Postfordismus
Dimensionen einer neuen kapitalistischen Formation

von Joachim Hirsch

04/02
 
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1. Eine neue Regulationsweise nach dem Fordismus?

Der Regulationstheorie kommt das Verdienst zu, auf die Bedeutung unterschiedlicher Phasen der kapitalistischen Entwicklung mit den für sie jeweils spezifischen Verwertungsstrategien, politisch-institutionellen Formen und sozialen Kräfteverhältnissen hingewiesen und zu deren Analyse ein zumindest vorläufiges theoretisches Konzept entwickelt zu haben. Dies ist nicht nur in Bezug auf die Entwicklung einer fortgeschrittenen Kapitalismustheorie bedeutungsvoll, sondern hat – durch die Möglichkeit zu Identifizierung historisch spezifischer sozialer Kräftekonstellationen, Herrschaftsformen und Konfliktachsen – auch wichtige politische Implikationen. Gleichwohl sind ihre nach wie vor bestehenden Defizite unübersehbar. Diese beziehen sich unter anderem auf die theoriestrategische Beschränkung auf den nationalstaatlichen Rahmen und die damit verbundenen Schwierigkeiten, Strukturen und Dynamiken des globalen Kapitalismus als "Weltsystem" zu begreifen (vgl. z.B. Röttger, 1995, 1997, Alnasseri u.a. 2001, Robles 1994). Dahinter verbirgt sich das grundlegendere Problem, inwieweit die Tatsache, dass die analytischen Kategorien der Regulationstheorie wesentlich in Bezug auf die Analyse der fordistischen Formation und ihrer Krise entwickelt worden sind, ihre Reichweite prinzipiell beschränkt. Ist also die Regulationstheorie mehr als eine "Fordismustheorie" mit einem historisch begrenzten Geltungsbereich und kann ihr analytisches Konzept tatsächlich beanspruchen, eine allgemeine Analyse von Entwicklung und Krise der kapitalistischen Formation anleiten zu können? Dieses Problem ist unter anderem daran deutlich geworden, dass der Ausbruch der Fordismus-Krise zwar mittlerweile mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt, aber eigentlich immer noch unklar ist, ob sich im Zuge der darauf folgenden neoliberalen Restrukturierung und "Globalisierung" des Kapitalismus ein neuer Akkumulations- und Regulationsmodus herausgebildet hat. Der Begriff "Postfordismus", der genau dies offen läßt, verweist auf das damit verbundene theoretische Dilemma. Wenn entweder der Kapitalismus in das Stadium einer langanhaltenden Dauerkrise geraten ist, ohne dass sich eine neue, relativ stabile historische Formation herausbildet oder wenn es mit dem Instrumentarium der Regulationstheorie nicht möglich ist, die Struktur einer derartigen neuen Formation zu begreifen, wären einige theoretische Revisionen unausweichlich.

Nun fliegt bekanntlich die Eule der Minerva spät und auch die Analyse der fordistischen Formation in Gestalt der Regulationstheorie wurde erst entwickelt, als deren Krise bereits offenkundig war. Dennoch läßt sich vielleicht über das historische Stück "Postfordismus" auch schon dann etwas sagen, bevor auch hinter ihm der Vorhang gefallen ist. Ich gehe davon aus, dass es prinzipiell möglich ist, mit dem Instrumentarium der Regulationstheorie im Sinne einer allgemeinen und übergreifenden Kapitalismustheorie zu arbeiten. Allerdings ist es notwendig, dieses Instrumentarium in mehrfacher Hinsicht auszudifferenzieren und zu erweitern. Dabei kommt es vor allem darauf an, über die ökonomische Analyse hinaus die komplexen Strukturen des allgemeinen Vergesellschaftszusammenhangs und der politischen Herrschaftsverhältnisse, also soziale Beziehungen, Natur- und Geschlechterverhältnisse, Hegemoniebildungsprozesse und die Strukturen des politischen Systems in den Blick zu nehmen. Vor allem gilt es zu realisieren, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht nur ein System von ökonomischen Beziehungen, sondern ein Gewaltverhältnis ist, das sich in der Existenz eines Systems von Staaten ausdrückt. Hier wird die These vertreten, dass sich nach der Fordismus-Krise der siebziger Jahre mittlerweile eine neue, relativ stabile, wenn auch natürlich durch eigene Widersprüche und Krisentendenzen gekennzeichnete kapitalistische Formation mit einer gewissen politisch-sozialen Kohärenz herausgebildet hat (anders Alnasseri u.a. 2001). Dass diese Formation spezifische ökonomische Instabilitäten und vor allem politisch-soziale Krisenmomente größeren Ausmaßes aufweist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es seit den achtziger Jahren gelungen ist, den Kapitalismus grundlegend zu restrukturieren. Die umfassende Reorganisation der Verwertungsbedingungen hat zu einer nachhaltige Erhöhung der Profitrate geführt. Nicht zuletzt daran ist die Existenz eines neuen Entwicklungs- und Wachstumsmodells zu messen. Man muss sich vor allem davor hüten, die ökonomische, politische und soziale Kohärenz, d.h. die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der fordistischen Formation im Nachhinein zu überzeichnen. Schließlich war auch sie durch erhebliche nationale und regionale Differenzen sowie permanente Krisen und Instabilitäten gekennzeichnet. Ihre grundlegenden Charakteristika waren real nie als vollkommen ausgebildete Strukturen, sondern nur als bestimmende Tendenzen zu bezeichnen. Es wäre mithin an der Zeit, den Verlegenheitsbegiff "Postfordismus" durch eine genauere Charakterisierung zu ersetzen - ein entsprechender Ideenwettbewerb könnte eröffnet werden. In Bezug auf die dominierend gewordene Informations- und Kommunikationstechnologie läge es vielleicht nahe, von einem "Infocom-Kapitalismus" zu sprechen. Die folgende Skizze dieser Gesellschaftsformation ist noch sehr vorläufig und bedürfte noch vieler Konkretisierungen, Präzisierungen und sicherlich auch einer insgesamt systematischeren Ausarbeitung.

Die Ausdifferenzierung bzw. Erweiterung des regulationstheoretischen Konzepts bezieht sich vor allem auf folgende Dimensionen: Einmal muss von der Existenz des Kapitalismus als internationalem System ausgegangen werden, das durch übergreifende hegemoniale Strukturen und darin eingelagerte, staatlich abgesicherte Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet ist, was bedeutet, dass existierende Akkumulations- und Regulationsmodi als Bestandteile eines umfassenderen kapitalistischen "Weltsystems" (und dieses nicht nur als eine Addition "nationaler" Akkumulations- und Regulationsmodi) begriffen werden müssen (vgl. dazu auch Poulantzas in diesem Band). Zum zweiten wird eine Fassung des Begriffs "Akkumulationsregime" vorgeschlagen, der weiter reicht als das herrschende Produktionsparadigma und die mit ihm verbundenen makroökonomischen Kreisläufe. Zum Akkumulationsregime gehören neben der Form der Mehrwertproduktion mit den damit verbundenen Beziehungen zwischen Produktionsmittel- und Konsumgütersektor (Beispiel: tayloristische Massenproduktion und - sozialstaatlich abgestützter - Massenkonsum im Fordismus), dem Lohn- und das Geldverhältnis, den ökonomischen Organisationsstrukturen (Unternehmens- und Gewerkschaftsorganisationen, Formen der Konkurrenz) auch die Beziehungen zwischen kapitalistischen (kommodifizierten) und nicht unmittelbar dem kapitalistischen Verwertungsprozess unterworfenen gesellschaftlichen Sektoren, damit verbunden die jeweils herrschenden gesellschaftlichen Naturverhältnisse, die Formen der Produktion und Aneignung von Wissen, das Geschlechterverhältnis und das Raum/Zeit-Verhältnis. Man kann davon ausgehen, dass die historische Entwicklung des Kapitalismus durch eine sich durchhaltende Tendenz zur Vertiefung der relativen Mehrwertproduktion (Rationalisierung und Intensivierung der Arbeit) und zur Durchkapitalisierung der Gesellschaft (zunehmende reelle Subsumtion gesellschaftlicher Produktions-/Reproduktionszusammenhänge, "innere Landnahme", Lutz 1984) gekennzeichnet ist. Diese Tendenz nimmt aber, bedingt durch die jeweils existierenden politisch-sozialen Kräfteverhältnisse, einen jeweils formationsspezifischen Ausdruck an und entwickelt sich nicht linear. Kommodifizierungs- und Dekommodifizierungsprozesse verbinden sich in einer höchst widersprüchlichen Weise und es kommt zu unterschiedlichen Verbindungen zwischen verschiedenen ökonomischen Reproduktionsformen, z.B. im Verhältnis von kapitalistischer Waren- und Subsistenzproduktion. Dies begründet die Diskontinuität in der Kontinuität, die die kapitalistische Entwicklung allgemein kennzeichnet.

Das jeweils herrschende Akkumulationsregime beinhaltet spezifische politisch-soziale Konfliktachsen, in denen die Klassenverhältnisse und die mit ihm verbundenen - nicht aus ihm ableitbaren - sozialen Antagonismen, nicht zuletzt die Natur- und Geschlechterverhältnisse, zum Ausdruck kommen. Die relative Konsistenz und Beständigkeit einer historischen Form des Kapitalismus hängt davon ab, dass sich eine Regulationsweise herausbildet, die es ermöglicht, diese Konflikte mit den Bedingungen der Kapitalverwertung vereinbar zu halten, d.h. gesellschaftliche Terrains zu definieren, auf denen die politischen und sozialen Konflikte ohne eine grundlegende Störung des Akkumulationsprozesses ausgetragen werden können. Zur Regulationsweise gehören die sich ausprägenden institutionellen Konfigurationen einschließlich der staatlichen Herrschaftsorganisation, die ideologischen Formen, die herrschenden Subjektprägungen und damit das Hegemonialverhältnis im Sinne generalisierter Vorstellungen von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft. Um Mißverständnissen zu begegnen, sollte – den Grundannahmen der Regulationstheorie folgend – betont werden, dass Akkumulationsregime und Regulationsweise nicht in einem Determinations-, sondern in einem Artikulationsverhältnis stehen. Das heißt, ihre Entwicklung folgt nicht einer kausalen Logik, sondern steht in einem wechselseitigen, durch politisch-soziale Kämpfe vermittelten Bedingungsverhältnis. Historische kapitalistische Formationen weisen immer nur eine relative Stabilität auf. Infolge der in sie eingelagerten und in ihnen zum Ausdruck kommenden Widersprüche müssen sie früher oder später in eine "säkulare" Krise geraten. Wann und in welcher Form sie dies tun, hängt indessen wesentlich von den konkreten politisch-sozialen Auseinandersetzungen und Kämpfen ab. Marx hat die grundlegende Krisentendenz des Kapitalismus im "Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate" zusammengefasst. Dieses beruht darauf, dass das Kapital, gezwungen ist, fortwährend lebendige Arbeit freizusetzen und damit die Basis der Mehrwertproduktion zu untergraben. Allerdings darf dieses Gesetz nicht als abstrakte Kausallogik missverstanden werden. Es bezeichnet vielmehr einen strukturellen und permanent wirksamen Krisenzusammenhang, der in einer historisch spezifischen Weise, abhängig von sozialen Kräfteverhältnissen, politischen Herrschaftsformen und den Strategien dominanter Akteure bestimmten Form zum Ausdruck kommt und damit keineswegs einen linearen Verlauf der kapitalistischen Entwicklung anzeigt. Tiefgreifende Krisen des Kapitalismus sind unvermeidlich, ihr Charakter und ihre Verlaufsform wird aber durch die existierende Formationsstruktur, die sich in ihr ausdrückenden sozialen Kräfteverhältnisse und Kämpfe bestimmt. Ob und in welcher Weise sich aus einer Krise eine neue und relativ stabile Formation herausbildet, ist prinzipiell ungewiß und immer das Ergebnis des konfliktorischen Handelns sozialer Klassen und Gruppen. Genau genommen ist eine historische kapitalistische Formation also nicht bloß eine "Fundsache" (Lipietz 1985), sondern das Ergebnis erfolgreich durchgesetzter Machtstrategien, in die unterschiedliche und konfligierende Akteure verwickelt sind.  

2. Das postfordistische Akkumulationsregime

Auf eine Darstellung des Fordismus und dessen Krise muss hier verzichtet werden, obwohl diese natürlich für den Verlauf und die Art und Weise der Durchsetzung der postfordistischen Formation bedeutungsvoll sind (Vgl. Hirsch/Roth 1986, Hirsch 1990, Hirsch 1995). Ihre zentrale Ursache ist darin zu sehen, dass die im fordistischen Akkumulationsmodell liegenden Produktivitätsreserven nicht ausreichten, um unter den Bedingungen der keynesianisch-wohlfahrtsstaatlichen Regulationsweise die längerfristige Stabilität des Kapitalprofits zu gewährleisten. Hervorzuheben ist aber, dass dieser Prozess eng mit den herrschenden weltpolitischen Konstellationen und der Struktur des internationalen kapitalistischen Systems zusammenhing. Die Entstehung des Fordismus ist ohne die revolutionären Prozessen am Anfang des 20. Jahrhunderts, die Etablierung der Sowjetunion, die damit geschaffene Systemkonkurrenz und die nach dem zweiten Weltkrieg endgültig befestigte Hegemonie der USA im Westen nicht zu verstehen. Dies war die Grundlage für die Durchsetzung des "amerikanischen" Gesellschaftsmodells (genau genommen nicht nur im Westen) und zwang zugleich Unternehmen und Regierungen sowohl zu gewissen Konzessionen gegenüber den Lohnabhängigen als auch zu einer "Entwicklungspolitik" gegenüber kapitalistisch weniger entwickelten Ländern ("nachholender" und "peripherer" Fordismus). Die erfolgreiche Durchsetzung des fordistischen Gesellschaftsmodells zumindest in den kapitalistischen Metropolen - der sich herausbildenden "Triade" Nordamerika-Westeuropa-Japan - war zugleich eine wichtige Ursache für die Erosion der US-Hegemonie und damit auch für die sich in den siebziger Jahren manifestierenden Fordismus-Krise. Dadurch waren die Vereinigten Staaten immer weniger bereit und in der Lage, die bestehende internationale ökonomische Ordnung durch materielle Konzessionen abzustützen. Schon in dieser Hinsicht hatte die Krise des Fordismus mehr als eine ökonomische Dimension. Sie war nicht zuletzt eine internationale Hegemoniekrise und eben diese bildete den entscheidenden Ansatzpunkt für den postfordistischen Restrukturierungsprozess.

Die im Gefolge dieser Krise in den achtziger Jahren einsetzende neoliberale Restrukturierungs- und Globalisierungspolitik kann als der erfolgreiche Versuch betrachtet werden, die ökonomische und politische Vorherrschaft der USA - diesmal unter dem Vorzeichen von Deregulierung und radikaler Marktliberalisierung auf nationaler wie internationaler Ebene - wiederherzustellen. Sie war eine wesentliche Voraussetzung für die Finanzierbarkeit immer gigantischer anwachsender Außenhandelsdefizite und einer fortschreitenden inneren wie äußeren Verschuldung, die zur Grundlage des ökonomischen Wachstums in den Vereinigten Staaten geworden sind. Dieser "geostrategische" Aspekt des sogenannten Globalisierungsprozesses darf allerdings nicht in traditionellen machtstaatlichen Kategorien beurteilt werden, sondern hat einen wesentlichen Akteur in einem zunehmend transnational operierenden Kapital, das unter den Bedingungen des fordistischen Akkumulations- und Regulationszusammenhangs erheblich an Bedeutung gewonnen hatte. Die Reetablierung der US-Hegemonie war zugleich eine wesentliche Grundlage für die Wiederherstellung der Profitabilität des Kapitals im Weltmaßstab. Der Niedergang und der schließliche Zusammenbruch der UdSSR, der in gewisser Weise ebenfalls als Bestandteil der Fordismus-Krise betrachtet werden kann, besiegelte die nun auch militärisch unangefochtene Dominanz der Vereinigten Staaten und brachte mit dem Ende der Systemkonfrontation eine tiefgreifende Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals. Ohne Berücksichtigung dieser weltpolitischen Kräftekonstellation, die allerdings eine wesentliche Basis in den ökonomischen Prozessen und in der Krisendynamik der fordistischen Formation hat – sowohl der östliche Staatssozialismus als auch die ebenfalls gescheiterten bzw. in die Krise geratenen Importsubstitutionsmodelle in der kapitalistischen Peripherie gehören in gewisser Weise zum Komplex des globalen Fordismus – ist die Durchsetzung des Postfordismus nicht erklärbar.

Grundlegendes Kennzeichen des postfordistischen Akkumulationsregimes ist die Durchsetzung einer Verwertungsstrategie, die darauf abzielt, den für den Fordismus typischen Zusammenhang von tayloristischer Massenproduktion materieller Konsumgüter und einem auf normierter Lohnarbeit sowie sozialstaatlichen Sicherungen beruhendem Massenkonsum aufzulösen. Das Lohnverhältnis wird von starken Tendenzen der Entformalisierung und Prekarisierung geprägt. Die Arbeitsverhältnisse differenzieren sich stark aus. (Schein-) Selbständigkeit sowie neue Formen der Subsistenzproduktion gewinnen an Bedeutung. Die sozialstaatlichen Sicherungssysteme werden selektiv eingeschränkt oder privatisiert. Diese Tendenz kommt sowohl in den Metropolen als auch in der Peripherie, wenn auch in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen zur Geltung. Eine Folge ist, dass gesellschaftliche Spaltungen und Ungleichheiten zunehmen. Die veränderten sozialen Kräfteverhältnisse schlagen sich in einer tendenziellen Stagnation bzw. Rückläufigkeit der realen Masseneinkommen nieder, d.h. die fordistische Verbindung zwischen Wachstum und Massenkonsum wird schwächer. Im Gegensatz zu der für den Fordismus typischen "Stagflation" entstehen monetäre Deflationstendenzen. Auch für den Postfordismus ist eine tendenzielle Überakkumulationskrise charakteristisch. Unter den Bedingungen der Deregulierung von Kapital- und Finanzmärkten und einer relativen Verselbständigung des Finanzkapitalsektors äußert sich diese nun aber in einem permanenten Spekulationsboom, der zu periodischen Kapitalvernichtungsprozessen größeren Ausmaßes führt – der vielzitierte Casino-Kapitalismus. Allerdings ist dies zunächst einmal keine krisenhafte Fehlentwicklung, sondern ein Strukturmerkmal des neuen Akkumulationsregimes. Die Finanzspekulation treibt sowohl die Veränderung der Arbeitsverhältnisse als auch die Umwälzung der industriellen Strukturen beschleunigt voran. Die scheinbare Verselbständigung des Finanzkapitals ist und bleibt ein spezifisches Moment des Kapitalkreislaufs und vermittelt sowohl die Verbindung zwischen den verschiedenen (nationalen, sektoralen und branchenmäßigen) Kapitalen als auch die beschleunigten technologischen und arbeitsorganisatorischen Umwälzungsprozesse, die für den postfordistischen Kapitalismus kennzeichnend sind (vgl. dazu schon Poulantzas 1975, 47ff.).

Diese Entwicklung ist verbunden mit einem neuen Schub der Durchkapitalisierung und der "inneren Landnahme" in Form einer Unterwerfung weiterer gesellschaftlicher Sektoren unter den Kapitalverwertungsprozess durch "Kommodifizierung", d.h. der warenförmigen Inwertsetzung von Arbeitsprodukten und Naturressourcen. Im Vergleich zum Fordismus nimmt diese Entwicklung neue Dimensionen und Qualitäten an. Dabei spielen die postfordistischen Schlüsselindustrien insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und der sogenannten "Life-Industries" (Bio- und Gentechnologie) eine zentrale Rolle. Ihr besonderes Kennzeichen liegt darin, dass sie auf besondere Weise wissenschaftsbasiert sind, was der Arbeitskräftequalifikation sowie der Produktion und Aneignung gesellschaftlichen Wissens eine veränderte Bedeutung verleiht. Der besondere verwertungsstrategische Stellenwert dieser Industrien liegt darin, dass sie die Grundlage neuer systemischer Rationalisierungsprozesse insbesondere im Bereich der immateriellen Arbeit (Forschung, Entwicklung, Produktionsvorbereitung, produktionsbezogene Dienstleistungen) darstellen, eines Bereichs also, der für den tayloristischen Rationalisierungsmodus nur beschränkt zugänglich war. Gleichzeitig eröffnen sie dem Kapital neue Anlage- und Verwertungssphären, so etwa im Dienstleistungs-, Informations- und Telekommunikationsbereich, der Agrarproduktion, der Pharma-, und Gesundheitsindustrie. Diese Entwicklung wird verstärkt durch den Abbau staatlicher Sicherungs- und Versorgungssysteme, der dem Kapital – von Pensionsfonds und Versicherungen bis zu privaten Pflegediensten – neue Anlagemöglichkeiten eröffnet. Insgesamt verbindet also das postfordistische Akkumulationsregime eine Vergrößerung der Ausbeutungsrate (Lohnsenkung, Rationalisierung, Arbeitsintensivierung) mit einem neuen Schub der "inneren Landnahme" durch Unterwerfung weiterer gesellschaftlicher Bereiche - nicht zuletzt in erweiterten Dimensionen die Psyche und den Körper der Menschen selbst - unter den kapitalistischen Verwertungsprozess. Diese Entwicklung verläuft allerdings nicht linear. Mit der Kommodifizierung neuer gesellschaftlicher Sektoren und der Tendenz zur Entformalisierung der Arbeitsverhältnisse verbindet sich die Ausbreitung neuer Formen lokal-kommunaler und hauswirtschaftlicher Subsistenzproduktion in den vom globalen Verwertungszusammenhang abgehängten Sektoren und Regionen nicht nur der kapitalistischen Peripherie (Sassen 1999a).

Wesentliches Charakteristikum des neuen Akkumulationsregimes ist schließlich eine neue Form der Internationalisierung der Produktion, die durch die Liberalisierung der Waren- Finanz- und Kapitalmärkte sowie durch neue Kommunikations- und Transporttechnologien ermöglicht wurde. Diese gestattet im Zuge der Schaffung globaler Wertschöpfungsketten die flexible Ausnutzung unterschiedlicher räumlicher Verwertungsbedingungen ("worldwide sourcing"). Mit der Entwicklung transnationaler Unternehmensnetzwerke lösen sich nationalstaatlich umgrenzte Reproduktionszusammenhänge - die fordistische "National"-Ökonomie" - tendenziell auf. Die Folge ist eine neue Hierarchisierung der ökonomischen Räume und die Entwicklung regionaler ökonomischer Zusammenhänge quer zu nationalstaatlichen Grenzen und über diese hinaus. Diese "Globalisierung" des Kapitalismus hebt internationale und nationale Ungleichheiten nicht auf, sondern verstärkt sie als immer wichtigere Grundlage des globalen Verwertungsprozesses. Die Entwicklung kulminiert in der absoluten ökonomischen, politischen und militärischen Dominanz der gleichzeitig untereinander konkurrierenden kapitalistischen Triadezentren über die Peripherie.

Das postfordistische Geldverhältnis ist vor allem durch die vom internationalen Kapital vorangetriebene und staatlich - nicht zuletzt von den USA zwecks Rückgewinnung ihrer Dominanzposition - durchgesetzte Deregulierung der Geld-, Kapital- und Finanzmärkte charakterisiert. Dadurch wurde der fordistische Modus der nationalstaatlichen Geldregulierung praktisch ausgehebelt. Die Freisetzung des Geld- und Kapitalverkehrs von einzelstaatlichen politischen Kontrollen, die sich in einer fortschreitenden Autonomisierung der Zentralbanken äußert, erweitert den Operationsspielraum der Unternehmen beträchtlich und ist eine wesentliche Basis für die Internationalisierung der Produktion und die sie begleitenden spekulativen Finanzbewegungen. Allerdings ist der Begriff der "Freisetzung" insofern zu relativieren, als sich dies zwar auf demokratische politische Kontrollen, nicht aber auf die Rolle des Staates allgemein, d.h. insbesondere der Zentralbanken und Finanzministerien der dominierenden Metropolen sowie die von diesen kontrollierten internationalen Organisationen (IWF, Weltbank, WTO) bezieht. Sie beeinflussen immer noch sehr wesentlich die Entwicklung der internationalen Finanzmärkte. Ein entscheidender Effekt besteht allerdings in einer erheblich vergrößerten Abhängigkeit der peripheren Staaten von diesen ökonomischen Machtzentren.

Die Konkurrenzverhältnisse des fordistischen Kapitalismus waren durch die Dominanz monopolistischer Organisationsformen –Unternehmenskonglomerate, zentralisierte Unternehmerverbände und Gewerkschaften, umfassende korporative Verhandlungsstrukturen, einen ausgebauten Staatsinterventionismus und Protektionismus, teilweise auch durch die Existenz eines bedeutsamen Staatssektors gekennzeichnet. Zumindest auf dem europäischen Kontinent war dies die Grundlage einer korporativ abgestützten staatlichen Industriepolitik. In der "Deutschland AG" hatte diese monopolistische Konkurrenzweise, gegründet auf einen hohen Organisationsgrad des Kapitals und eine strategische Koordinationsrolle der Banken, eine besonders ausgeprägte Form angenommen. Demgegenüber ist das postfordistische Akkumulationsregime durch eine starke Heterogenisierung und Zersplitterung der Lohnabhängigen, eine zunehmende Arbeitsmigration, strukturelle Massenarbeitslosigkeit, die wachsende Bedeutung dezentraler - betriebs- und unternehmenskorporatistischer - Strukturen, eine erhebliche Schwächung der Gewerkschaften - als Folge der Internationalisierung aber auch der Unternehmerverbände - sowie eine weitreichende Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen gekennzeichnet. An die Stelle der für den Fordismus typischen, sehr stark auf nationale Märkte orientierten monopolistischen Unternehmenskonglomerate treten auf spezialisierte Technologien und Marktsegmente spezialisierte und international vernetzte "Global Player". Insgesamt hat die neoliberale Deregulierungspolitik zunächst einmal zu einer Verschärfung der Unternehmenskonkurrenz geführt, wodurch sich – vermittelt über die Dynamik der internationalisierten Kapital- und Finanzmärkte - der Innovations-, Rationalisierungs- und Umstrukturierungsdruck erheblich verstärkt. Im Vergleich zum Fordismus kann somit vom Übergang zu einer neuen Phase der Konkurrenzregulierung gesprochen werden, die allerdings hoch oligopolistisch strukturiert ist und sich wesentlich auf der Ebene des Weltmarkts abspielt. Im Rahmen dieses Konkurrenzverhältnisses kam dem Boom der Unternehmensneugründungen insbesondere im Bereich der "new economy", d.h. der Informations-, Kommunikations- und Biotechnologieindustrie die Funktion eines Innovationstreibsatzes zu, der von den multinationalen Konzernen für ihre Expansionsstrategien flexibel ausgenutzt werden kann (vgl. b/w 2000).

Die postfordistische Form der Rationalisierung und Durchkapitalisierung, d.h. die Erschließung neuer gesellschaftlicher Sphären für die Kapitalverwertung impliziert eine grundlegend veränderte Bedeutung von Natur und Wissen. Die schrankenlose Ausbeutung und Zerstörung von natürlichen Ressourcen war eine spezifische Grundlage des Fordismus, bildete aber auch eine seiner wesentlichen Grenzen und ein wichtiges Krisenmoment. Deshalb werden ihre Erhaltung und Wiederherstellung - d.h. die Sicherung einer relativen ökologischen "Tragfähigkeit" des Verwertungsprozesses - zu einem wesentlichen Merkmal des neuen Akkumulationsregimes. Dies geschieht nicht nur mittels staatlicher Auflagen und Beschränkungen, sondern immer stärker durch die Kommodifizierung und Inwertsetzung von bislang frei verfügbaren Naturressourcen als marktgängige Waren. Beispiele dafür sind die Regulierung der Biodiversität nach der Rio-Konvention, die Pläne zur Installierung eines Handels mit Imissionszertifikaten oder die Überführung ehemals frei verfügbarer natürlicher Ressourcen in private Eigentumsrechte, z.B. bei der Patentierung von genetischem Material. Dieser Kommodifizierungsschub erzeugt einen "ökologischen Kapitalismus", der die Erhaltung von Naturressourcen technologisch zu bewältigen sucht und ihr Management zum Gegenstand kapitalistischer Verwertungsstrategien macht.

Der fordistisch-tayloristische Arbeitsprozess war grundsätzlich auf eine Trennung der lebendigen Arbeit vom Produktionswissen und dessen Inkorporierung in das Maschinensystem gekennzeichnet. Im Postfordismus verändert sich demgegenüber die Bedeutung des gesellschaftlichen Wissens recht grundlegend. Dieses nimmt die Gestalt eigenständiger, relativ unabhängig von der konkreten Maschinerie verfüg- und verwertbaren Waren an. Diese werden in komplex arbeitsteiligen Expertensystemen produziert, was einen weiteren Schub der realen Vergesellschaftung markiert. Zugleich wird Wissen als Basis "technologischer Renten" zu einem noch entscheidenderen Faktor im Konkurrenzprozess. Die Verfügung über geistige Eigentumsrechte wird damit zu einem Schlüsselelement der neuen Akkumulations- und Regulationsweise (Rifkin 2000).

Diese Veränderungen berühren in erheblichem Umfang die Arbeitskräftequalifikation. In den technologischen Kernsektoren kommt es zu einer Re-Qualifizierung der Arbeitskraft, die – global gesehen – mit fortbestehenden Tendenzen zur Entqualifizierung in den standardisierten Bereichen des Produktions- und Dienstleistungssektors sowie in den ökonomisch marginalisierten Sektoren verbunden ist. Damit vergrößert sich auf nationaler wie internationaler Ebene die soziale Heterogenisierung und Spaltung. Insgesamt führt die vergrößerte Bedeutung des "Humankapitals" in den technologischen Kernsektoren zu einem qualitativ neuen Stadium der Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapitalverhältnis, die die Gestalt komplexer Mensch-Maschinensysteme annimmt (Jessop 2000b). Das Kapital verwendet die Arbeitskraft immer weniger nur im Sinne der Nutzung arbeitsteiliger Kompetenzen, sondern beansprucht die Subjekte zunehmend total, mit ihren manuellen ebenso wie mit ihren psychisch-geistigen Fähigkeiten – Kreativität, Innovations- und Kooperationsfähigkeit. "Es ist die lebendige Arbeit als lebendige, die unterworfen werden muss. Es ist ihre affektive, sprachliche und kulturelle Kraft" (Negri u.a. 1998, 17). "Die Seele der Beschäftigten muss Teil des Unternehmens werden,... statt Aufgaben und Abläufen werden die Subjektivitäten selbst bestimmt und vorgezeichnet" (Negri u.a. 1998, 41f., vgl. auch Bröckling u.a. 2000). In der Figur des neuen "Arbeitskraft-Unternehmers" nimmt dieses Verhältnis seine aktuelle Gestalt an.

Die Durchsetzung des neuen Akkumulationsregimes ist schließlich von einer bedeutsame Veränderung des Raum-Zeit-Verhältnisses begleitet. Jede historische Formation des Kapitalismus hat ihre spezifischen raumzeitlichen Koordinaten (Alnasseri u.a. 2001). Der Fordismus war durch eine starke Homogenisierung von Raum und Zeit im nationalstaatlichen Rahmen gekennzeichnet. Vor allem die Beschleunigung von Informationen in globalen Netzwerken führt im Kontext komplexer ökonomischer Zentralisierungs- und Dezentralisierungsprozesse zu neuen räumlichen Hierarchien und Koordinaten. Ökonomische, politische und sozio-kulturelle Sphären differenzieren sich jenseits nationalstaatlicher Zusammenhänge aus. Es entwickeln sich ökonomische Ballungszentren innerhalb und quer zu den nationalstaatlichen Grenzen, die geographischen Unterschiede zwischen "erster" und "dritter" Welt verfließen. Die räumliche Dezentralisierung produktiver und administrativer Tätigkeiten verbindet sich mit einer Zentralisierung von Steuerungs- und Kontrollfunktionen, die sich z.B. in Gestalt der sich zu eigenen Netzwerken verflechtenden "global cities" manifestiert. In je spezifischer Weise führen grenzüberschreitende Kapital - und Migrationsströme zu einer "Entnationalisierung" der raum-zeitlichen Koordinatensystems (Zürn 1998, Albert, 1998, Jessop 1997, Hirsch 2000, Sassen 1996, 1999a,b). Während dadurch die einzelstaatlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionsspielräume eingeschränkt werden, erhält die Frage der Zugehörigkeit zu ökonomischen und staatlichen Räumen eine erhöhte Brisanz. Das heißt, dass die Grenzen im Zuge des Globalisierungsprozesses nicht verschwinden, sondern neu definiert und konfiguriert werden.

Die Verdichtung der Kommunikationsnetze und die Entstehung eines globalen Finanzmarkts führen zu einer weltumspannenden Homogenisierung der Zeit. Die wichtigsten Zeitzonen werden heute im wesentlichen von den Börsen in Tokyo, Frankfurt, London und New York markiert. Zugleich kontrastiert der beschleunigte Zeitrhythmus der online verbundenen Metropolenzentren immer stärker mit dem peripherer ökonomischer und sozialer Regionen. Während aber das Finanzkapital in ständig kürzeren Zeitrhythmen zirkuliert und in gewissem Sinne "ortlos" wird, nimmt gerade durch die technologische Entwicklung die Abhängigkeit produktiver Investitionen von ihrer "Einbettbarkeit" in spezifische gesellschaftliche, kulturelle und infrastrukturelle Milieubedingungen eher zu. Diese sind in spezifischer Weise ortsgebunden und entwickeln sich in ganz anderen Zeitdimensionen (Jessop 2000a,b). Insgesamt ergibt sich daraus, dass die Regulation komplexer Raum-Zeit-Verhältnisse zu einem immer wichtigeren Problem wird.  

3. Die Konfliktstruktur des postfordistischen Akkumulationsregimes

Während der Fordismus tendenziell durch eine übergreifende Institutionalisierung des Klassenkonflikts und eine sozialintegrative Politik im nationalstaatlichen Rahmen gekennzeichnet war, ist das neue Akkumulationsregime durch die Erosion zentralkorporativer Strukturen, starke Tendenzen zur Heterogenisierung und Spaltung der Lohnabhängigen und die Existenz einer strukturellen Überschussbevölkerung geprägt. Die im Lohn- und Arbeitsverhältnis begründete politisch-sozialen Konfliktachse wird dadurch differenzierter und entwickelt sich noch stärker entlang qualifikationsmäßiger, rassistisch-nationalistischer und in spezifisch neuen Formen auch geschlechtlicher Differenzen. Dieser Heterogenisierungs- und Spaltungsprozess wird durch Flucht und Migration erheblich vorangetrieben und deren Steuerung wird zu einem immer wichtigeren Feld sozialer Auseinandersetzungen. Schließlich machen umfassende Rationalisierungsprozesse und die damit verbundene Erzeugung einer Überschussbevölkerung im Kontext der zugunsten des Kapitals verschobenen sozialen Kräfteverhältnisse den "Umbau" des Sozialstaats – gekennzeichnet durch selektiven Abbau und Privatisierung – zu einem zentralen gesellschaftlichen Konfliktfeld, das seine Brisanz nicht zuletzt durch die Kommodifizierung von Körper und Gesundheit durch die neuen "life industries" erhält. In diesem Rahmen spitzt sich nicht nur der Generationen-, sondern in spezifischer Weise auch der Geschlechterkonflikt zu.

Die globale Deregulierung der Finanzmärkte und der Zusammenbruch der fordistischen Regulierung des Geldes haben erhebliche weltwirtschaftliche Instabilitäten und Krisen mit sich gebracht. Damit wird die (Re-) Regulierung der Geld-, Kapital und Finanzmärkte zu einem zentralen Problem. Dieses wird dadurch akzentuiert, dass die Deregulierung sowohl Grundlage des postfordistischen Akkumulationsregimes ist als auch im Interesse der gerade unter diesen Bedingungen mächtig gewordenen transnationalen Konzerne liegt. Es geht also darum, einen möglichst "freien" weltumspannenden Kapital- und Finanzmarkt zu erhalten bzw. weiter durchzusetzen und zugleich Vorkehrungen zu finden, die eine gewisse Prävention und Abfederung von Krisen erlauben. Angesichts der strukturellen Überproduktion, im postfordistischen Akkumulationsregime besonders ausgeprägt ist, geht es darum, Mechanismen einer kontrollierten Form der Kapitalentwertung zu schaffen, d.h. die durch wachsende Spekulationen und Kapitalfehlleitungen erwachsenden Risiken kontrollierbar zu halten. Ein ähnlicher Widerspruch kennzeichnet das Konkurrenzverhältnis. Während dieses durch Deregulierungen und Privatisierungen intensiviert wird, erzwingen zugleich die damit verbundenen Monopolisierungstendenzen - z.B. im Telekommunikations- und Energiesektor - verstärkte regulatorische Eingriffe nicht nur auf einzelstaatlicher, sondern zunehmend auch auf internationaler Ebene.

Ein gegenüber der fordistischen Formation einigermaßen neuer Widerspruchskomplex resultiert aus der postfordistischen Tendenz zu einer fortschreitenden Kommodifizierung von Natur und Wissen. Daraus erwachsen nicht nur erhebliche politische Konflikte, z.B. bei den Auseinandersetzungen um die Bio- und Gentechnologie, sondern es entsteht auch das Problem, dass die Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen für Wissensproduktion und die Kommodifizierung von Wissen als "geistiges Eigentumsrecht" unter dem Druck des internationalen Wettlaufs um "technologische Renten" permanent vorangetrieben wird. Während verwertungsrelevantes Wissen immer stärker in komplexen gesellschaftlichen Systemen erzeugt wird, wächst zugleich das Bestreben zu dessen Privatisierung und Monopolisierung in der Hand einzelner Unternehmen. Damit verschärft sich auch auf dieser Ebene der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung (Jessop 2000b). Ähnliches gilt für den Bereich der Arbeitskraftqualifikation: aus der tendenziellen Privatisierung und Deregulierung des Bildungsbereichs resultiert eine verstärkte Stratifizierung und Hierarchisierung der Qualifikationen entsprechend der neuen Zusammensetzung der Arbeitskraft. Diese steht aber im Widerspruch zu der Notwendigkeit, breitere Grundqualifikationen als Innovations- und Arbeitskraftreserve zu erhalten.

Die Handhabung all dieser Widersprüche wird entscheidend von der veränderten Raum- und Zeitmatrix des Postfordismus bestimmt. Die neoliberale Globalisierungsstrategie hat die einzelstaatlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Spielräume eingeschränkt und macht die Gesellschaften sozialräumlich heterogener, beläßt den Staaten aber die Aufgabe der Organisierung sozialer Kompromisse und der Gewährleistung der gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sich verstärkende ökonomisch-soziale Ungleichheiten sorgen für ein wachsendes politisch-soziales Konfliktpotential. Nach wie vor sind es die Staaten, denen die Schaffung der im weitesten Sinne infrastrukturellen Produktionsbedingungen (Wissenschafts- und Unternehmenskulturen, Innovationskomplexe usw.) obliegt. Gleichzeitig erfordert dies im Zuge fortschreitender ökonomischer Regionalisierung und "Glokalisierung" neue Formen sub- und internationaler Kooperation und Koordination. Damit verschärft sich der Widerspruch zwischen der prinzipiell kurzfristigen Orientierung des Finanzkapitals und den langen Zeithorizonten, die für die Entwicklung derartige komplexer infrastruktureller Komplexe erforderlich sind. Schließlich können die sich aus der Veränderung des Geld- und Konkurrenzverhältnisses sowie aus der Kommodifizierung von Natur und Wissen ergebenden Widersprüche zu einem immer größer werden Teil nur noch auf internationaler Ebene behandelt werden, während sich die dazu notwendige internationale Koordination und Kooperation an den widerstreitenden Interessen der einzelnen Staaten bricht.

Das postfordistische Geschlechterverhältnis wird zunächst einmal davon bestimmt, dass sich die für den Fordismus charakteristischen Strukturen und Tendenzen durchhalten oder noch verstärken: zunehmende Frauenlohnarbeit bei fortbestehenden Lohnungleichheiten, Kleinfamiliarisierung, Durchkapitalisierung und Kommodifizierung des Reproduktionsbereichs. Tendenziell rückläufige Reallöhne, aber auch gestiegene Emanzipationsansprüche erhöhen die Frauenerwerbstätigkeit und die damit verbundene Doppelbelastungen. Diese vergrößern sich durch die Privatisierung und den Abbau sozialstaatlicher Sicherungen. Gleichzeitig differenzieren sich die weiblichen Arbeitsverhältnisse erheblich aus: den schlechtbezahlten und unabgesicherten Arbeitsverhältnisse in der Dienstleistungsindustrie und im Bereich der persönlichen Dienste steht ein wachsender Bedarf an qualifizierter weiblicher Arbeitskraft gegenüber, der durchaus auch zu einer Ausweitung besser bezahlter Positionen führt. Die Polarisierung der weiblichen Arbeitsverhältnisse nimmt also zu, wobei die Arbeitsmigration Tendenzen zu einer rassistisch-geschlechtlichen Diskriminierung verstärkt. Dies gilt nicht zuletzt in globalem Maßstab. Während auf der einen Seite die Durchkapitalisierung des Reproduktionsbereichs voranschreitet (Automatisierung des Haushalts, Ausweitung bezahlter Dienstleistungen, industriell erzeugte Nahrungsmittel), weitet sich zugleich – vor allem in der kapitalistischen Peripherie – die vor allem auf Frauen ruhende Subsistenzproduktion aus (Sassen 1999a, 89ff.). Zwar betrifft die mit der Entformalisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse sowie der Ausdehnung der Subsistenzproduktion verbundene Tendenz zur "Hausfrauisierung" der Arbeit beide Geschlechter, die Frauen aber stärker. Der postfordistische Kapitalismus verändert jedoch nicht nur die geschlechtsspezifischen Arbeitsverhältnisse nachdrücklich. Mit der Entwicklung der Gen- und Biotechnologie, nicht zuletzt der Reproduktionstechnologie, wird das Geschlechterverhältnis in seinen Kernbestandteilen zum Gegenstand kapitalistischer Verwertungsstrategien und damit sozialer Konflikte.  

4. Die postfordistische Regulationsweise

Auch wenn sich eine neue Regulationsweise niemals als konsistentes "Projekt", sondern in einem widersprüchlichen und konfliktorischen Zusammenhang herausbildet und dies als prinzipiell unabgeschlossener Prozess zu verstehen ist, zeichnen sich inzwischen doch die Konturen der postfordistischen Regulationsweise deutlicher ab. Maßgebend für ihre Gestalt sind die durch die Krise der fordistischen Formation und die neoliberalen Restrukturierungsstrategien veränderten internationalen Dominanzstrukturen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die neuen kapitalistischen Verwertungsstrategien und die damit verbundenen Verschiebungen der sozialen Konfliktachsen. Einiges deutet darauf hin, dass es nicht zuletzt die in den kapitalistischen Metropolen in den neunziger Jahren an die Macht gekommenen "neuen" sozialdemokratischen Regierungen sind, die die Etablierung der neuen Regulationsweise vorantreiben.

Der postfordistische Restrukturierungsprozess kann keinesfalls als eine einfache "Freisetzung" ("disembedding") ökonomischer Prozesse und als schrankenlose Entfesselung der Marktkräfte verstanden werden. Dies ist eher eine neoliberale Propagandaformel denn gesellschaftliche Realität. Die mit "Globalisierung" bezeichnete Entwicklung hat zweifellos im internationalisierten Kapital einen wesentlichen Akteur, wurde aber sehr wesentlich durch die Politik von Staaten und Regierungen vorangetrieben. Was üblicherweise als "Deregulierung" bezeichnet wird, vollzieht sich deshalb von Anfang an im Kontext einer veränderten politischen Regulierung. Der "disembedding" - These liegt eine falsche Entgegensetzung von "Staat" und "Markt" zugrunde, die unberücksichtigt läßt, dass Marktprozesse immer politisch "eingebettet" sind und der Staat keine "außerökonomische" Instanz, sondern selbst ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses ist (Röttger 1997, Hirsch 2000)). Der als Globalisierung bezeichnete Prozess hat eher den Charakter eines staatlich und institutionell abgestützten "neoliberalen Konstitutionalismus" (Scherrer 2000). Entgegen der verbreiteten Annahme einer "Erosion" bzw. eines wesentlichen Bedeutungsverlusts des Nationalstaats bleibt dieser – als der Rahmen, in dem das kapitalistische Klassenverhältnis organisiert und der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährleistet wird – nach wie vor ein wichtiges institutionelles Zentrum der Regulation, verändert dabei allerdings seine Struktur, seine Funktionen und seinen Charakter. Die Frage nach der Existenz einer postfordistischen Regulationsweise kann sich daher nicht daran festmachen, ob es zu einer Re-Regulierung von Gesellschaft und Ökonomie praktisch nach fordistischem Muster kommt. Vielmehr geht es darum, ob sich die bestehenden Regulierungsformen zu einem relativ stabilen und beständigen – dabei natürlich widersprüchlichen und konflikthaften – System verbinden. Dies scheint der Fall zu sein.

Die postfordistische Regulationsweise weist folgende Merkmale auf:

- eine neue Form der internationalen Hegemonie, die durch ein komplexes Kooperations- und Konfliktverhältnis zwischen den Metropolenstaaten der "Triade" unter der Dominanz der USA bei klarer Unterordnung der Peripherie und Semiperipherie gekennzeichnet ist;

- eine neue Form der Konkurrenzregulation (anstelle der staatsinterventionistisch-monopolistischen des Fordismus) die sich mit der Durchkapitalisierung weiterer gesellschaftlicher Sphären und damit der Kommodifizierung insbesondere von Natur und Wissen verbindet;

- eine im Verhältnis zu der auf den nationalstaatlichen Raum konzentrierten fordistischen Regulationsweise starke räumliche Differenzierung und Internationalisierung der Regulierungssysteme;

- und schließlich eine erhebliche Transformation und Internationalisierung des "erweiterten Staats" durch die Ausbreitung staatlich-privater Netzwerke und public-private-partnerships nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene (Vgl. meinen Beitrag zur Internationalisierung des Staates in diesem Band).

Grundlegendes Merkmal der neuen Regulationsweise ist zunächst die Ablösung der "monopolistischen", d.h. staatsinterventionistisch-korporatistischen Regulierung des Fordismus durch eine Intensivierung der Markt- und Konkurrenzbeziehungen. Konkurrenzverhältnisse werden – durch Deregulierung und Privatisierung - staatlich durchgesetzt und eben dies erfordert neue Formen der Regulierung. Es handelt sich also keinesfalls um einen "Rückzug" des Staates, sondern um eine Interventionsform, die sich unmittelbarer an den einzelkapitalistischen Profitinteressen ("Angebotspolitik") orientiert und den Abbau von Sozial- und Arbeitsschutzbestimmungen im weitesten Sinne zu ihrer wesentlichen Komponente hat. Die Sozial- und Bildungspolitik zielt kaum mehr auf allgemeine Gleichheitsvorstellungen, sondern - im Rahmen kapitalverwertungssichernder Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen - auf Privatisierung , soziale Hierarchisierung, Spaltung und Konkurrenzmobilisierung ("workfare state"). Die Kontrolle der Arbeitskräftemigration – von Illegalisierung und Kriminalisierung bis zu selektiver Steuerung z.B. mittels der "Green Card" – ist ein zentraler Bestandteil dieser neuen Regulierungsform. Konkurrenz, verbunden mit rassistischen und sexistischen Diskriminierungen, wird damit zu einem zentralen Element der Regulierung des Lohnverhältnisses. Die Verschärfung des Unternehmenswettbewerbs beinhaltet allerdings den Widerspruch, zugleich die Konzentrationstendenzen zu verstärken. Damit unterliegen die Staaten einem wachsenden Druck zu einer die Interessen unterschiedlicher Kapitalgruppen berücksichtigenden Regulierung der Monopolisierungsprozesse auch auf internationaler Ebene. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist der Fall US-Regierung gegen Microsoft. Die Konkurrenzregulierung verbindet sich deshalb mit einer wachsenden Bedeutung herkömmlicher und der Schaffung neuer Formen der Monopolkontrolle (z.B. die Regulierungsbehörden im Telekommunikationsbereich, Internationalisierung der Monopolkontrolle im Bereich der EU). Insgesamt wirkt die Intensivierung der Konkurrenz auf globaler Ebene auf die Staaten und das Staatensystem in Form ihrer Transformation vom keynesianischen "Sicherheits-" zum "nationalen Wettbewerbsstaat" zurück.

Eine wichtige Funktion des Staates im Rahmen der neuen Kapitalverwertungsstrategie liegt in der Schaffung der rechtlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen für die Durchkapitalisierung neuer gesellschaftlicher Bereiche, insbesondere der Kommodifizierung von Naturressourcen und Wissen. Die Inwertsetzung von Naturressourcen setzt ebenso wie die Privatisierung von Wissen die Entwicklung neuer Rechtsinstrumente voraus (geistige Eigentumsrechte, Ausweitung des Patentrechts z.B. auf natürliche Organismen), was aber zugleich den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung verschärft und damit erhebliche Probleme für das gesellschaftliche Innovationspotential insgesamt aufwirft (Jessop 2000b, Rifkin 2000). Zugleich verstärkt sich der gesellschaftliche Widerstand gegen neue Technologien und ihre Aneignungs- und Verwendungsweise, nicht zuletzt im Bereich der Bio- und Gentechnologie. Die Form der Institutionalisierung und die Handhabung der Auseinandersetzungen zwischen Verbraucher- und Ökologiegruppen, der Industrie sowie der Umwelt-, Gesundheits- und Patentbehörden bildet somit einen zentralen Bestandteil der postfordistischen Regulationsweise. Auch sie verlagern sich immer stärker auf die internationale Ebene, deutlich z.B. an den Konflikten um das TRIPS-Abkommen im Rahmen der WTO.

Die postfordistische Regulationsweise ist damit sowohl durch neue Akteurskonstellationen als auch durch eine starke Internationalisierung gekennzeichnet. Die neuen Akteurskonstellationen werden in der Politikwissenschaft mit dem Begriff des "verhandelnden Staats" belegt, was die Tatsache beschreibt, dass politische Prozesse tendenziell immer weniger durch legislative Entscheidung und administrative Steuerung auf einzelstaatlicher Ebene, sondern zunehmend im Wege von Verhandlungen zwischen Regierungen, internationalen Organisationen, Unternehmen und auch "Nichtregierungsorganisationen" durchgesetzt werden (Candeias 2000, Zürn 1998, Messner 1997, Kohler-Koch 1993, Scharpf 1996). Nun ist zwar der "verhandelnde Staat" keine so neue Erscheinung, wie es die wissenschaftliche Debatte suggeriert (man denke nur an die ausgebauten Verhandlungsstrukturen des fordistischen Korporatismus), doch erfährt er im Zuge der Durchsetzung des postfordistischen Akkumulationsregimes eine besondere Akzentuierung. Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass – nicht zuletzt in Gestalt der international operierenden und damit sich staatsinterventionistischer Regulierung leichter entziehenden Konzerne – mächtige und höchst potente Akteure auf den Plan getreten sind. Auch die veränderte Bedeutung von Wissen spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Mobilisierung wissenschaftlicher Expertise ist eine zunehmend bedeutungsvoller werdende Grundlage für den Einfluss von "Nichtregierungsorganisationen" vor allem auf internationaler Ebene (vgl. dazu Brand 2000, Brand u.a. 2001). Maßgebend für diese Entwicklung ist jedoch vor allem, dass die staatliche Politik sich im Kontext "systemischer Rationalisierung" und "nationaler Wettbewerbsfähigkeit" unmittelbarer mit Unternehmensinteressen identifiziert und auf diese Weise "weniger als steuernde oder gar entgegensteuernde Kraft, sondern vielmehr als treibende, mit der ökonomischen Entwicklungsdynamik gleichgerichtete Kraft" agiert (Candeias 2000, 357). Damit ist die Grundlage für ein prinzipiell kooperatives Verhältnis zwischen Staaten und Unternehmen gelegt. Dies äußert sich in Form einer angebotsorientierten "Standortpolitik", die die Mobilisierung einer Vielzahl ökonomisch-technischer und sozio-kultureller Ressourcen zum Ziel hat und was durch die traditionellen Formen legislativer und administrativer Steuerung kaum zu bewerkstelligen ist, sondern eben eine kooperative Koordination mit einer Vielzahl "privater" Akteure erzwingt. Grundsätzlich ist der neue Regulationsmodus damit sehr stark durch öffentlich-private Interaktions- und Verhandlungsstrukturen und "pubilic-private partnerships", d.h. eine wesentliche Verschiebung von "Öffentlich" und "Privat" und damit durch eine grundlegende Neukonfiguration des "erweiterten Staats" gekennzeichnet.

Die Ausbreitung internationaler regulativer Instanzen ist nicht allein auf die Zunahme grenzüberschreitender Probleme – z.B. bei der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte oder in der Umweltpolitik – zurückzuführen. Darin drücken sich vor allem auch die für den Postfordismus bestimmenden internationalen Dominanz- und Abhängigkeitsverhälnisse – die beherrschende Position der in einer komplexen Kooperations- und Konkurrenzbeziehung stehenden Triademetropolen – aus. Insbesondere die dominierenden Metropolenstaaten sind in der Lage gewesen, die durch die Globalisierung bewirkte Verringerung einzelstaatlicher makroökonomischer Steuerungsspielräume durch die Schaffung internationaler Regulierungs- und Kooperationsnetzerke (von der WTO bis zu den G7-Treffen) zu kompensieren. Dies führt dazu, dass ein relativ dichtes System internationaler Regulation entstanden ist, in dessen Rahmen das für den "verhandelnden Staat" charakteristische Mit- und Gegeneinander von Staaten, multinationalen Unternehmungen und zuweilen auch Nichtregierungsorganisationen in mehr oder weniger formalisierter Weise institutionalisiert ist. Gerade auf dem Gebiet der im allgemeinen als Musterbeispiel neoliberaler "disembedding"-Tendenzen zitierten Finanzmärke gibt es durchaus ein flexibles Regulierungsnetzwerk, "das private Selbstregulierung mit stetiger Überwachung und Evaluation durch den Nationalstaat koppelt und diese interaktive Beziehung in internationale, jetzt pluralistische Netzwerke der Abstimmung einbettet" ( Lütz 2000, 77). Dies macht deutlich, dass die häufig gestellte Forderung nach einer Re-Regulierung der angeblich "entbetteten" Finanzmärkte etwas an der Sache vorbei geht. Die Frage ist eher, in wessen Interesse und im Rahmen welcher Kräfteverhältnisse reguliert wird. Dass die - im G 7–Komplex von Finanzministerien, Zentralbanken und internationalen Organisationen - institutionalisierte Kooperation eher informell und schwach ausgebildet ist, hat einen wesentlichen Grund darin, dass die Regierung der USA, die neben Großbritannien der wichtigste Standort der Finanzkapitals sind , vorrangig dessen Interessen vertreten (Dieter 2000). Tatsächlich gibt es jedoch faktisch - in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wie auch in der Umweltpolitik - ein durchaus funktionsfähiges System von "Global Governance". Allerdings hat dieses weniger mit demokratischer Gestaltung zu tun, sondern ist im Sinne des "neoliberalen Konstitutionalismus" vor allem darauf angelegt, private Eigentumsrechte und die Interessen der multinationalen Konzerne und den globalen Kapitalverwertungsprozess rechtlich und institutionell abzusichern (Gill 1993, Scherrer 2000). Dies führt dazu, dass auch die "starken" Staaten der Triademetropolen zwar in institutionelle Regelungsnetzwerke und "Regimes" eingebunden werden. Sie gewinnen aber dadurch zugleich neue Handlungsspielräume vor allem zu Lasten der kapitalistischen Peripherie (vgl. dazu Hein 1998, der aber gerade diese Machtstruktur der "neuen Weltordnung" mit ihren Konsequenzen übersieht).

Mit dieser Internationalisierung der Regulation verbindet sich eine tiefgreifende Veränderung des Rechtssystems, die einerseits durch die zunehmende Vorherrschaft des angelsächsischen Rechts gegenüber anderen nationalen Rechtsordnungen, andererseits durch starke Tendenzen zur "Entstaatlichung" gekennzeichnet ist. Im Kontext komplexer staatlich-privater "Verhandlungssysteme" gewinnt private Rechtsetzung und -durchsetzung insgesamt an Bedeutung. An die Stelle von staatlich gesetzem Recht tritt immer stärker der ausgehandelte Vertrag, private Standardisierungs- und Regulierungsagenturen (z.B. in Form der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, ICANN), private Schiedsgerichte und private Akteure mit faktisch rechts- und normsetzender Kompetenz (z.B. Rating-Firmen) gewinnen an Bedeutung (Sassen 1996, 1999b, Visman, 2000, Lütz 2000). Dies bedeutet allerdings keine einfache Privatisierung des Rechts, weil die Staaten im Prinzip weitgehende Überwachungs-, Kontroll- und Eingriffskompetenzen behalten. Die Entwicklung des Rechts wird aber inhaltlich und prozedural immer stärker von komplexen staatlich-privaten Regulierungs- und Verhandlungskomplexen bestimmt.

Das postfordistische Regulationssystem wird schließlich in besonderer Weise durch die neuen raum-zeitlichen Hierachien und Koordinaten charakterisiert. Sub- und supranationale Regionalisierung, d.h. die zunehmende Bedeutung regionaler Wirtschaftsblöcke sowie subnationaler Regionen und "Global Cities" führen einer starken räumlichen Differenzierung von Regulationszusammenhängen, wodurch der nationalstaatliche Raum insgesamt seine zentrale Stellung verliert. Die "Konkurrenz der Standorte" betrifft nicht mehr nur Staaten, sondern auch Städte und Regionen, die gezwungen sind, eigene Regulationsmuster zu entwickeln (Candeias 2000). Dadurch, verbunden mit international wachsenden sozioökonomischen Ungleichheiten, wird die Koordination der räumlich-sozial differenzierten Regulierungssysteme zu einer wichtigen Moment der postfordistischen Regulation. In Abwesenheit eines Weltstaates ist sie Gegenstand eines komplexen Steuerungs- und Verhandlungszusammenhangs zwischen supranationalen Blockbildungen, Staaten, Regionen, Kommunen und privaten Akteuren innerhalb eines politischen "Mehrebenensystems" (Jessop 2000a, Candeias 2000, zur Rolle von Nichtregierungsorganisationen dabei vgl. Brand 2000, Hirsch 2001a,b, Brand u.a. 2001).

In diesem Zusammenhang spielt der postfordistische Typus des "nationalen Wettbewerbsstaats", der nicht nur die Nationalstaaten, sondern in spezifischer Weise auch Städte und Regionen charakterisiert, eine wesentliche Rolle (Hirsch 1995). Ihm obliegt nicht zuletzt die Aufgabe, im Rahmen der für das internationale "Mehrebenensystem" charakteristischen komplexen Steuerungs- und Verhandlungszusammenhänge den Widerspruch zu bearbeiten, der dadurch entsteht, dass das raum-zeitlich hoch flexible und mobile Kapital zu seiner Verwertung spezifische, komplexe und in ganz anderen Zeitdimensionen sich entwickelnde ökonomische und soziokulturelle Raume benötigt, diese aber zugleich immer stärker zu zerstören tendiert (Jessop 2000a,b, Candeias 2000, Sassen 1999a,b, Boyer/Hollingsworth 1997). Der auf der Verwertungsebene stark "entterritorialiserte" Akkumulationsprozess hat zugleich räumlich differenzierte Formen sozio-kultureller "Territorialisierung" zu seiner Voraussetzung, ein Zusammenhang, der öfters mit dem Begriff der "Glokalisierung" bezeichnet wird. D.h. es müssen ökonomische und sozio-kulturelle Räume geschaffen werden, ohne die auch das international hochmobile Kapital sich nicht verwerten kann. Wenn man so will, besteht eine wesentliche regulative Funktion des "nationalen Wettbewerbsstaates" darin, den Gegensatz zwischen den zunehmend kurzfristigen Interessen der Einzelkapitale und den gesamtkapitalistischen Verwertungsbedingungen vor allem in dieser Dimension zu vermitteln. Insofern ist die "Denationalisierung" der Staaten, d.h. ihre Entkoppelung von nationalen Gesellschaften im Kontext internationalisierter Akteurs- und Regulierungszusammenhänge (Zürn 1998, Sassen 1999b) zwar eine wichtige, aber keinesfalls lineare, sondern höchst widersprüchliche Tendenz.  

5. Postfordistische Hegemonie und Regierungsweise

Die Stabilität des Postfordismus ist nicht allein an die Entwicklung institutioneller Regulationsmechanismen gebunden, sondern hängt von der Herausbildung einer Hegemonie ab, die das Bewußtsein, die Wahrnehmung und das Verhalten der gesellschaftlichen Akteure prägt und damit über alle Konflikte hinweg den gesellschaftlichen Zusammenhang stützt. Es bedarf also eines gesellschaftlichen Entwicklungsprojekts, das die relevanten Gruppen und Klassen in einem übergreifenden Konsens zusammenbindet. Die Durchsetzung eines derartigen hegemonialen Projekts kann nicht allein auf das bewußte Handeln einzelner Akteure zurückgeführt werden, sondern ist das Produkt politisch-ideologischer Kämpfe, deren Ergebnisse sich in einem verallgemeinerten Verständnis von Individuum, Gesellschaft und Geschichte verdichten. Dabei greift die Kennzeichnung der postfordistischen Hegemonie als "neoliberal" zu kurz, oder sie ist zumindest zu eindimensional und zu plakativ, um der Komplexität dieses Verhältnisses gerecht zu werden. Tatsächlich ist "Neoliberalismus" eher eine Kampfideologie den ein konsistentes Gesellschaftsprojekt. In die postfordistische Hegemonie sind – deutlich z.B. an den Diskursen über ökologische Modernisierung oder zur Modernisierung des Patriarchats – durchaus auch Elemente der linksalternativen Kritik am Fordismus eingeflossen. Was sich faktisch durchsetzt, ist ein komplexes Gemisch von neoliberalen, neokonservativen und neosozialdemokratischen-ökologischen Mustern gesellschaftlicher Regulierung.

Hegemoniale Strukturen entwickeln sich immer im Kontext internationaler Dominanz- und Kräfteverhältnisse. War für die Herausbildung des Fordismus der Systemgegensatz zwischen Ost und West grundlegend, so wird die postfordistische Hegemonialstruktur entscheidend vom Zusammenbruch des staatssozialistischen Systems und durch die im Zuge der neoliberalen Restrukturierung wiedergewonnene Dominanz der USA bestimmt, die diesen nicht nur eine einzigartige ökonomische und militärische Machtposition, sondern erneut auch "ideologische Führung" im Sinne der Durchsetzung eines paradigmatischen Gesellschaftsmodells verleiht. Nicht nur der Fordismus, sondern auch der Postfordismus ist – in politisch und ideologisch veränderter Form – wesentlich "Amerikanismus" (zu einer wesentlichen Basis dieser Hegemonie, dem kalifornischen medien- und rüstungsindustriellen Komplex vgl. Hozik 1999). "Amerikanismus" ist allerdings nicht in den herkömmlichen nationalstaatlichen Kategorien zu verstehen. Der Begriff bezeichnet vielmehr einen Komplex technologischer, gesellschaftsstruktureller und kulturelle Muster, die wesentlich in den USA durchgesetzt worden sind, sich aber nun im globalen Maßstab, z.B. im Kontext transnationaler Medienindustrien reproduzieren und weiterentwickeln (vgl. dazu auch Poulantzas in diesem Band). Während der Fordismus – als Folge der revolutionären Prozesse und Krisen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - in gewissem Sinne eine historische Defensivphase des Kapitals markiert, ist die postfordistische Hegemonie dadurch geprägt, dass es zum Kapitalismus keine Alternative mehr zu geben scheint. Sie beruht ganz wesentlich auf der Überzeugung, das der kapitalistische Vergesellschaftungsmodus – die "Unternehmergesellschaft" – nicht nur unveränderlich, sondern auch Grundlage von gesellschaftlicher Entwicklung und von Fortschritt sei.

Wie schon Gramsci ausgeführt hat, entsteht Hegemonie im komplexen Zusammenhang von "Staat" und "Zivilgesellschaft". Die Zivilgesellschaft ist das bevorzugte Terrain, auf dem Hegemonie entsteht, entprechende Kämpfe ausgetragen werden und auf dem sich auch gegenhegemoniale Konzepte entwickeln können. Die herrschende Hegemonie materialisiert und kondensiert sich in den staatlichen Institutionen und wird zu legitimatorischen Grundlage legislativer und administrativer Entscheidungen. Nun haben sich die Struktur der Zivilgesellschaft und das Verhältnis von "Staat" und "Gesellschaft", damit auch die materiellen Bedingungen der Hegemonieentwicklung im Übergang zum Postfordismus entscheidend verändert. Diese Entwicklung bezieht sich vor allem auf die Ökonomisierung und Kommerzialisierung sozialer Beziehungen im Zuge einer tendenziell immer weitere Lebensbereiche umgreifenden Durchsetzung von Markt- und Konkurrenzmechanismen, den mit der Etablierung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien verbundenen Strukturwandel von Öffentlichkeit sowie die mit dem Übergang zum "verhandelnden Staat" einhergehende Veränderungen des Verhältnisses von "Staat" und "Gesellschaft".

Information und Öffentlichkeit werden - vermittelt durch die kapitalistisch organisierte Medien- und Kommunikationsindustrie - in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zur Ware. Die mediale Landschaft wird immer stärker von internationalen Konzernen, Content Providern und Content Brokern beherrscht. Je stärker im Zuge von marktgesteuerter "Flexibilisierung" und "Individualisierung" traditionsvermittelte kollektive Erfahrungszusammenhänge erodieren und die Einbeziehung in weltumspannende technische Informations- und Kommunikationsnetze unmittelbare soziale Praxis ersetzt, desto mehr sind es die medialen Produkte selbst, die als Wirklichkeit erscheinen. Diese werden nach den Prinzipien des quoten- und werbeträchtigen Unterhaltungswerts entworfen und präsentiert. Die Folge ist, dass öffentlich wahrgenommene Ereignisse immer stärker Reaktionen auf mediale Inszenierungen sind, die immer neue Inszenierungen nach sich ziehen. Was in die Marketingstrategien der warenkonsumierenden "Erlebnisgesellschaft" nicht passt, wird ausgeblendet. Diese Entwicklung prägt nicht nur das Feld der Massenkommunikation, sondern überformt im Zuge fortschreitender Kommodifizierung fast alle Lebensbereiche. "Die vernetzte Wirtschaft bewirkt, dass immer mehr Erfahrungen und Erlebnisse der Menschen zur Ware werden. Geschäftsnetzwerke aller Art ... reduzieren jeden Augenblick gelebter Erfahrung auf den Status einer Ware... In der Wirtschaft des Cyberspace ist das Zur-Ware-Machen von menschlichen Beziehungen wichtiger als das von Gütern und Dienstleistungen. Wer in der beschleunigten, sich ständig ändernden Wirtschaft die Aufmerksamkeit von Kunden und Konsumenten erhalten möchte, muss so viel ihrer Zeit wie möglich kontrollieren. Im Übergang von diskreten, in Zeit und Raum begrenzten Markttransaktionen zu warenförmig gewordenen Beziehungen, die sich zeitlich unbegrenzt ausbreiten, fängt die neue kommerzielle Sphäre immer mehr Bereiche des täglichen Lebens ein und hält die Menschen kurz" (Rifkin 2000, 131, vgl. auch Comor 1999, 124ff.).

Dieser Prozess formt nicht nur die Wahrnehmung der Einzelnen, sondern prägt auch immer deutlicher die Thematik der über den Parteien-Medien-Komplex vermittelten politischen Diskurse. Die Folge ist eine Privatisierung der Politik bei gleichzeitiger Veröfffentlichung des Privaten. Je mehr Privates öffentlich zelebriert wird, desto verschwinden politische Zusammenhänge und Entscheidungen in den verborgenen Sphären des "verhandelnden Staats". Was ein Politiker anzieht und wie er aussieht, entscheidet über seine "Glaubwürdigkeit" und damit, relativ unabhängig von dem, was er tut, über Wahlerfolge. Die Intimität des Privaten wird zum Gegenstand öffentlicher Unterhaltung (charakteristisch dafür ist das "Big Brother"-Syndrom und die Hochkonjunktur der TV-Reality Shows. Vgl. dazu Hozik, 1999, 299ff., Narr/Schubert 1994, 219ff.). Dass banale Alltagspraxis und Alltagsbewusstsein öffentlich dominant werden, verweist allerdings kaum auf eine Demokratisierung von Öffentlichkeit. Es geht nicht um die reflexive Konfrontation und die gesellschaftliche Aufarbeitung subjektiver Erfahrung, sondern eben um die Vermarktung der Produkte von Werbestrategen. Soziale Milieus, Lebenswelten, Orientierungen und Sinngehalte werden, z.B. in Form von Shopping Malls und Erlebnisparks, industriell produziert (Hozik 1999, Sklair 1997, 514ff., Rifkin 2000, 195ff.). Kulturelle Normen und Werte nehmen die Gestalt von Waren an und diese symbolisieren Lebensstile und Bewusstseinslagen (Rifkin 2000,230ff.). Insofern in diesem Sinne "Kultur" zu einem verallgemeinerten industriellen Produkt wird, kann auch nicht mehr von einer spezifischen "Kulturindustrie" gesprochen werden. Diese nimmt gewissermaßen universellen Charakter an. Die Industrie insgesamt wird – z.B. auch durch Sponsoring - zur "Kulturindustrie". Die "Informationsgesellschaft" besteht mithin in hohem Maße aus simulierten Welten, die gegenüber der realen die Eigenschaft besitzen, scheinbar überschaubar, begreifbar und handhabbar zu sein (Hozik 1999, 303). Je mehr diese Kommerzialisierung und Privatisierung von Öffentlichkeit voranschreitet, desto nachhaltiger verbirgt sie reale Interessen- und Machtverhältnisse.

Folge dieser Entwicklung ist – verbunden mit den herrschenden Tendenzen von Privatisierung und Konkurrenzmobilisierung - eine zum sich greifende Ökonomisierung von Zivilgesellschaft und Staat (Lemke 1997, Negri/Hardt 1997, 70ff., Bröckling u.a. 2000)). Damit wird der Gegensatz zwischen diesen beiden Sphären, der für die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft und für die liberale Demokratie grundlegend war, eingeebnet. Ein Beispiel dafür sind die laufenden Versuche zu einer konkurrenz- und marktförmigen Umstrukturierung des Hochschulsystems. Während die Differenz zwischen "Öffentlich" und "Privat" etwa in Gestalt neuer "Verhandlungssysteme" und "public-private-partnerships" erodiert, schreitet nicht zuletzt im Zuge eines deregulierenden Umbaus des Sozialstaats die Ökonomisierung sozialer Beziehungen voran. Die Zivilgesellschaft als Feld relativ eigenständig konstituierter politischen Organisationsformen und Praxen löst sich damit tendenziell in der Ökonomie auf. In der traditionellen politischen Theorie bezog sich der Begriff der Zivilgesellschaft auf einen von der Ökonomie relativ unabhängigen Bereich politischer Selbstorganisation und unterschied sich insofern von der "bürgerlichen" Gesellschaft. Die Wirklichkeit hat dieser Vorstellung noch nie entsprochen, doch heute scheint diese Unterscheidung und mit ihr die klassische Figur des "Citoyens" vollends zu verschwimmen. Für Gramsci ging zwar die Hegemonie von der Fabrik aus, wurde aber in der ebenso verstandenen "societá civile" entwickelt und geformt. Auch diese Annahme entspricht nicht mehr der Realität: die "Fabrik" hat sich im Zuge der warenförmigen Industrialisierung sozialer Beziehungen sozusagen verallgemeinert.

Diese Entwicklung geht einher mit einem Bedeutungsverlust traditioneller politisch-intellektueller Eliten zugunsten von Marketingspezialisten und Medienfunktionären (Rifkin 2000, 244ff.). Politische Intellektuelle werden zur Staffage von talk shows und unterwerfen sich damit den Mechanismen der Medienindustrie. "Nicht die Priester oder Propheten der alten und neuen Religionen, nicht die Propagandisten politischer Ideologien, nicht militärische Führer oder wissenschaftliche Autoritäten, sondern die Spezialisten für Marketing und betriebliche Reorganisation liefern das Orientierungswissen und die Verhaltenslehren, die dazu befähigen sollen, sich unter den Imperativen des Marktes zu behaupten" (Bröckling 2000). Praktisch bedeutet die Entwicklung zur "Informationsgesellschaft" eine sich verstärkende Ungleichheit. Ein Sichzurechtfinden in der ansteigenden Informationsflut, die Bewertung von Bedeutungen und das Herstellen von Zusammenhängen ist mit zeitlichen und materiellen Aufwendungen verbunden, die sich nicht viele leisten können. Die "Informationsgesellschaft" teilt sich dadurch immer stärker in informationelle "haves" und die Masse der "have nots" auf (Comor 1999). Diese Entwicklung verbindet sich mit der Transformation von Verbänden und Gewerkschaften zu Dienstleistungsagenturen, der Parteien zu eng mit der Kommunikationsindustrie verflochtenen medialen Apparaten oder der Universitäten zu Produzenten von Forschungs- und Ausbildungswaren.

Damit gehen erhebliche Veränderungen im Charakter von gesellschaftlicher Subjektivität einher. Der oder die UnternehmerIn, das sich selbst gestaltende, autonome, auf kollektive Sicherungen verzichtende und risikobereite Subjekt wird zur gesellschaftlichen Leitfigur. Marktverhalten durchdringt immer mehr Lebensbereiche. Das Individuum als "Unternehmer seiner selbst" gilt - nicht nur bei der Verwertung der eigenen Arbeitskraft - als Richtschnur für alle sozialen Beziehungen (Rose 2000a, Flecker 2000, Bröckling 2000). Die fordistische "Arbeitnehmergesellschaft" hat sich in eine "Unternehmergesellschaft" von Arbeitskraft- und Kleinunternehmern sowie mehr oder weniger (Schein)-Selbständigen transformiert. Gleichzeitig reduzieren sich Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung tendenziell auf Warenkonsum und die Bedienung technischer Apparaturen. Es ist nicht zuletzt die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie in ihrer kapitalistischen Form, die die Menschen zu Bestandteilen eines von Verwertungsinteressen gesteuerten Maschinensystems macht. So könnte Telefonsex als paradigmatisch für marktförmige Outsourcing-Strategien der neuen Unternehmersubjekte betrachtet werden. Die Welt erscheint als Maschinerie, die gesteigerte Qualifikation und Kreativität verlangt, zu vergrößerten Arbeitsleistungen anspornt und dabei die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf, zwischen Arbeit und Spiel fließender macht (Behrens 2000, Rifkin 2000, 250ff., vgl. dazu auch schon Marcuse 1979,19). Nach dem Motto "ich bin verbunden, also existiere ich" wird Subjektivität wird als Vernetztsein, als Zugang zu Websites, chatrooms und Internet-Portalen erlebt. Die Marx`sche Diagnose, mit der Industrialisierung werde der Mensch zum Anhängsel der Maschinerie, realisiert sich mit deren gesellschaftlicher Totalisierung noch umfassender. Man glaubt, die Welt zu beherrschen und sich selbst zu verwirklichen, indem man Apparate bedient. Es könnte sich allerdings gerade umgekehrt verhalten. Jedenfalls kettet die Vorstellung, in der technologischen Entwicklung und in der Expansion des technischen Apparatekomplexes liege die Möglichkeit zur Erfüllung aller Wünsche, die Menschen immer nachhaltiger an die bestehenden Zustände.

Damit entsteht eine grundlegend neue Regierungsweise als spezifische Kombination der Organisierung von "Zwang und Konsens", in der sich das postfordistische Hegemonialverhältnis sowohl ausdrückt als auch reproduziert. Grundlegend dafür ist das nach dem Scheitern nicht nur der staatssozialistischen, sondern auch der sozialdemokratisch-reformistischen Projekte spätestens in den neunziger Jahren allgemein gewordene Bewusstein, dass die Gesellschaft und ihre Entwicklung prinzipiell nur mit, aber nicht gegen das Kapital gestaltet werden kann. Folgende Merkmale sind für die neue Regierungsweise besonders charakteristisch:

(1) Der Übergang von der Disziplin- zur Selbstdisziplinierungs- und Kontrollgesellschaft, der in den Strukturen postfordistischer Subjektivität eine wesentliche Basis hat. Der gesellschaftliche Konsens und Zusammenhalt wird weniger durch bürokratische Disziplinierung, Unterwerfung, Moralisierung und repressive Drohung, sondern durch den Appell an Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung "unternehmerischer" Individuen im Rahmen der herrschenden Markt- und Konkurrenzmechanismen hergestellt. Der fordistische Diskurs des passiven, verwalteten Bürgers wird durch den des aktiven, selbstgestaltenden, "autonomen", d.h. sich selbst kontrollierenden abgelöst, der sich sozusagen aus Eigeninteresse und zwecks Erfüllung seiner unmittelbaren Bedürfnisse den herrschenden Verhältnissen unterwirft (Rose 2000a, 22ff., 2000b). Davon abweichendes Verhalten wird zum Objekt einer Kontrollstrategie, die nicht mehr auf die einzelnen Individuen, sondern auf "gefährliche" Räume und Milieus zielt. Die damit verbundene "Entgesellschaftlichung von Gesellschaft" wird, gestützt auf die Entwicklung der Bio- und Gentechnologien und deren Propagierung, durch die Biologisierung und Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse untermauert. Die Manipulierbarkeit von Körper, Gesundheit, Geschlecht und Alter wird zum beherrschenden gesellschaftlichen Fokus. Der Vormarsch biologischer, medizinischer und sportlicher Metaphern zur Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse ist bemerkenswert. Gesundheit gilt weniger als Ergebnis lebenswerter gesellschaftlicher Zustände, sondern als Produkt von Pharmazeutika, für die Konkurrenzgesellschaft fitmachender therapeutischer Dienstleistungen und gegebenenfalls geglückter Genmanipulationen oder der Verwertung biologischer Ersatzteillager (Rose 2000a,13ff.). Geschlechterdifferenzen und -ungleichheiten werden naturalisiert, soziale Ungleichheit zur Naturgegebenheit erklärt. Traditionelle Werte wie "Gleichheit" oder "Solidarität" haben weitgehend ausgedient. Persönliches Schicksal wird zur Frage des individuellen Durchsetzungsvermögens und eines kompetenten Umgangs mit einschlägigen Technologien. Existenz und Entwicklung der Menschen erscheinen nicht mehr so sehr als das Produkt sozialer Verhältnisse, sondern als naturhafter und damit auch naturwissenschaftlich-technisch beherrschbarer Sachzwang.

(2) Die Transformation des politischen Systems. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind die autoritäre Autonomisierung des Staates, die Veränderungen des Parteiensystems und die damit verbundene diskursive Medialisierung von Politik, die sich zu deutlichen Tendenzen einer Erosion liberaldemokratischer Institutionen und Prozesse verdichtet (vgl. dazu auch Poulantzas 1978, 214ff.). Mit den wettbewerbsstaatlichen Tendenzen zur Internationalisierung des Staates verbindet sich eine starke Entkoppelung von politischem System und gesellschaftlichen Interessen, die sich institutionell in der Dominanz der Finanzapparate (Zentralbanken, Finanzministerien) gegenüber repräsentativen und interessenvermittelnden Instanzen ausdrückt. Beherrschend wird damit ein Politikbegriff, der - im Unterschied zur neokonservativ propagierten "geistig-moralischen Wende" - technokratischen Pragmatismus im Sinne von Standortoptimierung zur Leitformel erhebt. Im herrschenden Verständnis geht es nicht mehr um "linke" oder "rechte", sondern um "gute", d.h. technisch effiziente und "schlechte" Politik. Dies verbindet sich mit der recht erfolgreichen Einbeziehung von Bewegungsthemen - ökologischer wie feministischer - in einen technokratischen Modernisierungsdiskurs, die in der Bundesrepublik nicht zuletzt durch die Regierungsübernahme durch SPD und GRÜNE und die damit verbundene Intellektuellenkooptation untermauert wurde. Unterfüttert wird dies mit der als "pensee unique" bezeichnete Sachzwangideologie, welche - von den einschlägigen Wissenschaften nachdrücklich propagiert - die mit "Globalisierung" bezeichnete Umstrukturierung von Gesellschaft, Ökonomie und Politik nicht als Machtstrategie begreift, sondern als entweder unvermeidlichen oder gar evolutionär zu begrüßenden Prozess bezeichnet.

Die politischen Parteien sind - konfrontiert mit einer gespaltenen, heterogenisierten und marktförmig "individualisierten" Gesellschaft und eingebunden in den informations- und kommunikationsindustriellen Komplex zu vorwiegend medialen Apparaten mit immer unspezifischerem Bezug zu gesellschaftlichen Interessenlagen geworden. Parteiförmige Politik unterwirft sich damit immer stärker den Funktionsmechanismen der Medienindustrie. Auf den Status sich pragmatisch und unideologisch gebender Wahlkampfmaschinen reduziert, gewinnen Personalisierungsstrategien, die Sicherung von Einschaltquoten und mediale Showeffekte - "Infotainment" eben - an Bedeutung. Daraus entsteht eine Praxis des diskursiven Inszenierung von Politik, deren Zusammenhang mit faktischen politischen Entscheidungen, deren Implikationen und Hintergründen immer stärker ausgeblendet wird. Dies verbindet sich mit der Herausbildung einer im Habitus und in den gesellschaftlichen Orientierungen einigermaßen uniformen "politischen Klasse", deren Interesse sich vorwiegend auf die Erhaltung der bestehenden politischen Strukturen als Basis von Macht, Karriere und materiellen Vorteilen richtet. Faktisch verengt sich der politische Repräsentationsmodus auf das gesellschaftliche Segment der gerne auch als "neue Mitte" bezeichneten "Modernisierungsgewinner". Unter Inkaufnahme abnehmender Wahlbeteiligung und institutioneller Partizipation lauft er auf eine Art von politisch-sozialer Apartheiddemokratie hinaus.

(3) Dies verbindet sich mit einer Legitimationsstrategie, die deutlich wohlfahrtschauvinistisch-populistische, rassistisch und nationalistisch konotierte Züge trägt. Diese erklärt - unbeschadet realer Ungleichheiten und Interessendivergenzen - die Sicherung der relativen Wohlstandsinsel und deren Ausbau zu einer gegen Arme, Migranten, Fundamentalisten, Kriminelle und Terroristen jedweder Couleur zum allgemeinen, soziale Klassen und Gruppen umgreifenden Interesse all derer, die wenigstens das Privileg metropolitaner Staatsbürgerschaft genießen. In diesem Zusammenhang gehört die kulturalistische Umdeutung rassistischer Stereotype ebenso wie die Durchsetzung eines Begriffs von Menschenrechten, der faktisch das Ensemble der metropolitanen Lebensweise (nicht zuletzt des Rechts freier Bürger auf freie Fahrt) einschließlich ihrer ökonomischen Grundlagen meint und tendenziell alle Menschen, Staaten und Regionen ausgrenzt, die sich dieser nicht fügen wollen oder können. Diese gefährliche Peripherie wird – entsprechend den metropolitanen Kontrollzonen – zum Objekt permanenter Überwachung und gegebenenfalls von "humanitären" Militärinterventionen, denen damit nicht nur eine erhebliche geostrategische Bedeutung im Interesse der "starken Staaten", sondern auch eine erhebliche legitimatorische Bedeutung bei der Stabilisierung des inneren Konsenses zukommt. Der wohlstandschauvinistische Diskurs untermauert das Bewusstsein, das zwar fast alle Opfer zu bringen haben und viele zu kurz kommen, aber immer noch besser fahren, wenn es gelingt, in Abgrenzung gegenüber den Verlierern des Globalisierungsprozesses wenigstens den nationalen Standort und die darin liegenden weltmarktkompatiblen Segmente für das Kapital attraktiv zu machen. Die Konjunktur des Rechtsextremismus fügt sich einigermaßen nahtlos in dieses ideologische Dispositiv ein, bringt er doch nur auf eine ebenso simple wie brutale Weise zum Ausdruck, was die postfordistische Gesellschaft sowohl in den herrschenden Subjektprägungen als auch in den Legitimationsdiskursen allgemein kennzeichnet: das Recht der Stärkeren, Nationalismus und Rassismus. Mit der Erosion liberaldemokratischer Institutionen und Verfahren erfährt der Demokratiebegriff eine signifikante Veränderung. Er bezieht sich immer weniger auf die Chancen und Möglichkeiten zu einer aktiven Gestaltung der Gesellschaft, sondern beinhaltet im wesentlichen die Sicherung der bestehenden Lebensweise, die im Prinzip den technokratischen Verwaltern der Sachzwänge überlassen werden kann. Demokratie verliert damit seine universalistischen und weitertreibenden Gehalte und reduziert sich dadurch auf eine den gesellschaftlichen Status Quo sichernde Herrschaftsorganisation.

Ein wesentliches Pendant zum wohlfahrtschauvinistischen Populismus bildet schließlich der inzwischen allgegenwärtig gewordene Sicherheitsdiskurs. Individualisierung als marktförmige Freisetzung von Lebensschicksalen, die lebensperspektivische Unsicherheit des "flexiblen Menschen" sowie eine kaum noch kontrollierbar erscheinende gesellschaftliche und politische Entwicklung erzeugen eine um so größere Angst, je mehr und umfassender die existierende Lebensweise durch gesellschaftliche Spaltungs- und Marginalisierungsprozesse bedroht wird. Auf diese diffuse Angst baut nicht nur eine ausufernde Therapie- und Sinnvermittlungsindustrie, sondern auch der immer weiter gehende Ausbau des Sicherheitsstaats zum Kontroll- und Überwachungsstaat, der – permanent innere wie äußere, fast durchweg rassistisch und nationalistisch eingefärbte Feindbestimmungen produzierend – gesellschaftliche Pathologien in den Vor- und Hinterhöfen der Wohlstandsfestung in Form "kriminogener Zonen" verwaltet und gegen alle möglichen äußeren Feinde aufrüstet (Negri/Hardt 1997, 114ff., Hirsch 1998). Die eigentümliche diskursive Verschiebung liegt darin, dass nicht mehr, wie im Fordismus, der sich der bürokratischen Disziplin entziehende "Bürger", sondern der "Fremde" innerhalb und außerhalb der staatlichen Grenzen zum beherrschenden "Sicherheitsrisiko" wird. 

6. Krisendynamik des Postfordismus und Bruchstellen der Hegemonie

Große kapitalistische Krisen sind grundsätzlich Überakkumulationskrisen, d.h. der Akkumulations- und Wachstumsprozess stößt an die Grenzen fehlender profitabler Anlagemöglichkeiten. Im Fordismus wurde dieser Tendenz zunächst durch eine fortschreitende Staatsverschuldung und eine den Massenkonsum stützende Sozial- und Einkommenspolitik entgegengewirkt. Die Folge waren zunehmende Stagflationstendenzen. Die "keynesianische" Form der Regulation erwies sich allerdings immer stärker selbst als Schranke des Kapitalprofits. Die ökonomische Krisentendenz des Postfordismus wird dadurch bestimmt, dass unter den Bedingungen einer monetaristischen Austeritätspolitik der keynesianische Ausweg zumindest auf einzelstaatlicher Ebene nicht mehr offen steht und die globale Veränderung der Verteilungsrelationen zunehmend deflationäre Tendenzen hervorruft. Diese Entwicklung muss dann krisenhaft werden, wenn die profitstabilisierenden Wirkungen systemischer Rationalisierungsprozesse und "innerer Landnahmen" abnehmen. Sie wird jedoch dadurch verzögert, dass permanente Kapitalentwertungsprozesse so organisiert und kontrolliert werden können, dass es zu keinen größeren Zusammenbrüchen auf den hoch spekulativen internationalen Finanzmärkten kommt. In diesem Zusammenhang spielt die Rüstungsproduktion trotz des Endes des Ost-West-Konflikts eine bleibende Rolle, die durch den Umbau des Militärs zu einer hochtechnisierten Kriseninterventionstruppe noch unterstrichen wird. Auch die Konkurrenzregulierung sorgt – sichtbar an den Krisen der "New Economy" – für fortdauernde Kapitalentwertungsprozesse. Die periodisch auftretenden kleineren Krisen der Finanzmärkte können damit als eine formationsspezifische Form der Regulierung von Kapitalentwertungsprozessen betrachtet werden. Die Tragfähigkeit dieses Regulierungsmechanismus hängt allerdings davon ab, dass das einigermaßen fragile Kooperationsverhältnis, das sich zwischen den konkurrierenden Triademetropolen herausgebildet hat, erhalten bleibt. Das inzwischen etablierte und institutionalisierte System der internationalen ökonomischen Regulierung mit den darin eingelassenen Verhandlungsstrukturen zwischen Staaten, internationalen Organisationen und multinationalen Unternehmungen bietet dafür zumindest eine gewisse Grundlage, wie die Bewältigung der Mexiko-, Russland- und Südostasienkrise in den neunziger Jahren gezeigt hat. Im Rahmen dieser staatlich-privaten Verhandlungssysteme spielt die sich herausbildende internationale Kapitalisten- und Managerklasse (bestehend aus VertrerInnen der internationalen Organisationen, der Staaten, Unternehmen sowie gelegentlich auch wissenschaftlicher "think tanks" und "Nichtregierungsorganisationen") mit ihren Fähigkeiten zu Entwicklung mehr oder weniger formeller Kompromiss- und Kooperationsstrukturen eine nicht zu unterschätzende Rolle (Vgl. u.v.a. Van der Pijl 1997, Sklair 1997). Ein zentrales Krisenmoment des globalen Postfordismus besteht allerdings darin, dass seine ökonomische Stabilität bislang wesentlich von einer fortschreitenden internationalen Verschuldung der USA abhängt. In gewissem Sinne trägt der Postfordismus daher die Züge eines globalen Keynesianismus, der sich auf die politische, militärische und ökonomische Dominanz der Vereinigten Staaten stützt. Wie lange diese Struktur durchgehalten werden kann beziehungsweise ob es möglich ist, sie ohne einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft umzubauen, ist eine offene Frage. Insofern beinhaltet das komplexe Konflikt- und Kooperationsverhältnis zwischen den dominierenden Metropolenstaaten ein strukturelles Instabilitätsmoment.

Möglicherweise bedeutsamer als diese "ökonomische" Krisendynamik ist allerdings die soziale Krise und die Krise der politischen Repräsentation, die im Zuge der Auflösung des politisch und sozial integrativen Regulationsmodells des Fordismus deutlicher in Erscheinung tritt. Die sozialen Spaltungen und Ungleichheiten sind sowohl innerhalb der nationalen Gesellschaften als auch in globalem Maßstab erheblich angewachsen und verstärken sich im Zuge der neoliberalen Restrukturierung von Ökonomie und Gesellschaft notwendig immer weiter. Damit wird die Gewährleistung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zum einem zentralen Herrschaftsproblem. Verstärkt wird dies durch die Krise der politischen Repräsentation, die mit der Internationalisierung des Staates, d.h. die Verlagerung politischer Entscheidungen in einen undurchsichtigen Komplex regionaler, nationaler und internationaler Regulierungs- und Verhandlungssysteme, deren Abkoppelung von allgemeinen gesellschaftlichen Interessenartikulationen und die damit verbundene Aushöhlung der auf nationalstaatlicher Ebene institutionalisierten liberalen Demokratie verbunden ist (Hirsch 1995, 2000). Die "neue Sozialdemokratie", die in den wichtigen europäischen Staaten und in gewisser Weise auch in den USA während der Clinton-Administration in den neunziger Jahren in die Regierung gekommen ist, hatte es übernommen, im Sinne eines "nachhaltigen Neoliberalismus" diese sozialen und politischen Brüche etwas abzufedern. Sie wurde dadurch zu einem wichtigen Bestandteil des postfordistischen Regulationssystems. Inwieweit und wie lange diese Strategie Erfolg hat, bleibt jedoch offen.

Zu beachten ist allerdings, dass die Stabilität einer kapitalistischen Formation nicht allein durch "objektive" ökonomisch-soziale Krisenprozesse in Frage gestellt ist, sondern erst dann wirklich zur Disposition steht, wenn die sie stützende hegemoniale Struktur zerbricht. Dieser Zusammenhang war auch für die Krise des Fordismus maßgebend. Auch wenn sich die Konturen einer postfordistischen Hegemonialstruktur als stabilisierendes Gerüst neuen Akkumulations- und Regulationsweise recht deutlich abzeichnen, sind gleichzeitig die darin liegenden Widersprüche und Bruchstellen unverkennbar:

Auch der "ökologische" Kapitalismus ist kaum geeignet, die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse aufzulösen, sondern reproduziert sie in erweiterter Form und hält somit diese gesellschaftliche Konfliktachse virulent. Zweifellos kollidieren nationalistisch und rassistisch unterfütterte Legitimationsstrategien in gewisser Weise mit einer auf die Interessen des internationalisierten Kapitals gerichteten Standortpolitik. Kaum anzunehmen ist auch, dass die Strukturen postfordistischer Subjektivität sich völlig nahtlos in die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse einpassen und sich die Menschen tatsächlich auf Computer- und Marktmarionetten reduzieren lassen, zumal gerade dies auch ihre Verwertbarkeit als "Humankapital" untergräbt (Flecker 2000, Dörre 2000). Die Freisetzung "selbstverantwortlicher" Marktsubjekte verstärkt auch das Streben nach realer Freiheit und Autonomie, der Zwang zu extremer Flexibilität und Mobilität vergrößert nicht nur ihre Verwendbarkeit als Arbeitskräfte, sondern auch die politisch-sozialen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung. Es ist zweifelhaft, ob diese Potentiale von den herrschenden Konsumangeboten und technischen Apparaturen restlos eingefangen werden können. Der Rückzug des Staates als materiell gesellschaftsintegrierende Instanz unterminiert auch die Staatsillusion, d.h. den Glauben, mittels staatlicher Politik ließen sich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen. Das Auslaufen des fordistischen Hegemonialprojekts, dass sehr stark von derartigen Vorstellungen geprägt war, eröffnet daher auch neue Spielräume für politische Orientierungen. Schließlich kann die Zersplitterung materieller gesellschaftlicher Zusammenhänge nationale Identifikationen und damit eine Grundlage des wohlfahrtschauvinistischen Legitimationsdiskurses auch schwächer werden lassen.

Die den postfordistischen Kapitalismus kennzeichnenden Marginalisierungs- und Spaltungsprozesse müssen nicht notwendig zu einem globalen Apartheidsregime führen. Wenn das Kapitalverhältnis weder Arbeit noch Lebensunterhalt garantiert, macht es sich für immer mehr Menschen sozusagen systemimmanent überflüssig. Dadurch entsteht ein Zwang, alternative Formen der ökonomischen und politischen Organisation auf lokaler und regionaler Ebene zu entwickeln, die auf den dort vorhandenen Fähigkeiten und Bedürfnissen beruhen, zur Schaffung einer "real life economy", die jenseits des Diktats des Weltmarkts funktioniert (Cheru 2000). Die Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien dient nicht nur den Interessen des Kapitals, sondern verbessert auch die Möglichkeiten zu politischer Organisation und Wissensvermittlung. Nicht zuletzt steigen damit die Chancen für die Entwicklung internationaler politischer Kooperationszusammenhänge erheblich. Der Kommerzialisierung, Privatisierung und Monopolisierung von Wissen stehen damit zugleich neue Chancen für eine politische Öffentlichkeit gegenüber, die nationale und soziale Grenzen überschreitet. Die Auseinandersetzungen um die Produktion und Aneignung von Wissen sind damit nicht nur ein Funktionsmerkmal der postfordistischen Akkumulations- und Regulationsweise, sondern enthalten auch ein sprengendes Moment. Und schließlich bringen die Krise der politischen Repräsentation und die Veränderungen des Verhältnisses von "Staat" und "Zivilgesellschaft" neue politische Organisations- und Praxisformen wie etwa in Gestalt von "Nichtregierungsorganisationen" hervor, die - ungeachtet ihrer Widersprüchlichkeit, nämlich zugleich Momente einer politischen Selbstorganisation und Teil des "erweiterten Staates zu sein (vgl. Hirsch 2001a,b) – wichtige emanzipative Potentiale enthalten können (Brand u.a. 2001).

Theoretische Bemühungen zu einer Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung zielen darauf, historische unterschiedliche Bedingungskonstellationen für politische und soziale Kämpfe sowie wesentliche Veränderungen bei Kräfteverhältnissen und Akteuren dingfest zu machen. Wenn in diesem Text - etwas gegen die herrschende Auffassung – versucht wurde, die Existenz einer relativ stabilen postfordistischen Formation zu begründen, dann auch deshalb, weil eben dies noch nachdrücklicher auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Reformulierung des Begriffs von Politik und emanzipativer politischer Praxis verweist. Es soll vor allem deutlich gemacht werden, dass eine Rückkehr zu staatsreformistischen Politikformen, die unter den Bedingungen des Fordismus eine Berechtigung haben schienen, nicht möglich ist. Es geht dabei um die immer noch herrschende Identifizierung von Politik und Staat, das Denken in den bürgerlichen Kategorien von Staat und Nation, Privat und Öffentlich, von Repräsentation und Stellvertretung. Wenn der Staat zum Bestandteil eines transnationalisierten Apparategflechts wird, das im wesentlichen der Exekution ökonomischer "Sachzwänge" im Interesse global operierender Unternehmen verpflichtet ist, wird er als Terrain und Bezugspunkt demokratischer Politik ganz offensichtlich unbrauchbar. Diese Entwicklung ist angesichts der Schranken, die eine kapitalistisch-nationalstaatlich verfasste Gesellschaft einer wirklichen demokratischen Selbstbestimmung setzt, nicht unbedingt zu bedauern. Sie eröffnet auch die Chance für einen "radikalen Reformismus", der emanzipative gesellschaftliche Veränderungen nicht mittels der Staatsmacht, sondern durch gesellschaftliche Initiative, durch praktische Durchsetzung neuer Produktions- und Lebensformen und die Schaffung politischer Organisationszusammenhänge unabhängig und gegen die herrschenden institutionellen Strukturen, eigenständig gegenüber Parteien, Staat und Unternehmen anzielt (Hirsch 1990,1995). In gewisser Weise geht es heute mehr denn je darum, eine "demokratische Zivilgesellschaft" gegen die herrschenden Ökonomisierungstendenzen überhaupt erst zu entwickeln. Dies ist allerdings nicht einfach. Gefordert ist nämlich eine tiefgehende Veränderung der Arbeits- und Lebensweisen, der Vorstellungen von einem "guten Leben", der Konzepte von Fortschritt und Entwicklung. D.h. es geht um eine Kulturrevolution, die nicht nur der Bewusstseinsinhalte, sondern vor allem gesellschaftliche und politische Beziehungen und Praktiken umgreift.

Neue politisch-soziale Praktiken entwickeln sich allerdings nicht naturwüchsig. Es bedarf dazu der Schaffung von eigenen Organisationszusammenhängen und Öffentlichkeiten, die helfen, den herrschenden Spaltungs- und Fragmentierungstendenzen und den Kampf aller gegen alle im globalen Maßstab zu überwinden, historische Erfahrungen aufzuarbeiten, Interessengegensätze und politische Ordnungsvorstellungen konkret und praktisch zu konfrontieren. Dies bedeutet, dass die Trennung von "politischer" und "sozialer" Bewegung in der Weise aufgehoben werden muss, dass sich die Entwicklung autonomer Organisationszusammenhänge sich mit dem Projekt einer Revolutionierung des Alltags verbindet. Solche Ansätze entstehen in der Regel dezentral, auf lokaler und regionaler Ebene. Nachhaltig politisch wirksam werden sie jedoch nur, wenn es gelingt, sie zu verbinden und übergreifende Kooperationszusammenhänge vor allem auch über nationale Grenzen hinweg zu schaffen.

Solche Initiativen sind allerdings bislang eher rar, und wenn, dann finden sie sich am ehesten noch in der kapitalistischen Peripherie. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die mexikanischen Zapatistas oder die brasilianische Landlosenbewegung. Neben diesen prominent gewordenen Bewegungen existiert allerdings noch eine Vielzahl kleinerer Initiativen mit ähnlichen Zielsetzungen. Auch in den kapitalistischen Zentren haben in der jüngsten Zeit Protestansätze gegen den "Neoliberalismus" zugenommen, wie etwa die Protestereignisse in Seattle 1999 oder auch Prag 2000 gezeigt haben (Vgl. dazu McMichael 2000, Chakravarthi 2000). Freilich bewegen sich diese immer noch sehr stark in den traditionellen Formen der Kampagnenpolitik. Die bestehenden Vergesellschaftungsverhältnisse werden dabei eher rhetorisch als praktisch in Frage gestellt und die Forderungen richten sich vor allem auf eine bessere Regulierung des Kapitalismus und auf eine Bekämpfung seiner vermeintlichen "Auswüchse". Auffallend ist dabei eine eigentümlich positive Orientierung an dem im Nachhinein zum "goldenen Zeitalter" verklärten Fordismus und an den Regulationsmustern des sozialdemokratisch-keynesianischen Staates. Dies impliziert nicht nur einen deutlichen Etatismus, sondern läuft auch Gefahr, die widersprüchlichen und weitertreibenden Potentiale zu verkennen, die in der postfordistischen Restrukturierung der Gesellschaft enthalten sind. Damit werden tendenziell eben die Gesellschaftstrukturen und Herrschaftsverhältnisse legitimiert, die bekämpft werden sollen. So laufen diese Initiativen Gefahr, selbst Teil des postfordistischen Hegemonieprojekts zu werden. Denn Hegemonie ist kein kohärentes und geschlossenes, der Gesellschaft quasi von oben aufgestülptes Konstrukt, sondern festigt sich eben dadurch, dass politisch-soziale Kämpfe auf dem Terrain der bestehenden Verhältnisse – der herrschenden sozialen Praxen und institutionellen Strukturen zugelassen werden. Das ist es, was das Konzept der Regulationstheorie über seine analytische Bedeutung hinaus meint und was sein kritisches Potential begründet.

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel ist eine Spiegelung von:
http://www.wu-wien.ac.at/inst/vw7/JHirsch.htm