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30.10.2003
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Josef Schwarz |
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Die Reichsexekution |
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Die Regierung der republikanischen und proletarischen Verteidigung in Thüringen 1923 (Teil II und Schluß) |
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In Sachsen rückte die Reichswehr ein, als die Regierung Dr. Erich Zeigner der ultimativen Forderung zurückzutreten nicht gefolgt war. Die Thüringer Regierung erfuhr vom Einmarsch der Reichswehr in Südthüringen erst durch Pressemeldungen. Darin hieß es zunächst noch, daß sich die Reichsregierung entschieden habe, zum Schutz gegen die illegalen rechtsradikalen Kampfverbände, die an der bayrisch-thüringischen Grenze aufmarschiert seien, die Reichswehr nach Thüringen zu entsenden. Die Thüringer Staatsregierung erhielt von diesem Vorgehen keinerlei amtliche Mitteilung. Sie hatte, ihr eigenes Schicksal voraussehend, in einem Schreiben an den Reichskanzler Dr. Gustav Stresemann offiziell gegen die Absetzung der sächsischen Regierung protestiert.
Dafür traf am 6. November 1923 ein Schreiben folgenden Wortlautes ein: »Die Lage in und um Thüringen ist bedrohlich und erfordert Reichswehrverstärkung. Täglich laufen beim Militärbefehlshaber zahlreiche Hilferufe der Thüringer Bevölkerung ein, die um Beistand gegen den Terror aller Art durch die proletarischen Hundertschaften bitten. Diese Hundertschaften sind trotz Weitergabe meines Auflösungsbefehls durch die Thüringer Regierung in der Tat nicht aufgelöst oder sie sind in republikanische Notwehren umgewandelt, ohne daß ihre Zusammensetzung und die Art ihrer öffentlichen Betätigung geändert ist. Dieser Zustand ist großen Teilen der Bevölkerung unerträglich und wird die schwerwiegendsten Folgen haben, indem eine Einstellung der Produktion und des Warenaustausches droht und ferner die vergewaltigten Teile der Bevölkerung nach illegaler Unterstützung ausschauen, was in mancher Hinsicht schon nahe gerückt zu sein scheint.
Ich habe daher den Kommandeur der 3. Kavallerie-Division, Herrn Generalleutnant Hasse, beauftragt, bei der augenblicklich bedrohlichen Lage in Thüringen die ihm zur Verfügung gestellten Reichswehrtruppen nach Weisung der Thüringer Landespolizei einen festen Rückhalt zu geben und die Auflösung und Entwaffnung der Hundertschaften durchzuführen.
Zu diesem Zwecke wird der Polizeioberst Müller-Brandenburg mit der Thüringer Landespolizei dem Generalleutnant Hasse unterstellt. Major Curze bleibt mein Verbindungsoffizier bei der Regierung in Weimar. Wehrkreiskommando: gez. Reinhardt.«
Tatsächlich ging es um das soziale und politische Programm, das August Frölich in seiner Regierungserklärung vom 17. Oktober 1923 vorgestellt hatte und das auf das größte Mißfallen aller Konservativen von der Deutschen Volkspartei (DVP) bis zum Landbund gestoßen war. Und es ging darum, daß wie in Sachsen so auch in Thüringen, Kommunisten mit in der Regierung saßen. Dabei war das nicht so sensationell. Praktisch konnte die sozialdemokratische Regierung in Thüringen schon seit den Wahlen 1921 nur regieren, weil sie von den Kommunisten im Landtag toleriert und unterstützt wurde. Trotz des politischen Gezänks muß man sowohl Sozialdemokraten als auch Kommunisten Konstruktivität in der Zusammenarbeit bescheinigen.
Die Besetzung des Landes erfolgte vom Südwesten her. Am 25. 10. 1923 marschierte die Reichswehr in Suhl ein und nahm 19 Personen fest. Bei Unruhen in Erfurt gab es einen Toten und zwei Verletzte. Bereits am 5. Oktober 1923 war die Pressefreiheit durch den am 27. September von Reichspräsident Friedrich Ebert verhängten Ausnahmezustand eingeschränkt, indem eine Pressezensur eingeführt wurde, die sich vor allem gegen kommunistische Zeitungen richtete.
Die proletarischen Hundertschaften waren am 6. Oktober 1923 reichsweit verboten worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und KPD noch gar nicht zum Abschluß gekommen und kein einziger kommunistischer Minister ernannt. Die Nichteinhaltung des Verbots der proletarischen Hundertschaften war daher lediglich ein Vorwand für den Einmarsch der Reichswehrtruppen in ganz Thüringen.
Am 2. November 1923 wurde Weimar besetzt und unter Mißachtung der parlamentarischen Immunität eine Hausdurchsuchung bei Prof. Karl Korsch, Justizminister von Thüringen, durchgeführt. Am 10. November erfolgte die Besetzung Geras und am 26. wurde in Erfurt, wie es hieß, die Zentrale der KPD ausgehoben, als hätte es sich um eine Bande von illegalen Verschwörern gehandelt und nicht um die Leitung einer legalen Partei. Die Genossen Kittel, Beck, Bischoff und Wendel wurden verhaftet. Beim kommunistischen Abgeordneten und Minister für Wirtschaft, Albin Tenner, wurde ebenfalls eine Hausdurchsuchung vollzogen. Die Volkswacht in Gotha wurde verboten. Einen Tag zuvor, am 25. November, hatte ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums bekanntgegeben, daß bei der Reichsexekution in Thüringen bis zum 20. 11. 1923 300 Personen verhaftet, 34 ermordet und 130 Bürger verletzt wurden. Wenn man die Meldungen von 1923 liest, hat man den Eindruck, die Reichswehr befand sich in Feindesland als Sieger.
Die »weiche Variante«
Die KPD-Zentrale nahm ihren Beschluß zur Ausrufung des Generalstreiks zurück, den sie auf der Chemnitzer Konferenz (21. Oktober) gefaßt hatte. In Hamburg war es inzwischen zu einem isolierten Aufstand der Kommunisten gekommen, der mit Erwerbslosendemonstrationen begann, mit Streiks fortgesetzt wurde und schließlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte, die am 24. Oktober 1923 abgebrochen werden mußten. Der sogenannte Hamburger Aufstand bot der Regierung einen weiteren Grund, die Exekutivgewalt an den Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, zu übertragen, den Druck zu verstärken und mit militärischen Mitteln einzugreifen. Stresemann bezeichnete das als »weiche Variante« des Ausnahmezustandes.
Wie diese weiche Variante aussah, dafür gibt es aufschlußreiche Dokumente und unverdächtige Zeugen. Bei den Dokumenten handelt es sich einmal um die Stellungnahmen der sächsischen Regierung zu Gewalttätigkeiten der Reichswehr und zum Zusammenwirken der Reichswehr mit rechtsradikalen Elementen und verbotenen Organisationen; zum anderen um das Kriegstagebuch des II. Bataillons des 4. Infanterieregiments während des »Unternehmens Sachsen« 20. 10. bis 30. 10. 1923. Kommandeur dieses Bataillons war Oberst v. Stülpnagel, Chef des Stabes war Oberstleutnant v. Werder, der das Kriegstagebuch mit seiner Unterschrift abgeschlossen hat.
Die sächsische Regierung weist in ihrem Schreiben ausdrücklich darauf hin, daß an den Brutalitäten vor allem auch die in Sachsen verbotenen rechtsradikalen Organisationen bis zur NSDAP, deren Mitglieder in großer Zahl in der Reichswehr Aufnahme gefunden hatten, beteiligt waren. Das Ergebnis dieser Beschwerden war jedoch keine Bestrafung der Schuldigen, sondern die sinnlose Zerstörung des gesamten Nachrichtennetzes der sächsischen Regierung und die Dienstenthebung vieler leitender Beamter durch den Militärbefehlshaber.
Das Scheitern
Da die SPD-Minister in der Reichsregierung den politischen Kurs Stresemanns, der sich letzten Endes gegen ihre eigenen Parteifreunde in Sachsen und Thüringen richtete, nicht länger mittragen konnten, ohne ihr Gesicht zu verlieren, traten Robert Schmidt, Wilhelm Sollmann und Gustav Radbruch am 3.November 1923 zurück. Dem Kanzler wurde damit das Vertrauen entzogen, und so kam es am 30. November 1923 zum Sturz der zweiten Regierung Stresemann. Reichskanzler wurde Dr. Wilhelm Marx (Zentrum), der Dr. Stresemann in seinem Kabinett das Amt des Vizekanzlers und Außenministers übertrug.
Die Arbeitsbedingungen für die drei Kommunisten in der Thüringer Regierung Frölich wurden komplizierter, zumal es unterschiedliche Auffassungen von Sozialdemokraten und Kommunisten über die Abwehr der Reichsexekution gab. Die KPD setzte nicht nur auf umfassende Protestaktionen, sondern auf den Generalstreik.
Am 11. November erteilte die Leitung der Thüringer KPD-Bezirksorganisation ihren Ministern in der Thüringer Regierung die Anweisung zum Rücktritt, am 12. November legten Prof. Karl Korsch, Albin Tenner und Dr. Theodor Neubauer ihre Ämter nieder. Sie begründeten ihren Rücktritt in einem Manifest. Am 7. Dezember 1923 trat auch die Thüringer »Rumpfregierung« zurück. Frölich erklärte zugleich, daß die Regierung die Geschäfte bis zu einer Neuregelung bzw. bis zu Neuwahlen weiterführen würde.
Die Komintern-Politik
In Sachsen wurde die Regierung mitsamt den kommunistischen Ministern von der Reichswehr davongejagt, in Thüringen traten die kommunistischen Minister zurück. Das Experiment einer Arbeiterregierung war gescheitert. Zu fragen ist nach den Ursachen.
Heute bezweifelt niemand mehr, daß in Deutschland im Sommer 1923 eine revolutionäre Krise heranreifte. Aus damals nicht veröffentlichten Thesen von Gregori Sinowjew vom 15. August 1923 geht hervor, daß das EKKI, das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, 1923 von einer revolutionären Krise in Deutschland ausging. Nach den Massenstreiks gegen die Cuno-Regierung stellten sich die Kommunistische Partei Rußlands, RKP (B), und das EKKI auf weitere revolutionäre Veränderungen in Deutschland ein, auf den Generalstreik und eventuell auf die Übernahme der Macht. Sinowjew war ernsthaft davon überzeugt, daß die deutsche Revolution unmittelbar bevorstand, das belegen besonders die Schlußkapitel, in denen die Aufgaben der KPR und der KI zu ihrer Unterstützung formuliert werden. In ihnen wurden detaillierte Vorschläge für die »baldige revolutionäre Erhebung und den Entscheidungskampf« gemacht. Sie beginnen mit der Losung, Arbeiterräte zu bilden, auch Bauern- und Soldatenräte, in die von Anbeginn an die Betriebsräte und die Gewerkschaften einbezogen werden sollen, ebenso die proletarischen Frauen und die Jugend.
Diese Thesen dürften sowohl bei der Sitzung der Führung der KPR am 28.8.1923 als auch bei den Beratungen mit der Zentrale der KPD in Moskau eine Rolle gespielt haben. Große Begeisterung sollen sie bei Leo Trotzki, dem Vertreter der Theorie der permanenten Revolution, ausgelöst haben. Er ging davon aus, daß ein Sieg der deutschen proletarischen Revolution gleichzeitig die russische Revolution sichern und ein Schritt auf dem Wege zur Weltrevolution sein würde.
Diese von Wunschdenken geprägte Fehleinschätzung der Lage in Deutschland war die Grundlage für die Taktik der KPD für den nächsten Zeitabschnitt. Die KI und ihr Vorsitzender Sinowjew drängten die deutsche kommunistische Partei zum Handeln. Sie sollte alles daransetzen, über Massenstreiks mit politischem Charakter die Stresemann-Regierung zu stürzen, die Macht zu übernehmen und eine Arbeiterregierung zu bilden. Dazu fanden auf einer Konferenz in Moskau im September 1923 Gespräche statt. Daran nahmen von deutscher Seite teil Ruth Fischer, Arkadi Maslow, Ernst Thälmann, Heinrich Brandler, Hugo Eberlein sowie als Vertreter der KPD beim EKKI Edwin Hoernle und Clara Zetkin; von russischer Seite Grigori Sinowjew, Leo Trotzki, Karl Radek und Nikolai Bucharin. Man war sich einig in der Einschätzung, daß in Deutschland eine revolutionäre Situation heranreifte, oder wie es Ruth Fischer formulierte, »daß die revolutionäre Krise in Deutschland in voller Entfaltung und daß es notwendig war, den Kampf um die Macht zu intensivieren«.
Ein deutscher Oktober?
Als allerdings Heinrich Brandler ein sehr günstiges Bild vom Kräfteverhältnis in Deutschland und von der Vorbereitung auf den bewaffneten Kampf zeichnete, widersprach ihm in Moskau Ernst Thälmann und sagte, daß man mit der proletarischen Revolution nicht spielen dürfe. Auch Hugo Eberlein war der Meinung, daß Brandler, als er über die Hundertschaften und deren Bewaffnung sprach, den Wunsch für die Wirklichkeit ausgegeben hätte. Außerdem beruhte die Analyse Brandlers auf der Einschätzung der Situation in Sachsen und Thüringen, wo die Einheitsfront der Arbeiter am weitesten entwickelt war. Dennoch war auch Ernst Thälmann, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der EKKI-Beratung, der Auffassung: »Die innere Lage in Deutschland verschärft sich aufs äußerste. Die Erregung des Proletariats ist gewaltig, die Schlacht gegen die Bourgeoisie unvermeidlich.«
Das wichtigste Ergebnis der Beratungen des EKKI war die am 1. Oktober 1923 beschlossene Zustimmung zu dem Vorschlag Brandlers, daß Kommunisten in die Regierungen in Sachsen und Thüringen eintreten sollten. Zu fragen ist, ob es außer Absichtserklärungen und Leitsätzen der KI wirklich konkrete Aufstandsvorbereitungen gab. Zwar schuf die KPD nach den Beschlüssen des EKKI eine Kommission unter Leitung Ernst Schnellers, die die Arbeit der Kontrollausschüsse und der proletarischen Hundertschaften organisieren und koordinieren sollte. Bei den Bezirksleitungen wurden militärische Oberleiter eingesetzt, auch der M-Apparat wurde aktiviert und soll einbezogen worden sein. Dennoch ist kaum vorstellbar, daß man ernsthaft geglaubt hatte, daß man diesen Staat mit proletarischen Hundertschaften, die nach Auskunft des Reichsregierungskommissars Hermann Kuenzer schlecht bewaffnet waren, zum Teil nur mit Gummiknüppeln, auf gewaltsame Weise stürzen konnte. Reichswehrminister Geßner bezeichnete sie als militärisch wertlos, aber politisch gefährlich. Richtig ist, daß die KPD die Überwachung der Partei durch die Abwehrorgane des Staates und der Reichswehr unterschätzt hatte.
Reichswehr, Polizei und Staatsorgane konnten sofort nach der Besetzung Sachsens und Thüringens auf Grund vorbereiteter Listen nach Kommunisten fahnden und sie vor Gericht stellen. Immerhin haben 1924 mehr Hochverratsprozesse stattgefunden als in der Zeit von 1870 bis 1918. Diese Repressalien fügten der KPD schweren Schaden zu.
Während die Komintern die deutschen Kommunisten zur Revolution ermutigte und drängte, pflegte die sowjetische Regierung gute Beziehungen zum Kabinett Stresemann. Während die Reichswehr die Arbeiterregierungen verjagte und die Arbeiter unterdrückte, verhaftete oder zusammenschoß, pflegte die Rote Armee mit derselben Reichswehr ihre illegale militärische Zusammenarbeit sowie die Entwicklung und Erprobung von Waffen, die den Deutschen laut Versailler Vertrag verboten waren. Beides ging zu Lasten der deutschen Kommunisten. Die KPD war 1923 in den Machtkampf innerhalb der russischen Parteiführung geraten, deren Fraktionen entsprechend ihren besonderen Interessen Einfluß auf die Entscheidungsfindung über einen »deutschen Oktober« nahmen.
Ob mit oder auch ohne proletarische Revolution in Deutschland, der Sowjetunion verschaffte das Jahr 1923 die dringend nötige Atempause für den Aufbau des Sozialismus in einem Land, der jetzt unter Führung Stalins vollzogen wurde, der seine Macht gefestigt hatte und dem Kurs der KI von Anfang an skeptisch gegenüberstand.
* Noch lieferbar: Josef Schwarz: Die linkssozialistische Regierung Frölich in Thüringen 1923. Hoffnung und Scheitern. GNN Verlag 2000. 286 S., 12,50 Euro, ISBN 3-89819-025-0 |
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