ Alles in allem wäre sie damit nicht nur der allgemeine Käufer und Verkäufer, so schließt Marx seinen Gedankengang, ‘sondern auch der allgemeine Produzent. In der Tat wäre sie entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte.’

Diese Konsequenz ihrer Idee: eine Gesellschaft auf gemeinsame Rechnung arbeitender Produzenten war sicherlich nicht das, was Marx den ‘Männern des Stundenzettels’ zum Vorwurf zu machen gehabt hätte. Im Gegenteil. Daß sie diese Konsequenz, die ‘die Negation der ganzen Grundlage der auf dem Tauschwert basierten Produktionsverhältnisse ist’, nicht ziehen wollten, daß sie stattdessen sich einbildeten, deren Widersprüche auf eben derselben Grundlage heilen zu können; daß sie die gesellschaftliche Rechnung in Arbeitszeit aus einer Form der Planung und Rechenschaftslegung, die nur erst als Resultat der Beseitigung des Privateigentums Sinn macht, herunterbringen auf eine - notwendigerweise widersinnige, völlig untaugliche - Reform dieses Privateigentums - das allein läßt Marx solches Projekt als ‘seichten Utopismus’ verwerfen. Wieviel er offenbar andererseits von jenem ‘board’ gehalten hat, das ‘für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte’, geht beispielsweise daraus hervor, daß er im ‘Kapital’ zu Beginn des Kapitals über ‘Das Geld oder die Warenzirkulation’, in einer Fußnote - seine Erörterung ‘eines Arbeitsgelds auf Grundlage der Warenproduktion’ in ‘Zur Kritik ...’ zitierend - das Owensche ‘Arbeitsgeld’ ausdrücklich ... dagegen in Schutz nimmt, mit ersterem identifiziert zu werden: ‘Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Warenproduktion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitszertifikat konstatiert nur den individuellen Anteil des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Teil des Gemeinprodukts. Aber es fällt Owen nicht ein, die Warenproduktion vorauszusetzen und dennoch ihre notwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehen zu wollen.’“4


Nun noch 3 Sätze zur Frage des Zusammenhangs von Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und Aufhebung der Warenproduktion. Ich bediene mich im Folgenden


Das Ziel der Kommunisten, wie es Marx und Engels formuliert haben, ist ein doppeltes: Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und Aufhebung der Herrschaft des Produktes über den Produzenten. Diese doppelte Zielsetzung reflektiert sich in den zwei Aspekten der Aufhebung des Privateigentums: dem vertikalen, durch den die Trennung der unmittelbaren Produzenten von ihren Produktionsmitteln aufgehoben wird, und dem horizontalen Aspekt, durch den die Trennung der Produzenten voneinander und von sich selbst als Konsumenten aufgehoben wird. In der Geschichte des Kommunismus während des letzten Jahrhunderts hat das Schwergewicht auf der Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und dementsprechend auf dem vertikalen Aspekt der Aufhebung des Privateigentums gelegen. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille. Werner Imhof formuliert in seinen „Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus“ sehr treffend: „Privateigentum an Produktionsmitteln ist ... nicht nur Verfügungsgewalt über sie, Herrschaft über Sachen, sondern immer zugleich ihr Gegenteil: Beherrschung durch Sachen, Beherrschung der Privateigentümer (seien sie Privatkapitalisten, Aktiengesellschaften oder Belegschaften selbstverwalteter Betriebe) durch ihre Produkte. Denn das Privateigentum an Produktionsmitteln trennt nicht nur Eigentümer von Nichteigentümern, sondern auch ... die Privateigentümer bzw. -produzenten voneinander; es ist gerade Ausdruck ihrer Getrenntheit. Privateigentum an den Produktionsmitteln heißt nichts anderes, als daß gesellschaftliche Arbeit unter vordergründig ‘unabhängigen’ Produzenten aufgeteilt ist, die tatsächlich voneinander abhängig sind. Dies, ist die wesentliche Bestimmung des Privateigentums als eines gesellschaftlichen Verhältnisses, und nicht die Bestimmung durch sein Gegenteil, das Nicht-Eigentum. Sie bleibt auch wesentlich für das kapitalistische Eigentum, für die Spaltung der Gesellschaft in Kapitalisten und Proletarier. Der grundlegende oder allgemeinste Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise ... besteht darin, daß die gesellschaftliche Arbeit in der Form ‘unabhängiger Privatarbeiten’ organisiert ist.“5


Das heißt, die Herrschaft von Menschen über Menschen erscheint nicht bloß als eine Folge ihrer exklusiven Verfügungsgewalt über die Produktions- und Lebensmittel, „sondern als etwas, was sie unter den Bedingungen des trennenden Privateigentums auch ist, als Vollzug versachlichter Zwänge, wie brutal, deprimierend oder verhaßt sie auch sein mögen. Und das um so mehr, je weniger sie durch das per­sönliche Regime ... der kapitalistischen Eigentümer oder ihrer Funktionäre verdeckt wer­den. Denn diese Zwänge sind nicht an ... Privatkapitalisten oder Kapitalmanager gebunden, auch wenn sie immer noch von ihnen vollstreckt und beeinflußt werden. Selbst wenn alle Betriebe ‘in Arbeiterhand’ wären, das Pri­vateigentum an Produktionsmitteln also in einer Richtung – als Trennung in Besitzende und Besitzlose – aufgehoben wäre, bliebe mit der Wertform der Produkte auch ihre Kapitalform erhalten, würde sich die Arbeit in bezahlte und unbezahlte, in notwendige Arbeit zur Reproduktion der Belegschaften und in Mehrarbeit zur erweiterten Reproduktion der Produktions­mittel teilen und der Zwang zur Ausdehnung letzterer auf Kosten ersterer die Produktion beherrschen, solange das Privat­eigentum nicht auch in der anderen Richtung – als Trennung der Produzen­ten ... voneinander – aufgehoben wäre, solange die Markt- und Geldbeziehungen zwischen ihnen nicht durch andere Beziehungen ersetzt würden. Kurz: Die Aufhebung der kapitalistischen Produktions­weise muß beinhalten die Aufhebung der Warenproduktion überhaupt und damit auch des Geldes.“6

1 Marx: Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 92f (Kursive Hervorhebungen von Marx, fette Hervorhebung von mir, AKG)

2 Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 19ff

3 Horst Richter, Warenproduktion, Werttheorie und Markt - theoriegeschichtliche Aspekte, in: Z - Nr. 46, S. 80

4 Daniel Dockerill, Wertkritische Mißverständnisse der Marxschen Proudhonkritik, in: übergänge Nr.3, S.72ff

5 Werner Imhof, Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus, in: Kommunistische Streitpunkte Nr.5, S.14

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